Düsseldorf. Die neue NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU) erinnert an die Bedeutung bäuerlicher Betriebe in der aktuellen Krise.
Jetzt gehe es um Ernährungssicherung, sagt Silke Gorißen (CDU), NRW-Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Mit Tobias Blasius, Matthias Korfmann und Martin Korte sprach sie über die Nöte der Bauern, Videoüberwachung in Schlachthöfen und über den Zustand der Wälder.
Frau Ministerin, können Sie Traktor fahren?
Gorißen: Nein. Ich bin aber schon häufiger auf dem Traktor mitgefahren. Ich wohne inmitten bäuerlicher Betriebe und habe, gerade auch als Landrätin, immer engen Kontakt zu Landwirten gehabt. Land- und Forstwirtschaft sind Herzensthemen für mich.
Welche Stimmung nehmen Sie wahr, wenn Sie mit Landwirten reden?
Gorißen: Viele Landwirte haben existenzielle Nöte. Sie machen sich aktuell große Sorgen um die Stabilität unserer heimischen Lebensmittelversorgung. Ich weiß ihre Offenheit sehr zu schätzen.
Was macht der Ukraine-Krieg mit den Landwirten in NRW?
Gorißen: Der Krieg bringt viel Unsicherheit für die Landwirte und für die Verbraucher. Die Frage steht im Raum, ob die Ernährung gesichert werden kann, ob das Modell des bäuerlichen Familienbetriebs eine Zukunft hat oder ob Lebensmittel bezahlbar bleiben. Die Stilllegung landwirtschaftlicher Flächen wird wegen der globalen Hungerkrise um ein Jahr ausgesetzt. Normalerweise würden laut EU-Vorgaben ab 2023 vier Prozent Ackerflächen stillgelegt. Durch Verschiebung der Stilllegung können bis 35.000 Hektar mehr für die Lebensmittelproduktion genutzt werden. Das würden bis zu 260.000 Tonnen Getreide mehr bedeuten.
Verändert der Krieg den Blick auf unsere Landwirtschaft?
Gorißen: Die Landwirte sorgen dafür, dass unsere Kühlschränke gefüllt sind und genügend Brot bei den Bäckern ist. Sie wurden in der Vergangenheit oft zu sehr als Buhmänner der Nation angeprangert. Das war falsch.
Sind die aktuell hohen Lebensmittelpreise also ehrlicher?
Gorißen. Das ist zu kurz gegriffen. Tatsache ist, dass Landwirte und ihre Familien von ihrer Arbeit leben müssen. Da geht es nicht nur um den Preis, sondern vor allem auch um Planungssicherheit. Die Bauern müssen wissen, welche Investitionen sich noch lohnen. Gerade in der Schweinehaltung steht das Tierwohl im Fokus. Wenn Ferkelzüchter oder Mäster ins Tierwohl investieren möchten, stoßen sie zum Beispiel bei der Stallerweiterung vor baurechtliche Hürden, die die Bundesregierung zügig aus dem Weg räumen muss.
Schwarz-Grün will auch Photovoltaikanlagen auf landwirtschaftlichen Flächen ermöglichen. Verträgt sich das mit der Ernährungssicherung?
Gorißen: Es laufen Versuche, Photovoltaik mit Landwirtschaft zu verbinden und ich sehe gute Kombinationsmöglichkeiten. Zum Beispiel Photovoltaik über Obstbäumen. Die Bäume werden so vor Witterungseinflüssen geschützt.
Schwarz-Grün will den Nitrateintrag verringern. Wie soll das gehen in Zeiten, in denen eher mehr heimische Nahrungsmittel produziert werden sollen?
Gorißen: Da gibt es klare EU-Vorgaben. Es wird eine massive Ausweitung der so genannten ,Roten Gebiete' mit zu hoher Nitratbelastung geben. Die Dünge-Praxis wird sich ändern. Wir dürfen hier aber nicht pauschal vorgehen. Viele Betriebe sind schon sehr weit. Sie düngen satellitengesteuert und punktgenau die exakt nötige Menge. Wir möchten in Nordrhein-Westfalen das Netz der Nitrat-Messstellen weiter ausbauen, um die tatsächlichen Verursacher besser erkennen zu können. Wir haben schon jetzt ein sehr gut ausgebautes Messnetz.
Im Koalitionsvertrag steht, dass Sie ökologisch arbeitende Betriebe besonders fördern wollen. Ein Stichwort dazu ist "Kantinenprogramm". Was ist damit gemeint?
Gorißen: Wir möchten die Quote des Ökolandbaus in Nordrhein-Westfalen von sieben auf 20 Prozent in den nächsten Jahren erhöhen. Inzwischen gibt es die ersten Öko-Modellregionen in Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel im Kreis Kleve. Wichtig ist hier die regionale Vermarktung. Zum Beispiel wollen wir mehr regionale und saisonale Bio-Produkte für Kantinen in Verwaltungen und Schulen. Dazu führen wir die Initiative "NRW kocht mit Bio" durch.
