Essen. Der verheerende Brand in Essen rückt Fassaden erneut in den Fokus. Feuerwehren warnen: In nur zehn Minuten kann ein Gebäude in Flammen stehen.

Rasend schnell griffen die Flammen um sich. Als die Feuerwehr eintraf, stand der Gebäudekomplex mit 50 Wohneinheiten in der nördlichen Innenstadt von Essen bereits in Vollbrand. Über die genaue Ursache des verheerenden Feuers ist noch wenig bekannt. „Die rasante Ausbreitung des Brandes ist sehr ungewöhnlich. Das sehen wir in dieser Geschwindigkeit selten“, sagt Dietmar Grabinger, Brandschutzexperte beim Feuerwehr-Verband NRW, dieser Redaktion.

In den Fokus gerät einmal mehr die Fassadendämmung des Gebäudes sowie die Ausbreitung der Flammen über die Balkone. „Wenn das Feuer von unten nach oben läuft, löst sich die Fassade in der Hitze auf. Das wirkt dann wie Diesel, wie ein Brandbeschleuniger“, sagt Branddirektor Grabinger.

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Tatsächlich war die Feuerwehr in Essen in den frühen Morgenstunden am Montag zunächst wegen eines Feuers auf einem Balkon alarmiert worden. Nach ersten Erkenntnissen haben sich die Flammen von dort aus vermutlich über die Fassadendämmung ausgebreitet, zusätzlich angefacht von starken Windböen.

Feuerwehr: Wir sorgen uns seit Jahren

Großbrand in Essen- Ganzer Wohnkomplex stand in Flammen

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    Sachverständige müssen nun klären, ob in dem Wärmedämmverbundsystem die Brandschutzriegel ordnungsgemäß eingebaut worden sind. Derartige Dämmsysteme sind laut Grabinger inzwischen Standard an neueren Gebäuden sowie bei der Nachrüstung älterer Bauten. Doch nicht nur die Dämmung, auch Balkongeländer und Abtrennungen aus Plexiglas könnten den Essener Brand angefacht haben. „Hier war sehr viel Plastik verbaut“, sagte ein Feuerwehrmann vor Ort.

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    „Wir sorgen uns seit Jahren um das Brandgeschehen solcher Fassaden“, sagt Christoph Schöneborn, Landesgeschäftsführer des Feuerwehr-Verbands NRW. Zwar müssten Ermittlungen noch zeigen, inwieweit die Wärmedämmung der Fassade den Brand tatsächlich begünstigte, ob der Brandschutz sachgemäß ausgeführt wurde und welche Materialien verwendet wurden. Doch wenn Wärmeverbundsysteme aus Schaumstoffen wie etwa Polystyrol Feuer fingen, seien die Folgen oftmals besonders gravierend.

    Rettungseinsätze schwierig

    „Das stellt die Feuerwehren vor enorme Herausforderungen“, so Schöneborn. „Das Feuer kann sich dann so schnell von außen vorarbeiten, dass es sich schon bis zum Dach ausgebreitet hat, bevor die ersten Kräfte eintreffen.“ Eine ähnliche Situation fanden die Feuerwehrkräfte beim Brand in Essen vor. „Das Problem ist dann, schnell genug vor Ort zu sein, um Menschenleben zu retten.“ Brennt eine Fassade, kann die Feuerwehr dort keine Rettungsleitern einsetzen. Dann bleibt nur noch das Treppenhaus als Fluchtweg. Lebensrettend seien in solchen Fällen Rauchmelder in den Wohnungen.

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    Seit 2012 sammeln deutsche Feuerwehren Brandfälle, an denen Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) mit Polystyrol beteiligt waren. Inzwischen sind über 90 solcher „Brandereignisse“ mit insgesamt elf Todesfälle und 124 Verletzten dokumentiert. In Berlin und Köln (2005) gab es ähnliche Fälle, in Essen setzte im September 2009 ein brennender Müllcontainer die Fassade eines vierstöckigen Hauses in Brand, in Duisburg kam es 2016 zu einem Wohnhausbrand, bei dem eine Mutter und zwei ihrer Kinder starben.

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    Oft kamen dabei nicht die Menschen in der Wohnung ums Leben, in der das Feuer ausbrach, sondern in den Wohnungen anderer Geschosse „Das ist signifikant, weil es damit Opfer in Wohneinheiten gab, die mit dem auslösenden Ereignis nichts zu tun hatten“, heißt es in der Analyse des Feuerwehr-Verbands. Die Vorgabe der Bauordnung, „Außenwände und Außenwandteile wie Brüstungen und Schürzen so auszubilden, dass eine Brandausbreitung ausreichend lang begrenzt ist“, sei in den genannten Fällen nicht eingehalten worden.

    Nach zehn Minuten brennt die Fassade

    Zwei Drittel der seit 2012 gesammelten Brände entstanden außen vor dem Gebäude, etwa durch Müllcontainer oder auf Balkonen. „Besonders die extrem schnelle Brandausbreitung auf der Fassade, die bei diesen Systemen wiederholt aufgetreten ist, stellt für die Feuerwehr ein unlösbares Problem dar“, heißt es in einem Positionspapier des Deutschen Feuerwehrverbands zum Brandschutz. Oft sei innerhalb einer Frist von zehn Minuten „eine Brandausbreitung auf mehr als zwei Stockwerke nicht zu verhindern“.

    Jetzt müssen Brandsachverständige klären, ob die Bauausführung und der Brandschutz an dem erst gut sechs Jahre alten Wohnhaus in Essen den Richtlinien entsprachen.