Essen. Studie: Während der Corona-Pandemie sinkt die Bereitschaft, Fremde aufzunehmen. Eine große Mehrheit fordert mehr Anpassung von Zugewanderten.

Während der Corona-Pandemie ist beim Konfliktthema Zuwanderung die Zustimmung der Menschen zur Integration deutlich gesunken. Zugleich haben „integrationsfeindliche“ Einstellungen und Vorurteile gegenüber Geflüchteten, Fremden und Muslimen deutlich zugenommen. Dies sind Ergebnisse einer repräsentativen Langzeitanalyse des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Die Studie „Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit“ (ZuGleich) erscheint seit 2014 in einem zweijährigen Turnus und wird von der Essener Stiftung Mercator gefördert.

Unter den rund 2500 Befragten nimmt demnach die Zustimmung zur Integration seit 2014 kontinuierlich ab und sinkt im Jahr 2020 erstmals auf einen Wert von unter 50 Prozent. Nur noch 48 Prozent wollen Eingewanderten ihre kulturelle Identität weiter zugestehen und sie zugleich an der Gesellschaft teilhaben lassen, erklärte Studienautor Prof. Andreas Zick am Montag bei der Vorstellung der Untersuchung. Im Jahr 2014 waren dazu noch knapp 60 Prozent bereit.

Pandemie erhöht das Gefühl der Bedrohung

Zick macht für die sinkenden Werte auch einen „Corona-Effekt“ verantwortlich. „In der Pandemie brechen interkulturelle Kontakte weg und der Gedanke der Abschottung wird stärker. Dadurch sinkt die Integrationsbefürwortung“, erklärte Zick. Der Widerstand gegen eine Politik der offenen Grenzen wachse in Krisenzeiten. Verschärfend wirke der Umstand, dass die Corona-Pandemie den Zusammenhalt und die Solidarität der Menschen auf eine harte die Probe gestellt habe. Die Auswirkungen der Pandemie hätten die sozialen Ungleichheiten in vielen Bereichen verschärft und die soziale Kluft vertieft.

Professor Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.
Professor Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. © Foto:

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Ein steigender Anteil der Befragten erwarte, dass Eingewanderte ihre kulturelle Eigenart weitgehend aufgeben. Laut der Befragung meinen zwei Drittel, dass Zugewanderte sich mehr an die Deutschen anpassen sollten und nicht umgekehrt. Nur 14 Prozent aller Befragten gaben an, dass beide Kulturen sich aneinander annähern sollten. Damit befürworten gegenüber 2014 (27 %) nur noch halb so viele Menschen ohne eigene Zuwanderungsgeschichte ein Aufeinanderzugehen.

Hürden für Zugehörigkeit wachsen

Die politische Debatte um die starke Zuwanderung in den Jahren 2015 und 2016 und das Erstarken von rechtspopulistischen Positionen habe hier deutliche Spuren bei der Einstellung zu kulturellen Anpassungsprozessen hinterlassen, folgern die Autoren. Die Achtung der kulturellen Eigenschaften von Eingewanderten und die Anerkennung einer Gleichwertigkeit seien zentral für die Integration, hier hapere es. „Die Befragten haben jetzt eine höhere Messlatte für die Zugehörigkeit der neu Hinzugekommenen.“

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Im Widerspruch dazu steht die Erkenntnis, dass die Zustimmung zu einer Willkommenskultur deutlich zunimmt. Sie erreichte mit 55 Prozent den höchsten Wert seit 2014. Demnach begrüßten es die meisten Befragten, wenn Eingewanderte sich für Deutschland entscheiden. Mehr als die Hälfte (62 %) freut sich, wenn Deutschland vielfältiger und bunter wird, jeder Fünfte lehnt das hingegen ab.

Zustimmung zur „Willkommenskultur“

Doch offenbar trauen die Autoren diesen Ergebnissen nicht, denn die Zustimmung wuchs während der Corona-Pandemie, als Einwanderung kaum stattfand. Der ehemalige Kampfbegriff „Willkommenskultur“ sei daher für viele Menschen heute eher abstrakt und wenig fassbar, glaubt Studienautor Zick.

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Darauf deute der klare Anstieg fremden- und muslimfeindlicher Einstellungen hin. „Willkommenskultur ja – aber mit eingeschränkter Sichtbarkeit“, bringt es Zick auf den Punkt. Denn immerhin 40 Prozent der Befragten äußerten die Ansicht, dass zum Beispiel Orte der Religionsausübung wie Moscheen nicht sichtbar sein sollten.

Herausforderungen für die Politik

Auch mit Blick auf die aktuelle Entwicklung in Afghanistan fordern die Studienautoren, dass das Thema Migration dauerhaft oben auf der politischen Agenda stehen müsse. Aus der „Flüchtlingskrise“ der Jahre 2015/16 müsse die Politik die richtigen Schlüsse ziehen. „Es darf nicht sein, dass wir wegen der Entwicklung in Afghanistan schon wieder unruhig werden“, sagt Zick.

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Die Studie zeige, dass die Politik auf eine Gesellschaft bauen könne, die bei allen Differenzen und Konflikten die Migration als Bereicherung ansehe. Es mache Hoffnung, dass 53 Prozent der Befragten dieser Aussage zustimmten: „Das Zusammenleben mit Migranten wird den Zusammenhalt in Deutschland stärken.“