Düsseldorf. LKA-Experte Colin B. Nierenz warnt im Interview vor der Cannabis-Legalisierung und dem blühenden Drogenmarkt in NRW.
Laut der Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage des Bochumer SPD-Landtagabgeordneten Serdar Yüksel steigt die Zahl der Drogentoten in NRW deutlich. Über Drogen in NRW und die Risiken einer Legalisierung von Cannabis sprach Matthias Korfmann mit Kriminaldirektor Colin B. Nierenz, Dezernatsleiter beim Landeskriminalamt und Experte für Rauschgiftkriminalität.
Herr Nierenz, stimmt es, dass in NRW immer mehr Drogen kursieren?
Nierenz: Wir gehen davon aus, dass die Verfügbarkeit von Rauschgift hoch ist und seit etwa zehn Jahren steigt. International kommt es immer wieder zu Großsicherstellungen von Drogen in Seehäfen. Auch werden immer mehr Labore, zum Beispiel für Cannabis und Amphetamine entdeckt. Aber der Marktpreis der Drogen verändert sich dadurch nicht. Daher gehen wir von einer hohen Verfügbarkeit aus.
Über welche Drogen reden wir?
Nierenz: Vor allem über Kokain, Cannabisprodukte und synthetische Drogen wie Amphetamine.
Woher kommen die?
Nierenz: Kokain wird in Südamerika produziert und kommt vor allem über die Seehäfen in den Niederlanden, Belgien und Deutschland nach Europa. Cannabisprodukte mit geringem Wirkstoffgehalt werden oft in der Schweiz angebaut. Solche mit hohem Wirkstoffgehalt werden in Plantagen gezüchtet, insbesondere in den Niederlanden und in Deutschland in der Nähe der Grenze zu den Niederlanden. Die synthetischen Rauschgifte werden oft in Drogenlaboren in den Niederlanden und in Tschechien, aber auch in NRW hergestellt.
Hat sich die Verfügbarkeit von Drogen in den vergangenen zehn Jahren erhöht?
Nierenz: Ja. Wir gehen davon aus, dass sich die Anbaufläche für Kokain in Südamerika stetig vergrößert. Die Cannabisplantagen wurden durch den Fahndungsdruck in den Niederlanden zum Teil von dort nach NRW verdrängt und verlagert. Gleiches gilt für die Drogenlabore.
Sind die Drogen gefährlicher geworden?
Nierenz: Die Wirkstoffgehalte wurden generell erhöht, und damit werden die Substanzen gefährlicher. Die Konsumenten wissen in der Regel nicht, was sie da kaufen. Heroin und Kokain sind für den Konsumenten noch relativ gut einzuschätzen. Bei Cannabisprodukten kommt es vor, dass Marihuana oder CBD-Hanf mit sehr potenten synthetischen Cannabinoiden versetzt werden. Der Wirkstoffgehalt ist dann für den Konsumenten nicht einzuschätzen.
In den 1980-er Jahren hatten Cannabisprodukte einen Wirkstoffgehalt von circa sieben bis elf Prozent. Heute sind teilweise über 40 Prozent. Der Konsum dieser Produkte führt zu massiven Schädigungen des Gehirns. Die Einweisungen in psychiatrische Kliniken aufgrund von psychischen Störungen nach dem Konsum von Cannabisprodukten steigen stark an.
Hat die Pandemie die Lage beeinflusst?
Nierenz: Wir können anhand unserer Kriminalitätsstatistik keinen pandemischen Einfluss feststellen. Die Rauschgiftkriminalität steigt generell weiter, auch in der Pandemiezeit. Allein bei Heroin und Opiumprodukten sinkt die die Anzahl der Ermittlungsverfahren leicht, denn diese Drogen beruhigen. Gesucht werden eher aufputschende Drogen wie Kokain.
Wie finden die Drogen den Weg zum Kunden?
Nierenz: Immer häufiger durch den Online-Handel und den anschließenden Postversand u.a. auch über das Darknet. Das ist wie Ebay für Rauschgift, sogar mit Händlerbewertung. Das Zentrum für den Online-Handel dafür sitzt nachunserer Wahrnehmung in den Niederlanden und in Belgien. Von dort aus wird das Rauschgift teilweise weltweit versandt.
Warum reden wir hier so häufig über die Niederlande?
Nierenz: Ein Kernproblem ist aus unserer Sicht die dortige damalige Legalisierung des Cannabiskonsums. Man hat dabei nicht an die Produktion der Drogen gedacht. Diese wurde nicht geregelt und überwacht. So ergab sich für die illegalen Produzenten die Möglichkeit, schnell hohe Gewinne zu erzielen. Das war wie früher beim Goldrausch in den USA: Immer mehr stiegen ein, die Gewinne wurden immer höher und die Strukturen immer professioneller.
Was sagen Sie zur Diskussion über die Cannabis-Legalisierung in Deutschland?
Nierenz: Da habe ich zwei große Befürchtungen. Erstens dürfte es der Polizei nach einer Legalisierung viel schwerer fallen, vor Ort zu entscheiden, ob das Cannabis aus legaler oder illegaler Quelle stammt. Zweitens wird der Erwerb aus staatlichen Quellen Regeln unterworfen sein, vor allem beim Preis und beim Wirkstoffgehalt. Ich gehe davon aus, dass 500 Meter weiter dann die Kriminellen stehen und Cannabis mit höherem Wirkstoffgehalt billiger anbieten. Das wird Unsummen in die Kassen der Kriminellen spülen.
Außerdem verschlingt die Cannabis-Produktion riesige Strom- und Wasser-Ressourcen. Der Staat wird nicht in der Lage sein, so große Anbauflächen zu unterhalten und die Energie zur Verfügung zu stellen. Das ist bemerkenswert, gerade weil unser Land Energie sparen muss. Eine der illegalen „Profi-Cannabis-Plantagen“, die wir entdeckt haben, hat einen volkswirtschaftlichen Schaden von circa 171.000 Euro im Jahr erzeugt - nur durch ihren Stromverbrauch. Als „Profi-Plantagen“ bewerten wir alle Plantagen mit mehr als 1000 Pflanzen. Die Täter melden natürlich keinen Stromzähler an, sondern zapfen die Energie illegal an. Wir entdecken jedes Jahr Dutzende dieser „Groß- und Profi-Plantagen“.
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der hohen Zahl von Drogentoten und dem sich verändernden Drogenmarkt?
Nierenz: Den sehe ich so nicht, denn wir haben es hier vor allem mit Langzeit-Drogenkonsumenten von Opiaten im Alter zwischen 30 und 50 Jahren zu tun. Das Problem ist eher, dass diesen Menschen nicht ausreichend geholfen wird oder nicht geholfen werden kann.
Hat sich die gesellschaftliche Sicht auf Rauschgift geändert?
Nierenz: Das ist so. Rauschgiftkonsum wurde früher gesellschaftlich mehr verurteilt als heute. Gerade Cannabis ist heute mehr akzeptiert. Daher sinkt die Hemmschwelle, das mal auszuprobieren. Das wird durch die Legalisierungsdebatte noch befeuert. Die Gefährlichkeit von Cannabis wird leider dabei sehr unterschätzt.