Essen. Studie: Den meisten deutschen Jugendlichen ist es egal, ob ihre Freunde Muslime sind. Die Religion empfinden sie dennoch als Bedrohung.
Passt der Islam in die westliche Welt? Wie ganz Deutschland sind auch die Jugendlichen in NRW in dieser Frage gespalten. Ein Drittel von rund 500 befragten Schülern zeigt hier rundweg ihre Ablehnung, 43 Prozent sind unschlüssig, stehen dem Islam skeptisch bis distanziert gegenüber. Zugleich aber begrüßt die Hälfte der Jugendlichen eine zunehmende kulturelle Vielfalt im Land. Und 70 Prozent finden es richtig, dass Kriegsflüchtlinge in Deutschland willkommen sein sollten. Ein Widerspruch?
„Viele Studien haben die Islamfeindlichkeit in Deutschland erforscht“, sagt die Bildungs- und Migrationsforscherin Nicolle Pfaff von der Uni Duisburg-Essen. „Doch über die Einstellungen von deutschen Jugendlichen wissen wir wenig.“ Licht in dieses Dunkelfeld bringt ein Forschungsprojekt, das sie gemeinsam mit der Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor und dem Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick in Angriff nahm.
Das Verhältnis der Geschlechter ist für Jugendliche zentrales Thema
Die Ergebnisse der Untersuchung „Islamfeindlichkeit im Jugendalter“ stellten die Forscherinnen und Forscher nun vor. Ziel ist es, in einem nächsten Schritt konkrete Handlungsanweisungen für die pädagogische Arbeit an Schulen zu liefern, um so Vorurteilen, Rassismus und Islamfeindlichkeit früh zu begegnen.
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Stark verkürzt lässt sich eine Erkenntnis der Studie aus Sicht der Jugendlichen etwa so auf den Punkt bringen: Ich habe kein Problem mit Muslimen, mein Kumpel, mit dem ich Fußball spiele, der ist in Ordnung. Aber den Islam sehe ich trotzdem kritisch. „Vor allem der Aspekt Unterdrückung und das Verhältnis der Geschlechter spielt für viele nicht-muslimische Jugendliche bei ihrer Sicht auf den Islam eine zentrale Rolle“, erklärt Lamya Kaddor.
„Wir wollten wissen, wie Jugendliche über den Islam reden, welche Themen für sie wichtig sind. Wie die Einstellungen mit ihrem Umfeld und ihren Lebenserfahrungen zusammenhängen“, berichtet Olga Janzen vom beteiligten Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld. Dazu wurden in allen Schulformen in mehreren Städten Nordrhein-Westfalens rund 500 Jugendliche im Alter von durchschnittlich 18 Jahren detailliert befragt.
Freundschaften können Vorurteil auflösen
Vier zentrale Themenfelder, die Jugendlichen wichtig sind, schälten sich dabei heraus: Der Bereich „Bedrohung der eigenen Identität“ durch den Islam, die allgemeine Gefahr durch Islamismus und Terror, die Wahrnehmung der Muslime als Fremde in „Parallelgesellschaften“ sowie Unterdrückung und Geschlechterrollen. „Das Bild der vermeintlich unterdrückten muslimischen Frau und des angeblich gewaltbereiten muslimischen Mannes“ herrschten vor, so die Studie.
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Dies löse Bedrohungsgefühle bei den befragten jungen Menschen aus, die sich in Ängsten vor sexueller Gewalt und Unterdrückung ausdrücke. So sagte zum Beispiel die Schülerin Johanna über die Rolle muslimischer Frauen: „Dass sie halt unterdrückt werden, dass sie keine Meinung haben, dass sie ständig zu Hause bleiben müssen, ja, dass sie Hausfrauen werden müssen.“
Mehr Wissen schützt nicht unbedingt vor Islamfeindlichkeit
95 Prozent der befragten Schüler haben Kontakt zu Muslimen, vor allem in der Schule. Knapp 80 Prozent gaben an, Muslime im Freundeskreis zu haben. Vor allem im Ruhrgebiet gibt es viele Kontakte zu muslimischen Jugendlichen. Je mehr die jungen Deutschen über die konkrete Lebenswelt von Muslimen wussten, desto differenzierter war ihr Bild über den Islam, erklärt Kaddor. Wer also erlebt, dass Muslime ihren Glauben ganz unterschiedlich leben und nicht jede Frau Kopftuch trägt und nicht jeder Mann seine Frau unterdrückt, der korrigiere seine Sicht. Was die Forscher überraschte: Davon bleibt aber die allgemein ablehnende Haltung gegenüber der Religion des Islam völlig unberührt.
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Die These, dass mehr Informationen über den Islam Vorurteile bekämpfen könnten, wirft die Studie über Bord. „Wissen um den Islam als Religion schützt nicht vor der Sorge um einen Verlust der eigenen Identität – vielmehr scheint dieses Wissen diese Sorgen eher zu verstärken“, schreiben die Autorinnen. „Das Wissen über den Islam beugt Vorurteilen nicht vor“, resümiert Pfaff.
15 Prozent zählen zu den „Intoleranten“ – zum Beispiel Cathy
Die Studie sortierte die Befragten anschließend grob in drei Gruppen ein: 39 Prozent identifizierten die Wissenschaftler nach der Analyse aller Antworten als „Tolerante“. Sie haben die meisten Kontakte zu Muslimen und es ist ihnen egal, ob ihre Freunde Muslime sind. Die „Indifferenten“, die häufig mit „teils - teils“ antworteten, machen 46 Prozent aus, die „Intoleranten“ 15 Prozent.
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Zum Beispiel Cathy. Die 20-jährige hat keinen Kontakt zu Muslimen – und will ihn auch nicht, berichtet Nicolle Pfaff. Weil: „Die sind eben anders und denken anders.“ In ihrem Freundeskreis umgibt sie sich nur mit Menschen, die sie als deutsch empfindet und meidet Kontakte zu Migranten in ihrer Klasse. Sie tabuisiert die deutsche Geschichte und den Holocaust, definiert Zugehörigkeit über das Deutschsein und rechtfertige Gewalt gegenüber Geflüchteten. Sie sieht sich zunehmend in ihrer Identität durch Zuwanderung verunsichert, so Pfaff.
„Man möchte ja auch, dass Deutschland so Deutschland bleibt“, sagte Cathy im Interview mit den Wissenschaftlerinnen. „Aber irgendwie wird Deutschland nicht mehr so wie richtig Deutschland bezeichnet, weil halt viele Ausländer, viele Flüchtlinge auch hierhin kommen.“
>>>> Das Forschungsprojekt
Das Projekt „Islamfeindlichkeit im Jugendalter“ untersucht, welche Einstellungen nicht-muslimische junge Menschen gegenüber Muslimen und dem Islam haben. Auf Basis der Ergebnisse werden Maßnahmen und Unterrichtsmaterialien gegen Rassismus und Islamfeindlichkeit entwickelt.
Die Stiftung Mercator in Essen fördert das Forschungsvorhaben über drei Jahre mit insgesamt 360.000 Euro. Beteiligt sind Lamya Kaddor, Aylin Karabulut und Nicolle Pfaff (Uni Duisburg-Essen) sowie Olga Janzen und Andreas Zick (Uni Bielefeld).