Essen. Schulen in NRW sollen selbst entscheiden, wann der Unterricht startet – über die Idee diskutiert die Politik erneut. Vorteile und Nachteile.
Frühmorgens aus dem Bett quälen, in den Bus steigen und um 8 Uhr im Klassenzimmer sitzen: So sieht der Alltag von vielen Schülerinnen und Schülern aus. Aber vielleicht könnte der Traum vom entspannten Ausschlafen bald wahr werden. Denn die Politik diskutiert erneut über das immer wiederkehrende Thema: Sollen Schulen in NRW selbst entscheiden, wann der Unterricht startet?
Die Idee steht im Vertrag der neuen schwarz-grünen Koalition. CDU und Grüne wollen Schulen ermöglichen, den Beginn auf 9 Uhr festzulegen. Dafür wäre ein Beschluss der Schulkonferenz nötig, dem höchsten Gremium an jeder Schule. Bisher regelt die Schulvorschrift in NRW, dass der Unterricht zwischen 7.30 und 8.30 Uhr beginnt.
Wissenschaftliche Studien: Jugendliche haben einen anderen Schlaf-Rhythmus
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Geht es nach Schlafforschern, würde der Unterricht schon längst später starten. Die Wissenschaft weiß bisher nicht nur, dass es unterschiedliche Schlaf-Rhythmen gibt – die bekannten Früh- und Spätaufsteher. Studien zeigen auch: Das Alter hat Einfluss auf den Schlaf. Kinder und Jugendliche haben einen anderen Rhythmus als Erwachsene und stehen in der Regel später auf.
Dass Schülerinnen und Schüler zu wenig schlafen, hat ein Forscherteam schon vor zehn Jahren herausgefunden. An der Studie der Universität Marburg hatten knapp 9000 Jugendliche teilgenommen. Für den Schlafmangel gab es laut den Wissenschaftlern zwei Gründe: Den frühen Unterrichtsbeginn und das späte Schlafengehen.
Schlafmediziner aus NRW rät zu späterem Unterrichtsbeginn
„Lernen erfordert, dass wir gut schlafen. Denn die Gedächtnisbildung erfolgt auch im Schlaf“, sagt Georg Nilius. Er leitet ein Schlaflabor in den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte und ist Vorsitzender der Nordrhein-Westfälischen Gesellschaft für Schlafmedizin. Allgemein gelte auch: Wer dauerhaft zu wenig – oder auch zu viel schläft – ist anfälliger für Krankheiten.
„Menschen benötigen zwischen sechs und neun Stunden Schlaf pro Nacht – je nach persönlichem Rhythmus.“ Chronischer Schlafentzug könne bei Kindern zu schlechteren Noten führen. Ein späterer Unterrichtsbeginn sei deshalb eindeutig besser. „Aber das ist nur die Sichtweise der Medizin. Die Entscheidung hat ganz viele Dimensionen“, betont Professor Nilius.
NRW-Elternverein: „Welches Kind will erst um sechs Uhr abends nach Hause kommen?“
Mögliche Konflikte zählt der Elternverein in NRW auf. Ein späterer Schulstart sei zum Beispiel für viele Familien unzumutbar. „Viele Eltern verlassen morgens um halb Acht das Haus, um rechtzeitig am Arbeitsplatz zu sein“, sagt Regine Schwarzhoff, Stellvertretende Vorsitzende. Außerdem müssten regionale Verkehrsbetriebe einbezogen werden. „Man braucht auch passende Fahrmöglichkeiten in Bus und Bahn.“
Der Elternverein rät Jugendlichen daher, früher ins Bett zu gehen. „Wenn sie das nicht gelernt haben, kommt womöglich später das böse Erwachen und sie sind nicht ausbildungsfähig“, so Schwarzhoff. Schule sei kein Spaß – und zum Lernen gehöre auch der Willen. „Es geht darum, in der Schule fit für das Leben zu werden.“ Ein weiteres Gegenargument: „Welches Kind will erst um sechs Uhr abends nach Hause kommen?“ Der ganze Tag verschiebe sich mit einem späten Unterrichtsbeginn.
Ihre Meinung formuliert Schwarzhoff eindeutig: „Man kann die Uhrzeit verschieben, solange man will. Man wird nie alle zufriedenstellen. Deshalb sollte man es gleich sein lassen.“ Das Thema sei mühselig. Es gebe immer wieder Bestrebungen von der Politik, es auf den Tisch zu bringen. „Aber es wird davon nicht besser und auch nicht stimmiger.“
Die Schulleitungsvereinigung NRW und der Verband Bildung und Erziehung teilen die Einschätzung. Auch sie hatten kürzlich vor der Betreuungssituation von Familien gewarnt. Auch Aspekte wie das Raumangebot an Schulen und flexiblere Arbeitszeiten für Lehrer müssten bedacht werden.
Zukunftsvertrag will für Schulen mehr Eigenverantwortung
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NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) erklärte hingegen im Interview mit der Rheinischen Post: „Wir haben im Zukunftsvertrag festgehalten, dass wir die Eigenverantwortung von Schulen grundsätzlich stärken wollen. Dazu gehört auch, dass wir ihnen die Möglichkeit geben wollen, den Schulbeginn auf bis zu 9 Uhr festzulegen.“
Der Beschluss der Schulkonferenz sei gerade deshalb notwendig, um die Bedürfnisse von Eltern, Verkehrsunternehmen und Kommunen zu vereinen. Auch die Kommune solle in die Entscheidung einbezogen werden. Letztlich müsse es vor Ort entschieden werden, sagte Feller zuletzt bei der Landespressekonferenz im Düsseldorfer Landtag.
Unabhängig von der politischen Debatte gibt Schlafmediziner Georg Nilius noch einen Tipp: „Wer gut schlafen will, der sollte am Abend kein Internet benutzen. Also Fernsehzeiten begrenzen, keine Online-Spiele, und so weiter.“ Er rät dazu, am Tag etwas Sport zu treiben und am Abend auf aufputschende Mittel wie Kaffee oder Energiedrinks zu verzichten. „Guter Schlaf ist wichtig für jeden von uns.“