Düsseldorf. Was denken und was fühlen Russlanddeutsche in NRW im Angesicht des Krieges? Dietmar Schulmeister aus der Landsmannschaft erklärt es.
Dietmar Schulmeister aus dem Vorstand der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland in NRW berichtet von Bedrohungen gegen Kinder auf Schulhöfen und demütigendes Verhalten von Lehrern. Dabei demonstrierten viele Russlanddeutsche, Russen, Belarussen und Ukrainer in NRW "Hand in Hand gegen Putin".
Herr Schulmeister, wo steht die Landsmannschaft der Russlanddeutschen in diesem Konflikt? Ist die Mehrheit auf der Seite des Westens?
Dietmar Schulmeister: Eines muss ich vorab erklären: Die Bezeichnung „Russlanddeutsch“ führt oft in die Irre. Es handelt sich nicht um Russlandstämmige, sondern um deutschstämmige Bürger aus den ehemaligen Staaten der Sowjetunion. Das ist wichtig. Die Geschichte der Russlanddeutschen ist voller Repressalien, vor allem durch die Sowjetunion.
In meinem Umfeld der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland haben die Menschen eine klare Haltung zum Krieg in der Ukraine: Dort geschieht Unrecht, es ist ein Angriffskrieg. Wir haben allerdings in unseren Reihen einige Menschen, die nur russisches Fernsehen sehen. Die Konfliktlinie ist daher nicht russlanddeutsch oder nicht, sondern es geht um Menschen, die hier angekommen sind und solche, die russische Staatspropaganda konsumieren.
Wie viele Russlanddeutsche in NRW und andere Bürger mit Beziehungen in die Staaten der Ex-UdSSR werden durch die Kreml-Propaganda manipuliert?
Schulmeister: Es gibt dazu keine validen Daten. Mein persönlicher Eindruck ist, dass die, die in NRW ständig russisches Fernsehen konsumieren, 20 bis 30 Prozent unter denen ausmachen, die familiäre Wurzeln in den Staaten der früheren Sowjetunion haben. Die Schließung des deutschsprachige Services von Russia Today und Sputnik wird unserer Demokratie guttun, jedoch wird es das Problem mit der russisch-sprachigen Kreml-Propaganda nicht einfach lösen. Jetzt kann sich niemand mehr auf „alternative Fakten“ berufen. Hier müssen andere Lösungen her.
Das bedeutet, eine Mehrheit ist gegen Putin?
Schulmeister: Viele Russlanddeutsche, Russen, Belarussen, Ukrainer in NRW demonstrieren Hand in Hand gegen Putin, packen Hilfspakete, verteilen Sachspenden. Dieser Krieg ist nicht Russlands Krieg, sondern Putins Krieg gegen die Menschlichkeit. In Russland protestieren Menschen in der Öffentlichkeit, wissend, dass sie damit 20 Jahre Haft riskieren.
Wegen der Desinformation des Kreml ist es so wichtig, dass diejenigen, die in NRW leben und Beziehungen nach Russland haben, ihre Verwandten und Freunde dort aufklären. Seit der Sperrung von Facebook und Twitter leben die Russen praktisch in einer anderen Welt. Sie werden, wie die Menschen in China, abgeschirmt von freien Medien. Es gibt nur eine Handvoll unabhängige Medien in Russland.
Wie sehr spaltet dieser Krieg die Community?
Schulmeister: Sehr. Es ist ein Generationenkonflikt, er sät Konflikte zwischen Freunden und Nachbarn, er zerreißt Familien. Manche wollen nicht mehr über Politik sprechen, aber das ist inmitten dieser humanitären Katastrophe unmöglich. Man muss es aussprechen, selbst dann, wenn man Angst vor familiärem Streit hat.
Der Chef der NRW-SPD, Thomas Kutschaty, hat gesagt, es sei wichtig, dass wir diesen Angriff Putins auf das ukrainische Volk nicht auf deutsche Schulhöfe tragen. Hat die Landsmannschaft Angst vor Diskriminierung?
Schulmeister: Es ist verständlich, dass sich derzeit viele an Russland reiben, weil von dort ein Angriffskrieg geführt wird. Man darf den Krieg aber nicht hierhin tragen. Vor allem sollten nicht Kinder auf Schulhöfen bedroht werden oder von Lehrern bloßgestellt werden. Leider erreichen mich immer mehr Informationen über solche Fälle. In Berlin hat eine Lehrerin eine russlanddeutsche Schülerin vor der ganzen Klasse brüskiert. Es gibt viele Russlanddeutsche, die in diesen Tagen Diskriminierung erfahren, in der Schule und am Arbeitsplatz. Diesen Menschen, die Deutsche sind, können nichts dafür, dass sie in Russland geboren wurden.