Sie wollen den Tier- und den Arbeitsschutz in Schlachtbetrieben besser kontrollieren, auch durch Videoüberwachung. Was schwebt Ihnen vor?
Gorißen: Die Videoüberwachung in Schlachthöfen halte ich für wichtig. In den für den Tierschutz besonders sensiblen Bereichen wurden wiederholt Missstände aufgedeckt. Nordrhein-Westfalen hat zusammen mit anderen Ländern einen Bundesratsbeschluss erwirkt, der den Bund auffordert, rechtliche Möglichkeiten zu schaffen, Schlachtbetriebe per Video zu kontrollieren. Das muss aber bundesweit geschehen.
Hitze und Borkenkäfer setzen dem NRW-Wald zu. Wie stehen Sie dem Insektizid-Einsatz gegenüber?
Gorißen: Insektizide sind weder das einzige, noch das beste Mittel der Wahl, um den Wald zu retten, der unser wichtigster Klimaschützer ist.
Jetzt geht es um den Wiederaufbau der Wälder. Wir müssen erklären, wie die Wälder am besten wieder aufgeforstet werden. Wir reden hier über mehr als ein Jahrzehnt des Wiederaufbaus. Bei der Wiederaufforstung geht es darum, auf die Entwicklung vielfältiger, artenreicher und klimastabiler Mischwälder zu setzen. Mit Sorge beobachten wir, dass vereinzelt wieder Fichten gepflanzt werden, obwohl diese Baumart hier klimatisch keine Zukunft hat. Es muss noch mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden, bei der Aufforstung und bei der Waldbrand-Vorsorge. Es gibt auch einen Mangel an Jungpflanzen für die Aufforstung, denn viele Bäume produzieren wegen des Klimawandels zu wenige Samen.
Aber Sie wollen einen bewirtschafteten Wald, keinen flächendeckenden Ur- oder Naturwald in NRW, oder?
Gorißen: Ja, ich stehe für den bewirtschafteten Wald, der essenziell für die Resilienz der Wälder ist. Wir können nicht einfach die eigene Holzwirtschaft abschaffen und durch Holzimporte aus Drittländern kompensieren. Dann entstehen Carbon Leakage-Effekte und das schadet dem Klima. Es gibt in Nordrhein-Westfalen etwa 150.000 private Waldbesitzer, und die wollen wir gut begleiten. Wir bieten selbstverständlich Beratung an, die kostenfrei über Wald und Holz NRW erfolgt. Wir müssen zudem dafür sorgen, dass der wichtige Beruf des Försters in Zukunft attraktiv bleibt. Wie auch in anderen Berufsfeldern, schlägt hier der demographische Wandel zu.
Im Schulbereich ist dann schnell von Seiteneinsteigern die Rede. Ist es denkbar, Interessierte aus anderen Branchen für den Beruf des Försters zu qualifizieren?
Gorißen: Nur begrenzt, denn es handelt sich ja um eine duale Ausbildung. Wir müssen darüber nachdenken, Menschen, deren Arbeit eine fachliche Schnittmenge mit dem Försterberuf hat, für eine Tätigkeit in diesem Bereich zu qualifizieren.
Schwarz-Grün will Windräder auch auf sogenannten Kalamitätsflächen im Wald ermöglichen. Verträgt sich das mit der notwenigen Wiederaufforstung?
Gorißen: Wir brauchen gute Konzepte für beides. Alle Kalamitätsflächen und beschädigte Forstflächen sind für die Windenergie zu öffnen. Wir wollen zudem dem Landesbetrieb Wald und Holz NRW die Beteiligung an Windenergieprojekten erleichtern.
Haben Sie Verständnis für Tierzüchter, die den Abschuss von "Problem-Wölfen" fordern?
Gorißen: Um die Weidetierhaltung zu sichern, brauchen wir ein gutes Wolfsmanagement. Derzeit liegen dem Land keine Hinweise vor, dass sich spezielle Verhaltungsweisen in nordrhein-westfälischen Wolfsterritorien festgesetzt haben.
Müsste Fleisch besser gekennzeichnet werden, damit Verbraucher die Haltungsbedingungen und die Herkunft besser erkennen?
Gorißen: Der Bund plant eine fünfstufige, verpflichtende Kennzeichnung von frischem Schweinefleisch. Dieser Ansatz setzt voraus, dass Betriebe in der Lage sind, höherwertige Haltungsstufen zu erreichen und dies auch wirtschaftlich rentabel ist. Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Pläne des Bundes müssen deutlich nachgebessert werden. Es ist sinnvoll, eine Kennzeichnung auch auf verarbeitete Fleischwaren, auf Rindfleisch und Geflügel auszuweiten. Und es geht darum, den bürokratischen Aufwand bei der Kennzeichnung so gering wie möglich zu halten.