Jülich/Essen. . Trotz Erdbebengefahr: Gutachten macht den Neubau eines Zwischenlagers in Jülich wahrscheinlicher. Für Abtransport des Mülls fehlt Genehmigung.

Eigentlich sollte das Zwischenlager für Jülicher Atommüll längst geräumt sein. Wegen fehlender Erdbebensicherheit verfügte das NRW-Wirtschaftsministerium als zuständige Atomaufsicht bereits 2014 die Räumung des Lagers, in dem 152 Castorbehälter stehen. „Unverzüglich“ müsse die Anordnung umgesetzt werden, hieß es damals, denn das Rheinland zählt zu den am stärksten durch Erdbebeben gefährdeten Regionen Deutschlands. Dennoch wurden die Castoren bis heute keinen Millimeter bewegt.

Doch nun deutet sich bei dem ausstehenden Nachweis für die Erdbebensicherheit des Lagers eine Lösung an, teilte die Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen (JEN) mit. Die zuständige Genehmigungsbehörde, das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE), habe die Grundlagen zur Berechnung der Erdbebensicherheit akzeptiert, sagte JEN-Sprecher Jörg Kriewel. Damit wird ein möglicher Neubau eines erdbebensicheren Lagers in Jülich wahrscheinlicher. Der Strahlenmüll würde in dem Fall die kommenden Jahrzehnte in Jülich bleiben. Parallel verfolgt die JEN aber zwei weitere Optionen. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Welches Material lagert in Jülich?

Seit über 30 Jahren stehen 152 Castorbehälter mit knapp 300.000 überwiegend hochradioaktiven Brennelementen in einem Zwischenlager auf dem Gelände des Forschungszentrums Jülich. Sie stammen aus dem Kugelhaufen-Versuchsreaktor, der 1988 nach 21 Betriebsjahren und diversen Störfällen stillgelegt worden war. Jeder Castorbehälter ist 2,70 Meter hoch und rund 27 Tonnen schwer. Die Genehmigung für dieses Lager lief 2013 aus.

Wieso kann der Atommüll nun länger gelagert werden?

Eine Verlängerung der Genehmigung für den Betrieb des Zwischenlagers scheiterte bislang an dem fehlenden Nachweis der Erdbebensicherheit, so JEN-Sprecher Kriewel. Drei Fragekomplexe mussten geklärt werden: Können die Castoren bei einem Beben den Einsturz der Halle unbeschadet überstehen? Und: Können die gestapelten Behälter bei Erdbewegungen umkippen? Diese Probleme konnten laut JEN ausgeräumt werden. Schwieriger war die Frage, wie sich der Untergrund unter dem Fundament bei einem Erdbeben verhält. „Dazu wurden in einem komplizierten wissenschaftlichen Verfahren die seismischen Kenngrößen des Untergrunds ermittelt“, erklärt Kriewel. Diese Methodik hat das BfE nun akzeptiert.

Was bedeutet das für das Zwischenlager in Jülich?

Auf Basis dieser Kenngrößen werde nun der Antrag auf Fortführung des Zwischenlagers aktualisiert. Bis zu einer möglichen Genehmigung des Altlagers durch das BfE könnten aber noch etwa zwei Jahre vergehen. Die weitere Laufzeit wäre in dem Fall drei Jahre. Sollte diese erfolgen, wäre nach Ansicht der JEN die Räumungsanordnung aus dem Jahre 2014 hinfällig. Darüber hinaus könne auf Grundlage der seismischen Daten ein neues, erdbebensicheres Zwischenlager auf dem Gelände des Forschungszentrums Jülich geplant werden. „Diese Option nimmt nun Fahrt auf“, meint Kriewel.

Wie reagieren die atomkritischen Grünen in NRW?

