Düsseldorf. Unis und FH planen ein Präsenzsemester, wissen aber nicht, ob das geht. Die „3G-Regel“ dürfte in den Unis schwer zu kontrollieren sein.
Die Universitäten und Fachhochschulen (FH) steuern auf ein unsicheres Wintersemester zu. „Für die Hochschulen sind noch viele Fragen offen, denn wie die epidemiologische Lage zum Vorlesungsstart sein wird, ist noch unklar“, sagte Eva Prost, Sprecherin der Technischen Universität (TU) Dortmund, dieser Redaktion.
Den Hochschulen ist zudem nicht bekannt, wie viele Studierende und Mitarbeitende geimpft sind. Allen seien Impfangebote auch auf dem Campus gemacht worden. Die vorgeschriebenen Kontrollen der 3G-Regel -- Präsenzveranstaltungen nur für Geimpfte, Genesene und Getestete -- seien schwer zu organisieren, teilen die Revier-Unis Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen mit. Flächendeckende Zugangskontrollen seien wegen der weitläufigen Uni-Gelände praktisch nicht möglich.
"Wir können schlecht einen Zaun um de Campus ziehen"
„Es wird keine Kontrollen an den Eingängen des Campus geben“, teilt die Ruhr-Uni Bochum mit. „Wir können ja schlecht einen Zaun um den Campus ziehen“, meinte Thomas Wittek, Sprecher der Uni Duisburg-Essen. Die Unis arbeiten an Lösungen, wie „3G“ vor den Seminarräumen und Hörsälen überprüft werden könne. Fachhochschulen wie die Westfälische Hochschule und die FH Südwestfalen sind dagegen zuversichtlich, „3G“ konsequent kontrollieren zu können.
Bei Umfragen im August unter allen Studierenden an der TU Dortmund und der Ruhr-Uni hätten rund 90 Prozent der Befragten angegeben, geimpft zu sein. Allerdings sind die Ergebnisse nicht repräsentativ. An der FH Südwestfalen waren es 60 Prozent.
„Der Traum vom Präsenzbetrieb soll nicht platzen, bevor er überhaupt richtig angelaufen ist“, sagt Carlotta Kühnemann vom Vorstand des Dachverbands der Studierendenschaften (FZS). Studierende sollten die Impfangebote annehmen. Kühnemann fordert Notfallpläne, damit im Falle erneuter Schließungen zumindest Bibliotheken und Mensen geöffnet bleiben könnten.
Immunologe: Wenn nötig, auf "2G" umschalten
Für eine „Öffnung mit Augenmaß“ plädiert der Dortmunder Immunologe Carsten Watzl. „Mit den bisherigen Impfungen sind die vulnerablen Gruppen jetzt zum Großteil geschützt, daher ist das Risiko begrenzt.“ Er rät aber zu regelmäßigen Corona-Tests auf dem Campus, wie sie an Schulen üblich sind. Sollten die Inzidenzwerte deutlich steigen, müsse notfalls an Hochschulen die 2G-Regel greifen.
Die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Ayla Çelik, warnt. „Eine Situation wie an den Schulen muss unbedingt vermieden werden und hier ist vieles offen. Wenn ein Präsenzsemester ausgerufen wird, muss es verlässlich sein und frühzeitig angekündigt werden.“
Ein Überblick über die Lage
Nach anderthalb Jahren wollen die Universitäten und Fachhochschulen (FH) im Herbst unbedingt wieder zum Präsenzbetrieb zurückkehren. Die meisten Veranstaltungen sollen nach dem Willen der Hochschulleitungen wieder regulär ablaufen. An Seminaren und Vorlesungen kann demnach teilnehmen, wer geimpft, getestet oder genesen ist (3G-Regel). Die entsprechende Corona-Schutzverordnung gilt bis 17. September. Der Vorlesungsbetrieb beginnt an Unis jedoch erst am 11. Oktober. Ob vor dem Hintergrund steigender Inzidenzwerte die rechtlichen Voraussetzungen für einen Präsenzbetrieb dann noch gegeben sind, ist völlig ungewiss. Ein Überblick.
