Essen. Auf den Intensivstationen in NRW ist die Corona-Lage aktuell weniger dramatisch als in Bayern. Personalengpässe machen aber Sorgen.

Angesichts der steigenden Corona-Zahlen blicken Krankenhäuser in NRW mit großer Sorge auf die nächsten Wochen. Auch wenn die Entwicklung in NRW etwas weniger dramatisch verlaufe, sei der Trend beunruhigend, sagte der Präsident der Landes-Krankenhausgesellschaft, Jochen Brink. „Die NRW-Kliniken erleben bereits eine massive Beanspruchung ihrer Intensivkapazitäten.“

Vor Ort sorgen eine unerwartet frühe Zunahme bei schweren saisonalen Infektionen, viele nachgeholte Operationen und zusätzlich die Corona-Patienten für volle Intensivbetten. Zugleich fehlt nach 20 Monaten Pandemie-Belastung immer mehr Personal. In einigen Regionen würden erste „empfindliche Engpässe“ auf den Intensivstationen erlebt, sagte Brink. Angesichts der in der Regel ungeimpften Corona-Intensivpatienten ärgert er sich: „Diese Verknappung von medizinischen Ressourcen ist unnötig.“

Inzidenz in NRW hat sich innerhalb eines Monats verdreifacht

Die Gesundheitsämter meldeten für Freitag 5865 neue Neuinfektionen und 21 weitere Fälle, in denen Menschen an oder mit einer Corona-Infektion gestorben sind. Die landesweite Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 157,0 - dreimal so hoch wie vor einem Monat. Zugleich stieg die Zahl der Corona-Patienten und Corona-Patientinnen auf 1746, von denen 439 auf Intensivstationen behandelt sind. In den vergangenen Wellen lag diese Zahl zeitweise über 1000. In Teilen Bayerns und ostdeutschen Bundesländern ist die Lage aktuell ungleich schwieriger. In vereinzelten Landkreisen werden Inzidenzen von über 1000 gemeldet.

Prof. Dr. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen.
Prof. Dr. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

An der Uniklinik Essen, die mit bislang 2800 behandelten Corona-Infizierten zu den zentralen Häusern in der Pandemiebekämpfung gehört, ist der Ärztliche Direktor Jochen A. Werner zwar „nicht ohne Hoffnung, dass wir in NRW nicht ähnlich ungebremst in eine Überlastung der Krankenhäuser steuern, wie in Bayern und den ostdeutschen Bundesländern. Wir haben einige Wochen Vorsprung und damit auch mehr Geimpfte.“

Uniklinik Essen: Neueinstellung mit Impfung und 1G-Regel für kritische Bereiche

Dennoch erwartet er schärfere Schutzmaßnahmen in den Kliniken – etwa strikte Grenzen, wie lange geimpftes und genesenes Klinik-Personal als vollständig immunisiert gilt. Auch eine 1G-Regel zum Patientenschutz hält Werner für nicht ausgeschlossen, also eine generelle tägliche Testpflicht für Beschäftigte in besonders sensiblen Klinikbereichen mit hochgradig immungeschwächten Patienten und Patientinnen. Die Uniklinik hat auch selbst Konsequenzen aus den steigenden Fallzahlen gezogen: Künftig stellt sie nur noch Mitarbeitende ein, die eine Corona-Schutzimpfung haben.

Die Hälfte der aktuell 30 Patienten und Patientinnen, die infolge einer Corona-Infektion an der Essener Uniklinik behandelt werden, erhält intensivmedizische Hilfe – vor einem Monat waren es zwölf. Unter allen Corona-Kranken, die seit dem Sommer in der Uniklinik intensivmedizinisch behandelt worden sind, waren rund drei Viertel nicht und etwas mehr als acht Prozent unvollständig geimpft.

Voll sind die Essener Intensivstationen aktuell nicht: Am Freitagmorgen meldete die Uniklinik noch zwölf freie Intensivbetten und weitere Optionen, Patienten und Patientinnen zu verlegen. Betriebliche Einschränkungen gibt es bislang ebenfalls nicht: Das OP-Programm laufe normal weiter, hieß es – eingeschränkt wird es kommende Woche wegen eines angekündigten Streiks.

