Essen/Düsseldorf. Maßnahmen gegen Hochwasser stoßen an Grenzen. Umweltexperten und Landespolitik wollen Städte, die Wassermassen speichern und langsam abgeben.
Als CDU und FDP im Juni einen Antrag in den Landtag einbrachten, in NRW das Konzept einer „Schwammstadt“ zu testen, war das Medienecho überschaubar. Läppisch erschien das in einer Zeit, in der Corona und die Impfkampagne alles überlagerte. Das hat sich nach der Hochwasserkatastrophe fundamental geändert. Die „Schwammstadt“ wird Parteien übergreifend zum Thema.
„Das Konzept der sogenannten Schwammstädte ist auch auf unsere Kommunen zu übertragen“, fordern Union und Liberale. Es geht im Prinzip um eine Stadt, die Wasser bei Starkregen nicht komplett über die Kanalisation ableitet, sondern es wie ein Schwamm speichert, um es in Hitzephasen zur Kühlung wieder abzugeben. Weniger Versiegelung, begrünte Dächer und Fassaden, wasserdurchlässige Straßen und Gehwege, „Abfanggräben“ um die Stadt, Regenspeicher im Erdboden gehören zu einer Schwammstadt.
Parteien im Landtag plädieren für Schwammstädte
Weltweit gibt es Experimente dieser Art, besonders in China. In Deutschland gibt es kleinere Schwammstadt-Projekte in Berlin, Hamburg und Leipzig. Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) spricht von einem „Generationenthema“ und meint: „Unsere Lösung heißt Schwammstädte. Wir müssen das Wasser in unseren Städten halten wie in einem Schwamm. Dafür dürfen Städte nicht weiter zubetoniert werden.“
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Sowohl die NRW-Regierungsfraktionen von CDU und FDP als auch SPD und Grüne wollen Schwammstädte. Laut SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty hatte die rot-grüne Landesregierung schon 2016 in einem Starkregen-Konzept die Einrichtung einer Schwammstadt angedacht. „Den Klimaschutzplan als Ganzes hat Schwarz-Gelb aus fadenscheinigen Gründen 2020 auslaufen lassen. Die Quittung dafür erhalten wir jetzt. Nachdem die drängendsten und unmittelbarsten Folgen dieser Starkregenkatastrophe behoben sind, muss das Land schleunigst wieder eine aktive Rolle beim Starkregenschutz einnehmen“, so Kutschaty.
Versiegelung von Städten aufbrechen
„Dass die Landesregierung Einzelmaßnahmen, wie zum Beispiel die Schwammstadt, jetzt andenkt, ist natürlich erstmal gut – es darf aber nicht bei Einzelmaßnahmen bleiben“, meint Grünen-Landesvorsitzende Mona Neubaur. „Wir müssen ganz konkret die Ertüchtigung der Kanalisationssysteme, die Entsiegelung von innerstädtischen Flächen und einen robusten Hochwasserschutz, der seinen Namen verdient, angehen.“ Die Starkregenereignisse der vergangenen Tage hätten den Bürgern schmerzhaft vor Augen geführt, dass die Infrastruktur in NRW nicht angemessen auf die Folgen der Klimakrise vorbereitet sei.
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Zwar haben die Städte in der Vergangenheit zum Hochwasserschutz Bebauungspläne verändert, Überflutungsflächen ausgewiesen, Rückhaltebecken gebaut und Risiko-Pläne erstellt, dennoch gibt es aus Sicht von Experten nach wie vor großen Handlungsbedarf. „Wir müssen die Versiegelung von Flächen reduzieren oder sogar wieder zurückbauen“, sagt Christian Albert, Professor für Umweltanalyse und -planung in metropolitanen Räumen an der Ruhr-Uni Bochum.
73 Fußballfelder am Tag zubetoniert
Jeden Tag werde in Deutschland eine Fläche von 52 Hektar für Bebauung oder Verkehr versiegelt, das entspreche 73 Fußballfeldern. Das Wasser rauscht über solche Flächen ungebremst in die Kanalisation oder in die Flüsse. Die Folgen von Hochwasser lassen sich aber nicht nur technischen Maßnahmen wie mit Deichen, Poldern oder Rückhaltebecken mindern. Wichtig seien zudem naturnahe Lösungen. Denn um Überschwemmungen zu vermeiden sei es zentral, das Wasser zurückzuhalten und möglichst langsam abfließen oder versickern zu lassen, um Kanäle und Flussläufe zu entlasten.
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Albert sieht zwei Ansatzpunkte: Außerhalb von Siedlungsgebieten müssten Ackerflächen in Grünflächen umgewandelt werden, Feuchtgebiete, Auen und Moore sollten erhalten oder renaturiert werden. Bächen und Flüssen müsse mehr Raum gegeben werden. „Wir haben viele Flüsse begradigt, bei Hochwasserspitzen rauscht das Wasser dann durch.“
Rückhaltebecken dienen auch als Erholungsräume
Auch in den Städten sollte Flussläufen mehr Platz für Überflutungen gegeben werden. Rückhaltebecken könnten nach dem Prinzip der „Schwammstadt“ so gestaltet werden, dass sie im Notfall Wasser aufnehmen könnten und ansonsten als naturnahe Erholungsräume dienen. „Sämtliche Grünflächen, Parks und Spielplätze in den Städten sollten zur dezentralen Versickerung genutzt werden.“ Auch die Begrünung von Dächern helfe, Regenwasser zurückzuhalten.
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Grüne Versickerungsflächen in der Stadt hätten viele zusätzliche Vorteile, so Albert: „Sie werten die Städte auf, schaffen Erholungsräume, bieten Tieren und Pflanzen Lebensräume, filtern Feinstaub, kühlen die Innenstädte und fungieren als Frischluftreservoir.“ Noch würden viele Städte technische Maßnahmen bevorzugen. „Doch unser bisheriger Umgang mit Hochwasser stößt an seine Grenzen“, so Albert. „Wir brauchen zusätzlich mehr naturbasierte Lösungen.“ Die aktuelle Hochwasser-Katastrophe könnte ein Impuls sein, neue Wege einzuschlagen, hofft er.
Ein Beispiel im Ruhrgebiet
Im Ruhrgebiet gibt es seit 2014 die Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“ von Emschergenossenschaft und Emscher-Städten, die mit dem Ruhrkonferenz-Projekt „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ seit 2020 ausgeweitet wird. Dabei geht es um einer „wasserbewusste Stadtentwicklung“, die Maßnahmen folgen dem Prinzip der Schwammstadt, so die Emschergenossenschaft. Regenwasser soll vor Ort gespeichert werden und nicht mehr in die Kanalisation abfließen, sondern versickern und verdunsten.
Dafür sorgen die Abkopplung von der Kanalisation, der Bau von Versickerungsmulden oder unterirdischen Speichern wie Rigolen, ebenso Dach- und Fassadenbegrünung und die Schaffung von Retentionsflächen. Dadurch sollen die Städte besser gegen die Folgen des Klimawandels gewappnet werden, wie Starkregen, Hitzeperioden oder Dürre.