Die Landesregierung:
Das Wintersemester werde zwar kein „normales Semester“ sein, Präsenzveranstaltungen könnten aber wieder zur Regel werden, hofft NRW-Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos). Die Pandemie habe gezeigt, dass digitale Formate eine große Bereicherung seien, das Leben auf dem Campus aber nicht ersetzten. „Eine entscheidende Voraussetzung für Präsenzveranstaltungen ist, dass bis zum Semesterbeginn möglichst viele Studierende und Hochschulbeschäftigte die inzwischen zahlreich vorhandenen Impfangebote in Anspruch nehmen“, so die Ministerin. „Hier erreichen uns ermutigende Signale aus den Hochschulen.“
Die Gewerkschaft GEW
Ayla Çelik, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßt es, dass in NRW ein Präsenzsemester ins Auge gefasst wird: „Studierende im dritten Semester haben ihre Universität noch nicht wirklich von innen gesehen. Das Studium lebt vom sozialen Austausch und vom Diskurs. Bei der Distanzlehre fehlt ein wichtiger Teil des StudentInnenlebens.“ Die im Vergleich zu Schulen und Kitas höhere Impfquote mache Hoffnung, sei aber noch nicht hoch genug. „Niedrigschwellige Impfangebote, wie beispielsweise durch mobile Impfteams, sind deshalb wichtig. Außerdem braucht es tragfähige Vorgaben zur Raumnutzung unter sicheren Bedingungen, beispielsweise bei großen Vorlesungen, beim Mensabetrieb, sowie tragfähige Quarantäneregelungen und vieles mehr“, sagt Çelik.
Die Universitäten
Den Unis ist nicht bekannt, wie viele ihrer Studierenden und Mitarbeitenden geimpft sind. Der Impfstatus der Hochschulangehörigen darf aus Datenschutzgründen nicht erfasst werden. Zudem sind flächendeckende Kontrollen wegen der Weitläufigkeit der Universitätsgelände, die zudem Teil des öffentlichen Raums sind, schlichtweg nicht möglich. „Es wird keine Kontrollen an den Eingängen des Campus geben“, teilt die Ruhr-Uni Bochum (RUB) mit. Für die Teilnahme an Veranstaltungen muss aber der 3G-Status überprüft werden. Aus der TU Dortmund heißt es, es wäre hilfreich, wenn Hochschulen erlaubt werde, regelmäßige Stichprobenkontrollen machen zu dürfen.
Umfragen unter allen Studierenden an der TU sowie an der RUB hätten ergeben, dass etwa 90 Prozent geimpft seien. Allerdings sind die Zahlen nicht repräsentativ. Das wäre eine deutliche höhere Quote als unter allen Einwohnern in NRW. Sämtlichen Mitarbeitenden und Studierenden seien Impfangebote gemacht worden, betonen die Unis im Ruhrgebiet. Die Rektoren rufen erneut alle Hochschulangehörigen dringend dazu auf, diese anzunehmen. Besonders hoch scheint die Impfbereitschaft an der Uni Witten zu sein.
Rechtlich darf wegen der derzeit geltenden 3G-Regel auf Abstandsregeln verzichtet werden. Voraussetzung ist, dass alle Studierenden auf festen Plätzen sitzen und Masken tragen, so die RUB. Die Unis behalten sich vor, bei großen Vorlesungen die Teilnehmerzahl wieder zu begrenzen.
Obwohl zahlreiche Studierende wegen der vergangenen drei Online-Semester noch nicht an den Studienort gezogen sind, soll auf Hybrid-Veranstaltungen, die im Hörsaal und zugleich im Netz stattfinden, weitgehend verzichtet werden. „Wir rufen die Studierenden auf, jetzt an den Studienort zu ziehen“, so ein Sprecher der Universität Duisburg-Essen. Zwar werde es weiterhin einzelne Online-Formate geben, doch seien Präsenzveranstaltungen dadurch nicht ersetzbar.
