Essen. Neue Studie: NRW kann aus Personalnot den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule kaum umsetzen. Gewerkschafts-Appell ans Land.
Die Gewerkschaften in NRW machen Druck auf die Landesregierung, mit mehr Tempo Fachkräfte für den Ganztag zu gewinnen. Die Personalsituation spitze sich immer weiter zu, warnte Sandra van Heemskerk, Landesvize der Komba Gewerkschaft NRW. Die neue Landesregierung dürfe keine Zeit verlieren, eine im Koalitionsvertrag zugesicherte Fachkräfte- und Qualitätsoffensive für frühkindliche Bildung und Ganztag umzusetzen. „Sonst kommen wir einem Kollaps der Systeme immer näher“, mahnte van Heemskerk.
Laut einem Report der Bertelsmann-Stiftung ist die Personallücke im Erziehungsdienst in NRW so groß, dass das Land es nach aktuellem Stand nicht schaffen werde, den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz für Grundschulkinder umzusetzen. Ab dem Schuljahr 2026/27 haben Erstklässler per Bundesgesetz Anspruch auf die Betreuung über die Schulstunden hinaus, bis 2030 soll dies auf alle Kinder im Grundschulalter ausgeweitet sein.
In NRW fehlen rund 17.000 Fachkräfte
In NRW fehlen dazu laut „Fachkräfteradar“ rund 17.000 Fachkräfte. Selbst wenn Eltern eine deutlich kürzere Übermittagsbetreuung für ihre Kinder in Anspruch nehmen, fehlen noch rund 7000 Beschäftigte landesweit. Laut Prognose kommen aber bis 2030 nur um die 3000 neue Fachkräfte dazu.
„NRW kann die Umsetzung des Rechtsanspruchs nicht für alle Kinder bis 2030 stemmen, denn der Fachkräftebedarf ist bis dahin kaum zu decken“, sagte Studienautorin Kathrin Bock-Famulla der Nachrichtenagentur dpa. Bundesweit klafft eine Personallücke von über 100.000 Menschen, um eine laut Stiftung flächendeckende und personell gut ausgestattete Ganztagsförderung zu ermöglichen.
Städte- und Gemeindebund NRW: Land muss Starttermin kritisch prüfen
Christof Sommer, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds in NRW, forderte die neue Landesregierung auf, das Thema mit höchster Dringlichkeit anzupacken.
„Wir haben bis heute keinen Überblick, wo in welchem Umfang ausgebaut werden muss und welche Qualifikation eine Fachkraft für den Ganztag mitbringen sollte“, mahnte Sommer. Spätestens 2024 müsse man kritisch prüfen, ob der Starttermin 2026 zu halten ist.
Verdi: Mehr Platz in den Ballungszentren für pädagogischen Nachwuchs schaffen
Die Gewerkschaft Verdi forderte, dass NRW mehr Plätze für den pädagogischen Nachwuchs an den Fachschulen schafft. „Gerade in Ballungszentren fehlen uns diese Plätze schon heute“, sagte Marlene Seckler von Verdi NRW. Die frühere schwarz-gelbe Landesregierung habe zwar mehr Studienplätze für Dozenten und Dozentinnen im Erziehungswesen geschaffen. Die Zahl der Fachschulen aber sei auf dem gleichen Niveau wie 2017. Verdi dringt auf ein OGS-Gesetz. Das kündigte die schwarz-grüne Landesregierung im Koalitionsvertrag an.
In NRW nutzen derzeit knapp die Hälfte der Kinder im Grundschulalter ein Ganztagsangebot und 19 Prozent ein Übermittagsangebot bis ca. 14.30 Uhr. Mit dem Rechtsanspruch fehlen laut Report rund 260.000 Plätze.
Träger: Fachkräfte im Ganztag entlasten
Träger der Freien Wohlfahrt fordern ein Maßnahmenpaket gegen den Fachkräftemangel. Tim Rietzke, Ganztags-Fachmann bei der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrt in NRW, warb zugleich für Entlastungen: „Wir brauchen im Ganztag ein gewisses Niveau, aber es gibt auch Aufgaben, die nicht-pädagogisches Personal übernehmen kann“, so Rietzke. Beispielhaft nennt er das landesfinanzierte Helferprogramm, mit dem Kitas und Offene Ganztagsschulen in der Pandemie unterstützt worden sind.
Auch Rietzke machte Druck: Bis 2024 müsse in NRW der Rahmen für den Ganztag gesetzlich abgesteckt sein, damit Träger ihre Teams aufrüsten können.