Essen. Auf Bilder der Katastrophe reagieren viele mit großer Empathie. Warum Experten trotzdem nicht mit einer grundlegenden Verhaltensänderung rechnen.
Es sind Bilder einer Katastrophe, die viele Menschen sehr betroffen machen: Die Folgen des Hochwassers, das in NRW, Rheinland-Pfalz und Bayern Existenzen zerstört, Häuser beschädigt und Menschenleben gekostet hat, haben eine Welle der Hilfsbereitschaft und viel Mitgefühl ausgelöst. Zugleich hat die Flut ein Thema wieder in den Fokus gerückt, das von der Corona-Pandemie lange Zeit ins Abseits gedrängt worden war: den Kampf gegen den Klimawandel.
Es gab kaum eine politische Stimme zum Hochwasser, die sich in den vergangenen Tagen nicht zum Klimawandel und seinen Folgen aufs Wetter geäußert hat. Sputen müssten wir uns, mehr Tempo machen, den Weckruf der Natur hören. Doch was bleibt, wenn Häuser und Brücken aufgebaut, Bahnstrecken und Straßen repariert worden sind? Wie nachhaltig sind Zusagen der Politik? Und was verändert die Flut beim Einzelnen? Leben wir bald klimafreundlicher?
Was hat mein Steak auf dem Teller mit dem Hochwasser zu tun?
Ortwin Renn ist eher skeptisch. „Auch wenn das Mitgefühl jetzt groß ist, wird ein Ereignis allein nicht zu dazu führen, dass wir unser Verhalten ändern“, meint der Risikosoziologe und Potsdamer Nachhaltigkeitswissenschaftler. Das Klima und sein Wandel sind komplex und Zusammenhänge zwischen dem eigenen Verhalten und den Folgen der Erderwärmung für viele Menschen nur schwer nachzuvollziehen. „Was etwa soll mein Fleischkonsum mit dem Hochwasser zu tun haben? Solche Verbindungen sind intuitiv unplausibel und für viele zu weit weg“, sagt Renn.
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Was es nicht leichter macht: Effekte lassen oft lange auf sich warten: Selbst wenn Millionen Menschen heute ihre Autos verkauften und ab morgen mit dem Rad fahren, würde sich am Weltklima erst einmal nichts ändern, sagt der Direktor des Potsdamer „Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS). „Wenn man etwas Gutes fürs Klima tut, merkt man das nicht am Klima.“
In der Pandemie war jeder direkt betroffen, beim Klimawandel ist das anders
Der Soziologe zieht den Vergleich zur Corona-Pandemie: Die Mehrheit der Bürger in Deutschland hat ihren Alltag, Konsum und soziales Miteinander innerhalb kurzer Zeit ganz entscheidend geändert, um das Virus hierzulande einzudämmen. In der Pandemie seien die Zusammenhänge aber simpler gewesen, Effekte bestimmter Maßnahmen habe man zudem bereits nach zwei Wochen sehen können und die direkte Betroffenheit sei groß gewesen. „Es ging um die eigene Gesundheit und die des direkten Umfelds.“
Beim Klimawandel ist die Betroffenheit nicht direkt gegeben: „Der Planet mag zugrunde gehen, aber wir leben hier in Deutschland länger, sind gesünder und die Wahrscheinlichkeit, dass wir noch ganz gut bei den Folgen des Klimawandels wegkommen, ist je nach Alter groß“, sagt Renn.
Wissenschaftlerin sieht „Gelegenheitsfenster“ für politische Änderungen
Und die Politik? Nach dem Hochwasser hat selbst NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), dessen Klimapolitik immer wieder als wenig ambitioniert kritisiert wurde, ein stärkeres Vorangehen angekündigt.
Anja Bierwirth vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, erwartet allerdings nicht, dass die politische Diskussion noch lange anhalten wird. Oft hat sie erlebt, wie Verantwortung in der Klimafrage von einer staatlichen Ebene zur nächsten weitergereicht werde, bis schließlich der Verbraucher mit seinem Konsum alles richten soll. „Verantwortung wird hinunterdelegiert statt dass man sich ihr stellt“, sagt Bierwirth.
