Bielefeld/Bonn. Während die Union den Koalitionsvertrag im Eiltempo durchwinkt, tut sich ein Teil der grünen Partei schwer mit dem neuen Bündnis.

CDU und Grüne machten am Samstag auf Parteitagen in Bonn und Bielefeld den Weg frei für die erste schwarz-grüne Landesregierung in NRW. Die Delegierten stimmten über den Koalitionsvertrag ab, den die künftigen Regierungspartner in den vergangenen drei Wochen verhandelt hatten. Bei der Union ging dies rasant: Eine große Mehrheit stimmte schon am Mittag per Handzeichen dafür. Die Grünen nahmen sich mehr Zeit und tun sich schwerer mit dem 146 Seiten starken „Zukunftsvertrag“ für NRW. Am Ende stimmten aber 216 Delegierte mit Ja, 30 mit Nein, acht enthielten sich.

Neubaur: "Die Realität da draußen ist knallhart"

„Ich mache Euch ein Angebot“, sagte Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur am Samstag den Delegierten in der Stadthalle Bielefeld, zu Tränen gerührt, weil die Delegierten ihr stehend applaudierten. Die Grünen hätten erfolgreich verhandelt, versicherte Neubaur: Die 1000-Meter-Abstandsregel für Windräder werde abgeschafft, die Grünen seien für die Landesplanung zuständig, das Landtagswahl-Alter werde auf 16 Jahre gesenkt, Schulen in sozialen Brennpunkten besser ausgestattet und die Mobilitätswende vorangetrieben.

„Wir müssen Lager übergreifend denken“, betonte die 44-Jährige, die „Superministerin“ für Wirtschaft, Energie und Klimaschutz sein wird. Die schwarz-grüne Koalition entstehe in schwieriger Zeit: „Die Realität da draußen ist knallhart“, warnte Neubaur mit Blick auf die Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine.

Protest vor der Stadthalle Bielefeld

Die Delegierten mussten auf dem Weg in die Bielefelder Stadthalle durch ein Spalier aus Klima- und Naturschützern sowie Beschäftigten der Uni-Kliniken, die für einen „Tarifvertrag Entlastung“ streiken. „Dieser Koalitionsvertrag ist zu unkonkret, vor allem bei der Braunkohle. Da fehlt klare Kante“, sagten zum Beispiel Beate (56) und Wolfram (74) aus Wuppertal. Eckardt Heukamp, der letzte Garzweiler-Bauer, fuhr mit einem Traktor vor die Stadthalle. Die Grünen hätten nichts Konkretes für den vom Abrissbagger bedrohten Ort Lützerath erreicht, schimpft er. Ein Mann brüllt: „Wo kriege ich meine Stimme zurück?“

Kölner Landtagsabgeordneter Klocke fühlt sich ausgegrenzt

Trotz 85 Prozent Zustimmung zum Koalitionsvertrag gärt es auch unter der Partei-Oberfläche, besonders bei einigen Altgedienten in der Landtagsfraktion. Der Abgeordnete, Verkehrsexperte und Wahlkreisgewinner aus Köln, Arndt Klocke, ärgert sich darüber, dass Mona Neubaur ihn überraschend bei der Verteilung der Ministerien übergeht: „Meine Wahrnehmung ist, dass unsere Parteispitze in NRW in den letzten zwei Jahren ein Closed Shop geworden ist, der erfahrene Fachpolitiker wie mich bei zentralen Entscheidungen nicht einbindet und bewusst ausgegrenzt. Der das offene Wort auf Augenhöhe scheut und einen vor vollendete Tatsachen stellt. Das ist ein Führungsstil, der nicht zur grünen Kultur einer offenen Partei passt“, sagte er dieser Redaktion.

Klocke reibt sich sehr an der geplanten Zusammenlegung von Verkehrs- und Umweltministerium. Andere Landtagsabgeordnete, darunter der Umweltexperte Norwich Rüße, beschweren sich gegenüber der Fraktionsspitze darüber, dass das Landwirtschafts- vom Umweltressort abgetrennt wird. „Das halte ich für grundfalsch“, sagte Rüße in Bielefeld.

Grüne-Jugend-Sprecherin Dichant: "Dieser Vertrag reicht nicht aus"

Die Grüne Jugend hadert mit dem Vertrag. Die Vorsitzenden, Nicola Dichant und Rênas Sahin, rieten den Delegierten zur Ablehnung, denn der Kompromiss zwischen CDU und Grünen trage weder sozial noch klima- noch innenpolitisch. „Regieren darf kein Selbstzweck sein“, warnte Rênas Sahin. „Der K-Vertrag reicht nicht aus“, grollte Nicola Dichant. Er erhalte keine Mietpreisbremse, 45.000 Sozialwohnungen in fünf Jahren seien zu wenig, und bei der Finanzierung wichtiger Vorhaben bleibe das Papier dünn. Die Stimmung in der Partei sei „durchmischt“.

Wie durchmischt, war in Bielefeld an den Äußerungen des designierten NRW-Verkehrs- und Umweltministers Oliver Krischer und seines Sohnes Stefan zu erkennen. Während Oliver Krischer das Bündnis zwischen CDU und Grünen „richtig und notwendig“ nannte, sagte sein Sohn, der Koalitionsvertrag fühle sich an, „wie ein Schlag ins Gesicht“ und falle der Klimabewegung „an essenziellen Stellen in den Rücken“.

CDU hakt das Thema K-Vertrag im Eilverfahren ab

Von Diskussionen wie diesen ist die CDU in NRW weit entfernt. Sie schaltete bei der Abstimmung über den Koalitionsvertrag den Turbo ein und sagte in Bonn schon Ja, als die Grünen in Bielefeld gerade erst in den Parteitag starteten. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bezeichnete das Papier als „guten Vertrag für das Land, für die Menschen und die Zukunft unserer Kinder.“ Seine Partei sieht das offenbar genauso.