Essen/Dortmund. Mit passgenauen Online-Kurse können Studierende künftig ihr Schulwissen während des Studiums auffrischen. Unis wollen so Abbruchquoten senken.

Nein, so richtig gut vorbereitet für den Start ins Studium fühlt sich die 20-jährige Marie Wilmers nicht. „Ich bin die erste in meiner Familie, die ein Studium beginnt, das ist also wirklich Neuland für mich. Ich musste mir alle Informationen selbst besorgen“, erzählt die 20-Jährige, die im Oktober ein Psychologie-Studium an der Uni Duisburg-Essen aufnehmen will. Für eine intensive Studienvorbereitung bleibe in der Abi-Phase einfach zu wenig Zeit.

So wir ihr geht es zu jedem Semesterstart wohl Tausenden Erstsemestern. Deshalb bemerken viele Studienanfänger erst während der ersten Semester, dass ihnen wichtiges Wissen fehlt. Universitäten im Ruhrgebiet und in NRW wollen Studierenden daher mit einem neuen Angebot künftig dabei helfen, ihr Schulwissen aufzufrischen und Wissenslücken im Studium zu schließen.

Passgenaue Online-Kurse

Gemeinsam entwickelt die TU Dortmund mit den Unis in Aachen und Wuppertal ein studienbegleitendes „nulltes Semester“, mit dem Studierende in Online-Kursen genau dann ihr Wissen ergänzen können, wenn sie während des Studiums inhaltliche Lücken bemerken. Zwar bieten die Hochschulen bereits eine breite Palette an Unterstützungsangeboten an, darunter zum Beispiel die etablierten Vorkurse, erklärt Wiebke Möhring, Prorektorin für Studium an der TU Dortmund. „Diese finden aber in einem knappen Zeitraum zwischen Abitur und Beginn der Vorlesungen statt und sind nicht auf die individuellen Bedürfnisse der Studierenden angepasst.“

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Das „nullte Semester“ vermeide diesen Nachteil, denn durch das digitale Selbstlernen können die Studierenden genau dann auf das Angebot zugreifen, wenn ihnen für ihr Studium das nötige Schulwissen fehlt. „Damit wollen wir den Studienerfolg steigern und Studienabbrüche vermeiden“, erklärt die Professorin für Online- und Printjournalismus.

Unterschiedliches Vorwissen

Seit Jahren bemerken die Hochschulen, dass viele Studierende mit inhaltlichen Defiziten oder falschen Vorstellungen ihr Studium beginnen. So klaffen die Wissensstände der Studienanfänger oft deutlich auseinander, je nach persönlicher Bildungsbiografie oder der schulischen Vorbereitung. Hinzu kommt: Durch die Corona-Schuljahre haben Schülerinnen und Schüler zum Teil erhebliche Unterrichtsausfälle hinnehmen müssen und zwangsläufig Stoff verpasst. „Auch der Lehrermangel spielt eine Rolle“, sagt Möhring. Konnte kein guter Matheunterricht erteilt werden, kam kein Physik-Leistungskurs zustande? Für ein erfolgreiches Studium sind gesicherte schulische Kompetenzen jedoch eine wesentliche Voraussetzung, so Möhring.

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Mit Orientierungs-Wochen, Vorkursen, Summer-Schools, Online-Veranstaltungen, Studienberatungen und Mentoring-Programmen versuchen alle Hochschulen seit Jahren, junge Menschen auf ein Studium vorzubereiten. Dennoch geben nach wie vor viele Studierende ihr Studium auf. Nach einer aktuellen Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung in Hannover (DZHW), brachen 28 Prozent der Bachelor-Studierenden, die 2016 und 2017 ein Studium begonnen haben, im Jahr 2020 ab. An den Universitäten sind es sogar 35 Prozent, an Fachhochschulen hingegen 20 Prozent.

Hohe Abbrecherquoten

Je nach Fach ergeben sich dabei deutliche Unterschiede. Niedrige Abbrecherquoten im Bachelorstudium an den Universitäten zeigten sich in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (21 %) sowie in den Lehramtsstudiengängen, wo lediglich zehn Prozent hinwarfen. Hingegen sind die Quoten in den Geisteswissenschaften mit 49 Prozent sowie in Mathematik und Naturwissenschaften mit 50 Prozent enorm hoch. Nur die Hälfte der Studienanfänger schafft es demnach bis zum Bachelorabschluss. Dies betrifft ausgerechnet jene Studiengänge, deren Absolventen auf dem Arbeitsmarkt stark gefragt sind.

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Die Ursachen liegen nach Ansicht der DZHW-Forscher zum einen in inhaltlichen Defiziten der Studienanfänger vor allem in Mathematik sowie in den traditionell sehr hohen Ansprüchen in den MINT-Fächern - Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik - die schon in den ersten Semestern sehr hohe Anforderungen stellten. „Das bricht manchem Studienanfänger, der sich erst einmal an der Uni orientieren muss und Defizite aufzuholen hat, das Genick“, erklärte Studienautor Ulrich Heublein die auch in den vorherigen Jahren hohen Quoten.

Frage der Bildungsgerechtigkeit

„Diese Zahlen besorgen uns sehr“, sagt Wiebke Möhring. „Aber darauf wollen wir uns nicht ausruhen. Wir haben den Ehrgeiz, unsere Studierenden zum Abschluss zu bringen.“ Daher setzen die Online-Angebote des „nullten Semesters“ unter anderem in Mathematik, Physik, Maschinenbau und Elektrotechnik an. Das Projekt sieht Möhring als wichtigen Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit. Ein erfolgreiches Studium dürfe nicht davon abhängen, über welchen Bildungsweg die Studierenden an die Uni gekommen sind.

>>>> Das Modellprojekt

Das NRW-Wissenschaftsministerium fördert das Pilotvorhaben für ein „begleitendes virtuelles nulltes Semester“ (Bevinus.NRW) drei Jahre mir rund 3,5 Millionen Euro.

Ab 2025 sollen Studierende in allen Lehrveranstaltungen ihres Studiengangs, in denen schulisches Vorwissen benötigt wird, Testmöglichkeiten und Angebote zum digitalen Selbststudium nutzen können. Von den Ergebnissen können anschließend alle NRW-Hochschulen profitieren.

Infos zum Studienstart finden Studieninteressierte zum Beispiel hier:

https://www.tu-dortmund.de/landingpages/ersti-informationen/

https://studium.ruhr-uni-bochum.de/de/neu-der-rub

https://www.uni-due.de/erstsemester/

https://www.w-hs.de/studienstart/

https://zsb-in-nrw.de/