Essen. Eine Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke produziert mehr Atommüll. Zugleich laufen die Genehmigungen für die Zwischenlager bald aus.

Durch den Krieg in der Ukraine und die daraus folgende Energiekrise nimmt die Debatte um eine Verlängerung der Laufzeiten für die drei noch aktiven Kernkraftwerke in Deutschland immer mehr Fahrt auf. „Das kann Sinn machen“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kürzlich bei einem Besuch im Mülheimer Siemens-Werk.

Und auch die in NRW mitregierenden Grünen verschließen sich der Frage in dieser Krisenzeit nicht mehr grundsätzlich. Zunächst solle der Stresstest für die Stromversorgung abgewartet werden, heißt es. Doch eine zentrale Frage in der Debatte um die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke wurde bisher noch nicht beantwortet: Wohin mit dem Atommüll?

Mehr radioaktiver Abfall

Derzeit befinden sich die strahlenden Abfälle in Lagern an den AKW-Standorten oder in zentralen Zwischenlagern. „Es ist logisch, dass bei einem Weiterbetrieb der Kernkraftwerke mehr radioaktiver Abfall anfallen würde“, sagt Burghard Rosen, Sprecher der bundeseigenen Gesellschaft für Zwischenlagerung BGZ mit Sitz in Essen. Die BGZ ist verantwortlich für die „zuverlässige und sichere Zwischenlagerung“ atomarer Abfälle in Deutschland mit bundesweit 17 Standorten, einer davon ist Ahaus in NRW.

Burghard Rosen von der Gesellschaft für Zwischenlagerung in Essen.
Burghard Rosen von der Gesellschaft für Zwischenlagerung in Essen. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Ein Szenario für eine Zwischenlagerung zusätzlicher Atomabfälle gibt es offenbar noch nicht. „Nach dem Atomgesetz müssen die Kernkraftwerke zum 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden. Das ist der Stand der Dinge und damit arbeiten wir“, sagt Rosen von der Gesellschaft für Zwischenlagerung.

Zahlreiche Entsorgungsfragen sind bislang noch offen: Wird es einen Streckbetrieb geben mit den vorhandenen Brennelementen? Wird die Laufzeit nur eines Reaktors verlängert oder von mehreren? Wie lange sollen die Kraftwerke dann weiterlaufen? Ein Jahr, zwei Jahre oder länger? Von den Antworten hängt ab, ob und wie viele zusätzliche Castoren benötigt werden und wie viel zusätzlichen Abfall die Zwischenlager aufnehmen müssen. „Wir verfolgen natürlich die aktuelle Debatte. Konkrete Aussagen zu den Auswirkungen einer möglichen Laufzeitverlängerung können wir natürlich erst machen, wenn die Rahmenbedingungen dazu feststehen“, sagt Matthias Heck, Leiter des Bereichs Genehmigungen bei der BGZ in Essen.

Auswirkungen auf die Endlagersuche

„Grundsätzlich ist in unseren Zwischenlagern Kapazität vorhanden“, sagt Rosen. „Ob diese bei einer Laufzeitverlängerung ausreichen würde, hängt von den genannten Aspekten ab.“ Eine Genehmigung, um Brennelemente in Castoren zwischenzulagern, gibt es bislang nur für die bisherigen Brennelementetypen. Sollten Brennstäbe eines anderen Typs zum Einsatz kommen, wäre dafür eine neue, zeitaufwendige Genehmigung nötig, erklärt Heck. Doch damit nicht genug: Eines Tages müssten die Castoren in ein neues Endlager verbracht werden. Rosen: „Bei der Endlagersuche wird aber mit den bestehenden Abfallmengen kalkuliert, das würde sich dann ändern.“

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Wie viel zusätzlicher Strahlenmüll bei einer Verlängerung der Laufzeiten anfallen würde, sei derzeit nicht zu kalkulieren, erklären die Experten von der BGZ. „Darüber kann man nur spekulieren, es hängt von vielen Faktoren ab.“ Nach der planmäßigen Abschaltung der Kraftwerke Ende Dezember müssten jedenfalls rund 1900 Castoren eingelagert werden. Bei einer Verlängerung der Laufzeiten und dem Einsatz neuer Brennelemente dürften zahlreiche dieser sechs Meter großen und rund 110 Tonnen schweren Behälter hinzukommen.

Genehmigung für die Zwischenlager endet

Zugleich läuft in den kommenden Jahren die Genehmigung für den Betrieb der Zwischenlager in Deutschland nach 40 Jahren aus. Die Frist war ursprünglich politisch motiviert, denn bis heute ist die Sorge vieler Bürgerinnen und Bürger an den Lagerorten groß, dass diese klammheimlich zu Endlagern umfunktioniert werden. Die Genehmigung für Gorleben endet daher im Jahr 2034, für Ahaus 2036, bei den anderen Lagern läuft sie in den 2040er-Jahren aus. Das Problem: Ein Endlager für hochradioaktive Stoffe wird keinesfalls vor 2050 in Betrieb gehen, eher später.

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Da die Zwischenlager demnach noch viele Jahrzehnte benötigt werden, müssen die Betriebsgenehmigungen erneuert werden. „Das ist aber kein einfacher Verwaltungsvorgang, sondern bedarf aufwendiger Prüfungen und Forschungen“, erklärt Heck. „Wir müssen für die Zwischenlager komplett neue Genehmigungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erlangen“ - ein Prozess, der rund acht Jahre beanspruchen könne.

Provisorium für viele Jahrzehnte

So müsse zum Beispiel untersucht werden, ob die Dichtungen der Castor-Behälter sowie das Gussmaterial durch Strahlung und Hitze in Mitleidenschaft gezogen wurden oder ob sie noch weitere Jahrzehnte durchhalten. Dazu hat die Essener BGZ bereits ein umfangreiches Forschungsprogramm gestartet.

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Wenn im Idealfall im Jahr 2050 ein Endlager in Deutschland in Betrieb genommen wird, dürften noch weitere Jahrzehnte ins Land gehen, bis sämtliche Castoren aus allen Zwischenlagern in Deutschland abtransportiert und in tiefen geologischen Schichten für alle Ewigkeit eingelagert sind. „Wir stellen uns auf einen Zeitraum bis 2080 ein“, sagt Rosen. Das bedeutet: Die Laufzeit der Zwischenlager müsste um mindestens 50 Jahre verlängert werden. An Standorten wie Ahaus dürfte das kaum Freude auslösen.

>>>> Das Zwischenlager in Jülich

Auch am Standort des ehemaligen Forschungsreaktors in Jülich (NRW) lagert hochradioaktiver Abfall in 152 Castor-Behältern. Wegen fehlender Erdbebensicherheit sollte das Zwischenlager „unverzüglich“ geräumt werden, verfügte das NRW-Wirtschaftsministerium als zuständige Atomaufsichtsbehörde. Das war im Jahr 2014.

Drei Alternativen werden seither geprüft: Rücktransport in die USA, Bau eines erdbebensicheren Lagers in Jülich oder Abtransport ins Zwischenlager Ahaus. Für die heikle Fahrt durchs Rheinland und das Ruhrgebiet gab es aber nie eine Transportgenehmigung. Ergebnis: Der Atommüll steht immer noch in Jülich.

Die neue schwarz-grüne Landesregierung will laut Koalitionsvertrag die Zahl der Atomtransporte grundsätzlich verringern. Auf Seite 18 haben die Koalitionäre festgehalten: „Im Fall der in Jülich lagernden Brennelemente bedeutet dies, dass wir die Option eines Neubaus eines Zwischenlagers in Jülich vorantreiben.“