Katholisches Klinikum Bochum: Einige Normalstationen wegen Personalnöte schließen

Laut aktuellem „Divi-Register“ ist die Lage in anderen Teilen des Bundeslandes angespannter: Über 130 Intensivstationen in NRW melden, dass sie in ihrem Betrieb inzwischen eingeschränkt seien - das entspricht Werten von Dezember 2020.

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Am Katholischen KlinikumBochum stellt man sich bereits auf Einschränkungen bei der Patientenversorgung ein. Christoph Hanefeld, Geschäftsführer des Katholischen Klinikums, sagte, man habe sich darauf vorbereitet, dass elektive, also planbare und medizinisch nicht akut notwendige Eingriffe künftig wieder verschoben werden müssen. „Das allein wird uns aber nicht retten“, so Hanefeld. „Anders als 2020, als Beatmungsgeräte, Masken und teilweise auch Medikamente knapp waren, fehlt uns inzwischen massiv das Pflegepersonal. Das ist unser Hauptproblem.“ Einige Mitarbeitende haben den Klinikverbund verlassen oder Stunden reduziert, hinzukommen Personalausfälle infolge von Corona-Infektionen. Der Markt der Zeitarbeitsfirmen sei eingebrochen.

Appell: Impfen lassen und Hygieneregeln wieder einhalten

Er gehe davon aus, dass das Katholische Klinikum ab der kommenden Woche einige Normalstationen wieder schließen muss, um Personal versetzen zu können. „Und auch das wird nicht reichen“, mahnte Hanefeld eindringlich. „Wenn wir das Ruder nicht herumreißen, wird die Situation auf den Intensivstationen in vier bis sechs Wochen kaum noch beherrschbar sein.“ Er rief eindringlich auf: „Neben den AHA-Regeln ist die Impfung der Weg aus der Pandemie.“ Das gelte auch für die eigenen Beschäftigten: „Bei uns haben bereits 2000 Mitarbeitende eine Booster-Impfung erhalten.“

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Im Bochumer Klinikum sind die Intensivstationen aktuell voll belegt. Das liege aber nicht nur an der Pandemie. Andere schwere Erkrankungen haben wieder zugenommen, zugleich finden wieder mehr Operationen statt - beispielsweise für Tumor- und Notfallpatienten. Corona komme oben drauf. Derzeit werden am Katholischen Klinikum sechs Covid-Patienten und -Patientinnen intensivmedizinisch behandelt. „Alle sind ungeimpft“, so Hanefeld. Auf der Infektions-Station gebe es auch Patienten mit einem Impfdurchbruch, deren Erkrankung aber einen leichteren Verlauf nehme und die vorerkrankt seien.

Herner Klinik-Gruppe: Lage ist „noch beherrschbar“

An kleineren Krankenhäuser ist die Corona-Lage derzeit offenbar weniger angespannt. Heinz-Werner Bitter, Geschäftsführer der Evangelischen Krankenhausgemeinschaft Herne-Castrop-Rauxel nannte die aktuelle Corona-Lage auf den Intensivstationen „noch beherrschbar“. Die drei Intensivstationen seien entweder voll oder zu 80 Prozent belegt. Von den 30 Patienten und Patientinnen mit einer Corona-Infektion seien aber nur fünf auf den Intensivstationen – in der Regel seien sie nicht geimpft. Operationen abzusagen, sei dort bislang nicht notwendig gewesen.

Mit Blick auf die nächste Ministerpräsidentenkonferenz appellieren Krankenhäuser in NRW eindringlich an die Politik, sie in der vierten Welle finanziell abzusichern. „Diese vierte Corona-Welle bedeutet für die Krankenhäuser in NRW und auch bundesweit eine neue Zeit der wirtschaftlichen Unsicherheit, weil die für die Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge erforderlichen Erlöse ausbleiben“, sagte Krankenhaus-Präsident Jochen Brink. „Deshalb wird es höchste Zeit, dass die geschäftsführende Bundesregierung in der aktuellen Entwicklung schnell für eine wirtschaftliche Absicherung der Kliniken sorgt.“

In Bochum ergänzt der Medizinische Geschäftsführer Christoph Hanefeld: „Wenn wir uns engagieren, etwa durch Schließung von Stationen, muss das auch finanziert werden. Darauf sind wir angewiesen.“