Die Wissenschaftlerin und Leiterin des Forschungsbereichs Stadtwandel unterstreicht, dass auf kommunaler Ebene vieles unternommen werde, um klimaneutraler zu werden. Aber letztlich könne eine Stadt allein dieses Ziel nicht erreichen.
Immerhin: Nach Pandemie, Hochwasser und so kurz vor der Bundestagswahl im Herbst sieht die Fachfrau ein „Gelegenheitsfenster“: Die Klimadebatte könne jetzt tatsächlich an Fahrt gewinnen. Dabei müsse es gar nicht immer um neue Ziele gehen: „Es wäre schon viel geholfen, wenn wir bestimmte Dinge nicht mehr machen würden, sagt sie, „wenn wir aufhören würden, Autobahnen von vier auf sechs Spuren auszubauen oder Flughäfen zu erweitern oder eine umweltschädigende Agrarwirtschaft zu subventionieren.“
Klimaforscher: Folgen des bisher verursachten Schadens verschwinden nicht
Aber bringt das überhaupt noch etwas? Selbst wenn die Treibhausgas-Emission weltweit von jetzt auf gleich auf null sinken würden – Hochwasser, Dürren, Hitzesommer und andere extreme Wetterereignisse werden nicht wundersamerweise verschwinden. Zwar wäre die Erderwärmung in diesem Fall tatsächlich gestoppt, die Auswirkungen der bisherigen Erwärmung blieben, sagt Stefan Rahmstorf vom renommierten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Die Folgen, die wir jetzt schon verursacht haben, bleiben uns erhalten“, sagt der Klimaforscher. „Das können wir nicht mehr zurückdrehen. Wir müssen lernen, uns anzupassen.“
Was heißt das? Den Kopf in den Sand stecken? Mitnichten, warnen die Experten. „Noch können wir verhindern, dass es schlimmer wird“, sagt Rahmstorf, dass etwa die Häufigkeit und die Intensität von Extremereignissen zunehmen und am Ende Klimaschäden zu beklagen sind, die unumkehrbar sind.
Auch Ökosysteme können kippen
Rahmstorf verweist dabei auf sogenannte Kipppunkte. Jedes Ökosystem habe bestimmte Belastungsgrenzen wie der Mensch auch. Werden diese Grenzen überschritten, ist der Schaden unumkehrbar – das System kippt wie eine Tasse, die zu weit über den Rand eines Tisches geschoben wurde.
Der Amazonasregenwald etwa könne Trockenheit in einem gewissen Rahmen aushalten – ist es zu trocken, nehmen Schädlingsbefall und Brandgefahr zu. Solche Belastungsgrenzen hat auch das 3000 Meter dicke Grönlandeis. Erreicht das aber seinen „Kipppunkt“ und beginnt zu schmelzen, hätte das massive Auswirkungen auf die menschliche Gesellschaft: „Bei einem Totalverlust würden der Meeresspiegel um sieben Meter steigen“, so Rahmstorf. In einer Studie zeigt das Potsdam Institut, dass jedes Zehntel Grad Erderwärmung fürs Klima zählt.
„Verdrängungsmechanismen eine Gesellschaft“ frustrieren
Rahmstorf gilt als einer der weltweit führenden Meereswissenschaften und befasst sich seit vielen Jahren mit der globalen Erwärmung und ihren Folgen - doch unter dem Eindruck der Klimadebatte ist auch er manches Mal frustriert: „Ich hätte mir als junger Nachwuchswissenschaftler nicht vorstellen können, was für Verdrängungsmechanismen eine Gesellschaft hat“, sagt der 61-Jährige. „Ich erlebe immer noch, dass Menschen es nicht wahrhaben wollen, welche Auswirkungen die globalen Treibhausgasemissionen einer industriellen Gesellschaft auf das Klima haben und welche Folgen die Erderwärmung für die menschliche Gesellschaft hat.“
Wissenschaftler würden als „Überbringer der schlechten Nachrichten“ attackiert und bedroht, auch er und seine Kollegen und Kolleginnen. Gerade in der rechten Szene gehöre die Idee zum Weltbild dazu, dass Klimaforscher Daten manipulierten.