Gütersloh/Essen. NRW hat beim Kita-Platzausbau für unter Dreijährige zugelegt – laut einer Studie müsste es aber weitergehen und die Qualität verbessert werden.

Nach Darstellung zweier aktueller Reporte hat NRW beim Ausbau der Tagesbetreuung von Kindern unter drei Jahren zwar massiv aufgeholt. Das Bundesland hinkt im Vergleich zu anderen Flächenländern aber weiter hinterher. Um die Lücke zu schließen, bräuchte es bis 2030 mindestens 10.000 zusätzliche Fachkräfte. Das geht aus den beiden Berichten der Bertelsmann-Stiftung hervor, die an diesem Dienstag in Gütersloh gemeinsam veröffentlicht worden sind.

„NRW hat beim Ausbau der Kita-Plätze für die Jüngsten einen großen Schritt getan“, sagt Kathrin Bock-Famulla von der Bertelsmann-Stiftung. Es gebe aber weiter einige Aufgaben zu erfüllen. „NRW steht als großes Bundesland vor einer besonderen Herausforderung, zugleich profitieren von jeder Verbesserung für die frühkindliche Bildung auch immer sehr viele Kinder und Familien.“

Doppelt so viele Unter-Dreijährige in der Betreuung als vor zehn Jahren

Laut dem Ländermonitoring der Bertelsmann-Stiftung hat sich die Zahl der Unter-Dreijährigen, die in NRW fremdbetreut werden, in den vergangenen zehn Jahren auf rund 150.000 Kinder verdoppelt. Aktuell liegt die Betreuungsquote bei 29 Prozent, wie die Stiftung auf Grundlage von Daten der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik zeigt. In den ostdeutschen Bundesländern mit traditionell hoher Betreuungsquote sind 53 Prozent der Kinder tagsüber in einer Kita oder einem Hort.

In NRW könnte die Quote laut Stiftung ähnlich hoch sein, denn 48 Prozent der Eltern wünschen sich einen Platz in einer Kita oder einem Hort. Um die Quote auf rund 50 Prozent zu erhöhen, fehlten bis 2030 aber 10.000 Fachkräfte.

Deutlich höher ist die Betreuungsquote bei den älteren Kita-Kinder ab drei Jahren. 92 Prozent von ihnen sind in der Betreuung. Für rund drei Viertel aller Kita-Kinder steht laut Darstellung allerdings nicht genügend Fachpersonal zur Verfügung. Die Kita-Gruppen sind nach Einschätzung der Experten in NRW häufiger zu groß als das im bundesweiten Durchschnitt der Fall ist. Positiv heraus sticht NRW derweil bei der Qualifizierung der Betreuungskräfte: 73 Prozent der rund 125.000 pädagogisch Tätigen in den Kitas verfügen über einen fachlich einschlägigen Fachschulabschluss (Bund: 68).

Gerade an kleinen Kitas beklagen Fachkräfte indes fehlende Ressourcen für Leitungsaufgaben. Gelder des Bundes, die auch zur Stärkung der Kita-Leitungen in NRW ausgegeben worden sind, haben nach Darstellung der Studie bislang nur wenig daran geändert.

Höherer Betreuungsschlüssel, Platzausbau und mehr Zeit für Kita-Leitungen

Um die Kinderbetreuung zu verbessern, wirbt die Bertelsmann-Stiftung für einen höheren Personalschlüssel bei Kindern unter drei Jahren. In NRW betreut eine Fachkraft rein rechnerisch 8,5 Kita-Kinder in diesem Alter. Die Stiftung selbst verweist auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu kleineren Betreuungsgruppen und einen Schlüssel 1 zu 7,5. Um diesen zu erreichen, zugleich den Platzausbau auf ostdeutsches Niveau voranzutreiben und Kita-Leitungen Entlastung zu schaffen, fehlen bis 2030 sogar 67.000 Fachkräfte. Das würde bedeuten, dass bis 2030 das Personal-Angebot, das mit den bestehenden Ausbildungskapazitäten zu erwarten ist, noch zusätzlich um 128 Prozent gesteigert werden müsste.

Das sei kaum zu schaffen gibt Bock-Famulla rundheraus zu. „Eine kindgerechte Personalausstattung in den Kitas ist nur langfristig zu erreichen“, sagt die Fachfrau. Es gelte aber rechtzeitig zu beginnen, um Bedarfe zu decken und den Erziehungsberuf attraktiver zu machen. Dazu gehöre die Frage einer praxisintegrierten Ausbildung, die entlohnt wird. NRW bietet diesen Weg im aktuellen Kita-Jahr erstmals auch für 450 angehende Kinderpflegekräfte an.

VEB ruft nach einer "Personaloffensive"

Der Verband Bildung und Erziehung beurteilt die Lage ähnlich und ruft nach einer Umfrage unter 4460 Kita-Leitungen in Deutschland nach einer Personaloffensive. Laut VBE geben 78,5 % der befragten Kitaleitungen in NRW an, dass sich der Personalmangel in den Kitas in den letzten zwölf Monaten verschärft habe. „Schon im letzten Jahr hatte der VBE festgestellt, dass es den Pädagoginnen und Pädagogen in den Kitas an angemessener Wertschätzung fehlt“, sagte Anne Deimel, Vize-Vorsitzende des VBE in NRW. Leider seien keine Verbesserungen festzustellen. Trotz des „Gute-Kita-Gesetzes“ des Bundes, das den Länder 5,5 Milliarden Euro beschert.

Die Pandemie habe die Probleme „schonungslos offengelegt“, so der VBE. Mehr als 40 Prozent der befragten Kitaleiterinnen und -leiter in NRW hätten angegeben, dass sie in den zurückliegenden zwölf Monaten in rund einem Fünftel der Zeit mit weniger Personal gearbeitet hätten, als es die Vorgaben verlangten.

Der VBE, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Gewerkschaft komba fordern die NRW-Regierung auf, das „Kita-Helfer-Programm“, das zum 31. Juli 2021 endete, weiterlaufen zu lassen und das Qualifizierungsprogramm für Kita-Fachkräfte zu intensivieren. GEW-Landeschefin Ayla Celik ruft nach einfacheren Wegen in die Ausbildung und einer besseren Bezahlung der Pädagogen.

Personal durch gute Arbeitsbedingungen und Bezahlung halten

„Die Politik muss ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Thema Personalgewinnung lenken. Die Ausbildungskapazitäten müssen erhöht und das Personal durch attraktive Arbeitsbedingungen sowie Verdienstmöglichkeiten gehalten werden. Das hilft, einen Kollaps des Systems zu vermeiden“, mahnte Sandra van Heemskerk, stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft komba.

Der Geschäftsführer des Städtetages NRW, Helmut Dedy, schaut mit Sorge auf die Studien. „Uns läuft die Zeit davon, denn der Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen steigt. Bis 2030 werden wir in NRW nicht die Personalausstattung in den Kitas haben, die wir uns wünschen.“

Die NRW-Landesregierung hat ein Programm aufgelegt, um die Personalsituation in den Kitas zu verbessern. Das Land fördert zum Beispiel Umschulungen zur Erzieherin, die Ausbildung zur Kinderpflegerin und die Qualifizierung von Assistenzkräften. Doch die vorhandenen Ausbildungsangebote halten nicht mit diesen Zielen Schritt.