Düsseldorf. Die Landesregierung wagt ein Klinik-Experiment mit ungewissem Ausgang. Die Häuser sollen sich spezialisieren, Schließungen drohen.
NRW bereitet eine tiefgreifende Reform der Krankenhauslandschaft vor, die auch zur Schließung einzelner Kliniken führen kann. Die rund 350 Häuser sollen sich künftig auf bestimmte Leistungen konzentrieren, zum Beispiel auf Kardiologie oder Onkologie. Entscheidend ist dabei nicht mehr die Zahl der Betten, sondern die Fallzahl je medizinischer Leistung.
Ziel der Großreform sei vor allem der Abbau von „Fehlversorgung“, erklärte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann am Freitag. Gerade in Städten gebe es heute zum Teil zu viele Angebote für Patienten, auf dem Land zu wenige. Das Motto: Nicht jedes Krankenhaus muss alles machen. Besonders wichtige Angebote wie die Intensivmedizin soll es überall geben.
Fast alle sollen in 20 Minuten ein Krankenhaus erreichen können
Laut Laumann muss niemand befürchten, im Notfall nicht schnell ins Krankenhaus zu kommen. Ewa 90 Prozent der Bürger würden „innerhalb von 20 Minuten ein Krankenhaus der Regelversorgung erreichen können“, sagte er bei der Vorstellung der Krankenhausplanung. Im Vordergrund des größten Umbaus einer Krankenhauslandschaft, der von einem Bundesland je in Angriff genommen wurde, stehe der „kranke Mensch“, nicht das System.
Für einen „Versorgungsauftrag“, zum Beispiel für Knie-Operationen, muss eine Klinik unter Beweis stellen, dass sie in diesem Bereich viele Patienten behandelt sowie personell und technisch exzellent aufgestellt ist. Der zum Teil ruinöse Konkurrenzkampf zwischen Krankenhäusern in einer Region könnte beendet werden, so die Hoffnung.
Kliniken: "NRW muss die Kostenrisiken dieser Reform tragen"
Die Krankenhausgesellschaft NRW (KGNV), die Ärztekammern und die gesetzlichen Krankenkassen tragen die Pläne der Landesregierung grundsätzlich mit. Es seien aber noch Fragen offen, gab KGNW-Chef Jochen Brink zu bedenken: „Was ist, wenn das nächstgelegene Krankenhaus bestimmte Leistungen nicht mehr anbieten kann? Wo geht ein ganzes Krankenhaus vom Netz?“ Brink erwartet vom Land, dass es für die finanziellen Folgen der Reform geradesteht. Dafür sollten zwischen 2022 und 2027 jährlich 200 Millionen Euro reserviert werden.
Die Entscheidung, welche Klinik künftig was anbieten kann, soll in den 16 Versorgungsregionen in NRW zwischen Ärztekammern, Kommunen, Klinik-Trägern und anderen Betroffenen möglichst schon in der ersten Jahreshälfte 2022 geklärt werden. Am Ende entscheidet das Gesundheitsministerium. Bereits ab September soll sich der Landtag mit den Plänen befassen.
SPD: "Wir lehnen jede Form von Krankenhausschließung ab"
Die Opposition warnt vor einem Kahlschlag. „Wir lehnen jede Form von Krankenhausschließung ab“, sagte Josef Neumann, Gesundheitsexperte der SPD im Landtag. Allgemeinmedizin, Chirurgie und innere Medizin müsse es in jeder Klinik geben.
Mitten in der Pandemie schickt sich NRW also an, die Krankenhausplanung fundamental umzukrempeln. Gesundheitsminister Laumann präsentierte am Freitag nach zweijährigen Beratungen mit Ärzten, Klinikleitungen und Krankenkassen einen „Systemwechsel“, der es in sich hat: Weg von der Zahl der Betten als zentrale Größe für die Planung, hin zu einer Spezialisierung der einzelnen Häuser, von denen viele seit Jahren tiefrote Zahlen schreiben. Das alles soll geschehen, ohne die Grundversorgung der Bevölkerung zu riskieren.
Die entscheidende Frage: Was kann die Klinik?
Entscheidende Faktoren bei der Krankenhausplanung sollen künftig so genannte „Leistungsbereiche“ und „Leistungsgruppen“ sein. Im Kern geht es hier um die Frage: Was kann die Klinik? Ist sie besonders gut aufgestellt in der Inneren Medizin, in Onkologie oder Orthopädie? Hat sie Spezialisten und die zeitgemäße technische Ausstattung für Knie-, Hüft- oder Wirbelsäulen-OPs? Wie viele Eingriffe nimmt sie tatsächlich im Jahr vor?
Dieser neue Blick auf die Kliniklandschaft kann laut der Krankenhausgesellschaft NRW (KGNW) dazu führen, dass „im konkreten Einzelfall“ Abteilungen oder ganze Krankenhäuser dicht gemacht werden.
"Fehlversorgung" deutet auf Schließungen hin
Das Land NRW beteuert zwar, im Vordergrund stehe die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Kliniken. Sie müssten sich darauf einigen, was sie am besten können, damit nicht das eine Haus dieselben Operationen und Untersuchungen anbietet wie das Nachbarhaus vier Kilometer weiter. Aber der Begriff „Fehlversorgung“, den Minister Laumann verwendet, bedeutet, dass es mancherorts zu viele und andernorts zu wenige Klinik-Angebote gibt. Heißt: Es wird Schließungen und Neueröffnungen geben. Die Frage ist nur, wo?
Jochen Brink, Chef der KGNW, empfiehlt den Kliniken, jetzt nicht zu warten, bis das Schicksal über sie hereinbricht, sondern möglichst ab sofort mit ihren Nachbarn über die Zusammenarbeit zu verhandeln. Matthias Mohrmann, Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg, nennt die Reform ein „hervorragendes Instrumentarium“, bei dem niemand die flächendeckende Grundversorgung in Frage stelle.
Laumann: "Entweder regelt NRW die Zukunft seiner Kliniken, oder der Bund macht es"
Warum NRW bei der Krankenhausplanung so nach vorne prescht, ist laut Karl-Josef Laumann eine Reaktion auf diverse Gefahren für die Kliniken in NRW. Im Grunde gehe es um eine politische Frage: Behält das Land -- und damit gewählte Politiker – die Entscheidungsgewalt über die kriselnde Kliniklandschaft oder reißt der Bund in Form des Gemeinsamen Bundesausschusses irgendwann diese Kompetenzen aus der Distanz an sich. Dann stehe die Vielfalt der Krankenhäuser zwischen Rhein und Weser auf der Kippe. Dieses bunte Angebot müsse aber für kommende Generationen gerettet werden.
Politisch ist die Krankenhausplanung aber auch im NRW-Landtag umstritten. Grünen-Gesundheitsexperte Mehrdad Mostofizadeh kündigte an, dass sich seine Fraktion im Herbst kritisch und intensiv mit den aus Grünen-Sicht noch undurchsichtigen Plänen beschäftigen werde. Laut SPD habe die Pandemie gezeigt, wie wichtig eine flächendeckende Versorgung mit Kliniken sei.