Essen. Einiges spricht dafür, dass es bisher nur eine leichte Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf den ÖPNV gegeben hat.
In den anhaltenden Streit über eine mögliche Verlängerung des 9-Euro-Tickets im Nahverkehr und dessen künftige Finanzierung mischt sich nun eine Debatte um den Einfluss des Billig-Tarifs auf das Mobilitätsverhalten der Menschen.
Bislang 38 Millionen verkaufte Tickets
Mit bundesweit 38 Millionen verkauften 9-Euro-Tickets kann der Aktion der Erfolg zwar kaum mehr abgesprochen werden. Die „Öffis“ haben seit dem Start des Tickets einen regelrechten Boom erlebt. Doch wie sehr die Aktion einen Hinweis darauf gibt, ob und wie sich das Verkehrsverhalten tatsächlich nachhaltig verändert, wenn man den ÖPNV nur billig genug macht, darüber herrscht weiter Unklarheit.
Datenlage bislang offenbar relativ dünn
Nützt die Aktion also, um mehr Menschen dazu zu bewegen, das Auto stehen zu lassen und auf Busse und Bahnen auszuweichen? „Tatsächlich ist die Datenlage nach wie vor sehr dünn“, sagt etwa Philipp Kosok, Verkehrsforscher beim Interessenverband Agora Verkehrswende. „Wir wissen belastbar bislang recht wenig.“ Etwas mehr als eine Handvoll Studien seien ihm bekannt, die wissenschaftlichen Standards genügten.
Auswertung von Handydaten
Im Juni, dem ersten Monat der Rabattaktion, sah das zunächst anders aus: Damals machte eine Google-Auswertung von Handydaten im Umfeld von Bahnhöfen und Haltestellen Schlagzeilen. Demnach nutzten etwa elf Prozent mehr Menschen öffentliche Verkehrsmittel als im Vormonat Mai. In NRW waren die Zahlen sogar um 14 Prozent gestiegen. Der Verkehrsdatenspezialisten Tomtom stellte im selben Zeitraum zudem einen Rückgang des Stauniveaus in 23 von 26 untersuchten Städten im Vergleich zur Zeit vor Einführung des Tickets fest.
Eine Auswertung von Mobilfunkdaten durch das Statistische Bundesamt ergab Anfang Juli, dass die bundesweiten Bewegungen im Schienenverkehr im Juni im Schnitt 42 Prozent höher waren als im Juni 2019, dem Jahr vor der Pandemie. Kürzere Bahnfahrten (30 bis 100 Kilometer) nahmen in der ersten Juniwoche sogar um 58 Prozent gegenüber dem Vorkrisenniveau zu.
„Das Ticket führt zu einer höheren Nutzung des Öffentlichen Verkehrs, aber vor allem selektiv auf bestimmten Strecken - sogar soweit, dass dort der Verkehr zusammenbricht“, sagt Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW).
Ticket hat zusätzlichen Verkehr erzeugt
Laut dem Branchenverband VDV wäre allerdings ein Viertel der im ÖPNV angetretenen Fahrten ohne das Ticket gar nicht erst gemacht worden. Es handelt sich also um zusätzlichen Verkehr, nicht um Ersatzfahrten, die sonst mit dem Auto gemacht worden wären. HTW-Forscher Böttger: „Aus den bisherigen Untersuchungen lässt sich nur ein leichter Verlagerungseffekt von der Straße auf den öffentlichen Verkehr von bestenfalls zwei bis drei Prozent erkennen.“ (mit dpa)