Essen. Nicht-Geimpfte müssten Nachteile durch die 2G-Regel hinnehmen, sagen Juristen. Dies gelte im Grundsatz auch am Arbeitsplatz. DGB widerspricht.
Wer ins Kino will, ins Restaurant, ins Stadion oder auch an seinen Arbeitsplatz soll geimpft oder genesen sein – das besagt die 2G-Regel. Ein Corona-Test reicht dann nicht mehr aus. Bedeutet das eine nicht hinnehmbare Diskriminierung von Menschen, die nicht geimpft und nur getestet sind? Ist das eine massive Einschränkung ihrer Freiheitsrechte? Auch juristisch tobt darüber ein heftiger Streit.
Der Bochumer Grundrechtsexperte Prof. Stefan Huster dreht die Frage um: Können Nicht-Geimpfte verlangen, dass sich auch Geimpfte weiterhin an Corona-Regeln wie Maskenpflicht und Abstandsregeln halten und somit auf Freiheitsrechte verzichten, obwohl von ihnen nach derzeitigem Wissensstand keine Gefahr mehr ausgeht?
Verfassungsrechtlich fraglich
Auch verfassungsrechtlich sei es mehr als fraglich, „ob das Ziel der Herstellung von Gleichheit eine Freiheitseinschränkung rechtfertigen kann, durch die es im Ergebnis niemandem besser geht“, schreiben Stefan Huster, Professor für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht der Ruhr-Uni Bochum und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Lamia Amhaouach in einem Beitrag des „Verfassungsblogs“ der Ruhr-Uni. Überspitzt formuliert: Das Prinzip, dass möglichst alle gleich und solidarisch sein sollen und sei es um den Preis, dass es allen schlechter geht, sei fragwürdig.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sieht das anders. Sie kritisierte die Pläne einzelner Bundesländer, im Herbst Freiheiten nur noch für Geimpfte und Genesene zuzulassen als „Eingriff in die Freiheitsrechte“ und „schwerwiegende Beschränkung“, die gut begründet werden müssten. Der Infektionsschutz reiche als Argument dafür nicht aus.
Keine „Impfpflicht durch die Hintertür“
Huster hat hingegen keine grundsätzlichen Bedenken: „Private Veranstalter können schon aufgrund ihrer Privatautonomie entscheiden, wen sie zu ihrer Veranstaltung zulassen“, sagte Huster dieser Redaktion. Es sei nicht willkürlich oder missbräuchlich, wenn sie dazu auf die 2G-Regel zurückgreifen. „Vielmehr ist es völlig legitim, dass sie in ihrem eigenen Interesse, aber auch im Interesse der anderen Besucher sicherzustellen versuchen, dass keine Infektionen stattfinden.“ Von einer „unzulässigen Diskriminierung“ nicht geimpfter Personen könne daher keine Rede sein.
Ähnlich sieht es der Münsteraner Rechtswissenschaftler Henrik Eibenstein. Gewerbetreibende sei es auch schon zuvor möglich gewesene, sich ihre Vertragspartner weitgehend frei auszusuchen. Allerdings sieht er eine „echte G2-Regelung“ kritisch. „Sollte der Staat Ungeimpften und Nicht-Erkrankten nämlich den Zugang zu bestimmten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens untersagen wollen, dürfte eine solche Regelung vor kaum zu meisternden rechtlichen Hürden stehen.“
Die Kritik, dass dadurch eine „Impfpflicht durch die Hintertür“ eingeführt werde, lässt der Jurist nicht gelten. „Schließlich muss man auch einen Führerschein und eine TÜV-Plakette vorweisen, wenn man am Straßenverkehr teilnehmen will. Trotzdem hat noch niemand beklagt, in Deutschland bestehe eine allgemeine TÜV-Pflicht“, bringt es Huster auf den Punkt. Wer eine Veranstaltung besucht, müsse sicherstellen, dass er andere nicht gefährdet. „Und zuverlässig geht das eben nur durch eine Impfung.“
Arbeitgeber sollen nicht über Impfung entscheiden
Im Grundsatz gelte das auch für Arbeitsverhältnisse. „Wer mit besonders vulnerablen Gruppen oder mit Kindern zu tun hat, die sich nicht impfen lassen können, kann schwerlich beanspruchen, seiner Tätigkeit nachzugehen, sich gleichzeitig aber nicht impfen lassen zu wollen“, betont Huster.
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Allerdings müsse man hier Grenzen beachten. Arbeitgeber sollten nicht darüber entscheiden dürfen, wer sich wann impfen lassen muss. „Dies könnte auf Dauer ganz andere Übergriffe in die persönliche Lebensführung der Arbeitnehmer nach sich ziehen“, mahnt der Jurist. Für bestimmte Beschäftigungsgruppen sollte daher wie bei der Masern-Impfpflicht gesetzlich festgelegt werden, dass eine Impfung die Beschäftigungsvoraussetzung ist.
DGB besteht auf Gleichbehandlung
Eine ganz andere Auffassung vertreten die Rechtsschutz-Experten vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB): „Da es keine Impfpflicht gibt und der Arbeitgeber nicht wissen darf, ob jemand geimpft ist, ist eine unterschiedliche Behandlung von Geimpften und Nicht-Geimpften Arbeitnehmern weder tatsächlich noch rechtlich möglich.“ Es bestehe für Beschäftigte auch keine Testpflicht. Zwar müssten Arbeitgeber Corona-Tests anbieten, eine Pflicht der Arbeitnehmer, diese Tests auch durchzuführen, sei nicht Teil der Corona-Arbeitsschutzverordnung.
Sollte eine 3G- oder gar eine 2G-Regelung in Betrieben tatsächlich umgesetzt werden, könnten Arbeitnehmer, die sich weigern eine Bescheinigung über Impfung oder Erkrankung oder einen negativen Test vorzulegen, ihren Anspruch auf Lohn verlieren, sofern kein Homeoffice möglich ist. Dies sei aber ein rein hypothetischer Fall, so der DGB.
Kein „arbeitsrechtlicher Zwang“
Zuvor hatte sich NRW-Arbeitgeber-Präsident Arndt G. Kirchhoff für eine 2G-Regelung in Betrieben ausgesprochen. „Wer sich nicht impfen lassen will, wird auf Dauer Einschränkungen in Kauf nehmen müssen, auch am Arbeitsplatz“, so der Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände NRW.
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Anja Weber, DGB-Vorsitzende in NRW, weist das zurück: „Arbeitgeber wollen es sich jetzt einfach machen und an Testangeboten sparen. Das ist nicht der Weg, um eine höhere Impfquote und Pandemieschutz in Betrieben zu erreichen“, sagte sie dieser Redaktion. Eine Erhöhung der Impfquote könne nicht durch „arbeitsrechtlichen Zwang“ erreicht werden.
>>>> Mehrheit für Offenheit
Die meisten Menschen sind dafür, dass Arbeitgeber wissen dürfen, ob die Beschäftigten gegen Corona geimpft sind. Laut einer Umfrage des Instituts YouGov teilen 56 Prozent der Deutschen diese Ansicht, 19 Prozent sind dagegen. 18 Prozent meinen, dies sei von der Arbeitssituation abhängig.