Die Grünen begrüßen diese Entwicklung, da sie den Abtransport des Atommülls aus Sicherheitsgründen ablehnen. „Der Neubau eines Zwischenlagers vor Ort ist mittelfristig die beste Lösung, um mit den Hinterlassenschaften der jahrzehntelangen Atomforschung in Jülich umzugehen“, sagte Wibke Brems, Grünen-Abgeordnete im NRW-Landtag, dieser Redaktion. „Daher ist es gut, dass die JEN bei ihrem Nachweis zur Erdbebensicherheit einen entscheidenden Schritt weiter gekommen ist“, so Brems.

Welche Optionen verfolgt die JEN außerdem?

Für die Zukunft der Castoren werden insgesamt drei Varianten geprüft. Erstens der Bau eines erdbebensicheren Neubaus. Problem: Ein Neubau koste mindestens 40 Millionen Euro und nehme zehn Jahre in Anspruch. Das wäre nicht die von der Landesregierung gewünschte „unverzügliche“ Lösung.

Die zweite Option ist ein Transport des Strahlenmülls ins Brennelemente-Zwischenlager in Ahaus. Die Genehmigung für die Einlagerung der Jülicher Castoren hat das BfE bereits erteilt. Problem: Es gibt keine Transportgenehmigung für die Fahrt durch NRW.

Die dritte Möglichkeit ist der Transport der alten Brennelemente in die USA, wo das Material ursprünglich herkommt. Die Amerikaner haben ihre Bereitschaft zu einer Rücknahme bereits bekundet. Problem: Auch für die Fahrt der Castoren zu einem deutschen Seehafen fehlt eine Transportgenehmigung.

Welche Variante ist die wahrscheinlichste?

Obwohl nun einiges für einen Neubau in Jülich spricht, ist noch nichts entschieden. Derzeit verhandelt die JEN mit dem Forschungszentrum Jülich über ein geeignetes Grundstück, nachdem ein vor Jahren in den Blick genommenes Gelände nicht mehr in Frage kommt. „Bis zum Herbst haben wir eine spruchreife Lösung“, glaubt Kriewel. Dann könne mit den seismologischen Untersuchungen des Bodens begonnen werden.

Ist es nicht einfacher, den Müll nach Ahaus zu bringen?

Auch dafür spricht nach Ansicht von Experten vieles. Schließlich liegt Ahaus nicht in einem Erdbebengebiet. Zugleich zahlen die Jülicher bereits Miete für das noch nicht genutzte Lager. Die Schwierigkeiten liegen im Transport der Castorbehälter über öffentliche Straßen in NRW.

Warum ist der Transport so kompliziert?

Seit das Bundesumweltministerium die Auflagen verschärft hat, müssen Atomtransporte gegen terroristische Angriffe besonders geschützt werden. Maßgeblich sind die „SEWD-Richtlinien“ gegen „Störmaßnahmen Dritter“ – auch „Terror-Richtlinien“ genannt. Die Jülicher betreten damit Neuland. „Wir sind die ersten, die Transporte auf der Straße nach den neuen Auflagen genehmigen lassen müssen“, sagt Kriewel. Nötig sind speziell gepanzerte Zugmaschinen und Auflieger, die mit Stahlplatten und anderen Maßnahmen gegen Angriffe geschützt werden müssen.

Verfügt Jülich über solche Panzer-Transporter?

Drei solcher Zugmaschinen hat die JEN bereits angeschafft, sie werden derzeit umgebaut. Am Ende wird jedes Fahrzeug etwa eine Million Euro kosten. Die schweren Gespanne werde Überbreite und -länge haben. Einige Brücken auf der Strecke machen den Planern bereits Sorgen. Erste Transporte nach Ahaus sollten Ende 2019 stattfinden, dieser Termin sei wegen der aufwendigen Umbauten aber nicht einzuhalten.

Sollte es allerdings zu einem Neubau des Zwischenlagers in Jülich kommen, „können wir die teuren Fahrzeuge nicht mehr gebrauchen“, sagt Kriewel.