Die Fachhochschulen
Sowohl die FH Südwestfalen (Iserlohn, Meschede, Hagen, Soest, Lüdenscheid) als auch die Westfälische Hochschule (Gelsenkirchen, Bocholt, Recklinghausen) kündigen an, die 3G-Regeln streng zu kontrollieren. „Zugang zu den Gebäuden der Fachhochschule Südwestfalen erhält nur, wer eine der 3G-Bedingungen: geimpft, genesen, getestet erfüllt. Darüber hinaus gelten Abstands- und Hygieneregeln sowie eine Maskenpflicht im Gebäude (FFP 2 Masken)“, so eine Sprecherin der FH Südwestfalen.
Die Westfälische Hochschule erklärt: „Im Sinne der Corona-Schutzverordnung sind zentrale Zugangskontrollen geplant. Alle, die die Gebäude der Hochschule betreten wollen, werden an zentralen Zugangspunkten kontrolliert“. Das gelte für Beschäftigte und Studierende. Diese FH kündigt auch an, die Teilnehmerzahl wegen der Abstandsregeln zu begrenzen. In der Regel würden Räume nur zur Hälfte besetzt. Es werde auch Hybridveranstaltungen geben für Studierende, die wegen Corona noch keine Wohnung in der Nähe haben.
Die FH Südwestfalen verlangt grundsätzlich einen „Abstand von 1,50 Metern zu anderen Personen in allen Veranstaltungen und überall im Gebäude“. Dabei würden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um diesen Abstand auch einzuhalten, zum Beispiel die Aufteilung von Veranstaltungen in verschiedene Räume. Die überwiegende Mehrzahl der Mitarbeitenden sei geimpft. Eine Befragung aller Studierenden im August habe ergeben, dass rund 60 Prozent der Befragten über einen vollständigen Impfschutz verfügten. Die positiven Erfahrungen, die die Hochschule mit der Online-Lehre gemacht habe, „werden wir weiter für das Studium nutzen und den Präsenzunterricht mit Online-Elementen ergänzen. Dies wird für alle Studierenden angeboten.“
Die Studierenden
„Der Traum vom Präsenzbetrieb soll nicht platzen, bevor er überhaupt richtig angelaufen ist“, sagt Carlotta Kühnemann vom Dachverband der Studierendenschaften (FZS). Für ein funktionierendes Semester sei eine vollständige Impfung aller Studierenden und Mitarbeitenden unerlässlich, betont sie. Der FZS fordert zudem Luftfilteranlagen in den Seminarräumen, durchdachte Hygienekonzepte und kostenfreie Masken. Die Hochschulen müssten zudem rechtzeitig Notfallpläne erarbeiten, damit im Fall erneuter Schließungen die Bibliotheken mit ihren Lernplätzen sowie die Mensen möglichst lange geöffnet bleiben können. Sie appelliert an die Hochschulen, die 3G-Regel vor jeder Veranstaltung zu überprüfen. Da viele Studierende wegen der Pandemie noch nicht an den Studienort gezogen sind, fordert sie die Dozenten auf, viele Hybrid-Veranstaltungen anzubieten.
Der Immunologe
Für eine „Öffnung mit Augenmaß“ plädiert der Dortmunder Immunologe Prof. Carsten Watzl. Hörsäle zu schließen, während in Fußballstadien 25.000 Zuschauer jubeln, „das finde ich sinnlos“, sagt der Leiter des Forschungsbereichs Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund. Er appelliert an alle Hochschulangehörigen, sich vor dem Wintersemester impfen zu lassen. „Man kann sich derzeit nur für eine Impfung oder für eine Infektion entscheiden. Das muss jetzt allen klar sein.“ Der Impfstatus müsse von den Hochschulen kontrolliert werden. Auch plädiert er für regelmäßige Corona-Tests auf dem Campus, um Infektionsherde zu identifizieren. Sollten die Inzidenzwerte über einen gewissen Grenzwert steigen, müsse notfalls die 2G-Regel greifen. Dann dürften nur noch geimpfte oder genesene Personen an Veranstaltungen in den Hochschulen teilnehmen.