Düsseldorf. Immer mehr Städte rebellieren gegen das Land und wollen Schulen schließen. Staatskanzlei macht am Abend klar, dass das nur letztes Mittel ist.
Der Streit um die Schulöffnung trotz steigender Infektionszahlen und Problemen mit Selbsttests für Schüler sowie Impfungen für Lehrer spitzte sich in NRW am Mittwoch erneut zu. Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) kritisierte das Veto der Landesregierung zu seinen Plänen, die Schulen zu schließen.
„Nicht nachvollziehbar“ sei das Verbot, so Westphal. Die ansteckendere Virus-Variante, die sich in NRW ausbreite, habe die Lage verändert: „Wir sehen jetzt: Kinder sind das größte Ansteckungsrisiko“, sagte er dem WDR. Westphal will seinen Antrag auf Schulschließung erneuern und ab Montag die Schulen dicht machen.
SPD-Kommunalpolitiker: "Landesregierung will mit dem Kopf durch die Wand"
„Die Landesregierung will mit dem Kopf durch die Wand, indem sie Schulöffnungen zwangsweise durchsetzt“, behauptete Frank Baranowski für die Gemeinschaft der SPD-Kommunalpolitiker (SGK). Die Oberbürgermeister von Duisburg und Bochum, Sören Link und Thomas Eiskirch (beide SPD), haben kein Verständnis für das Veto aus Düsseldorf.
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte Dortmund am Dienstag verboten, die Schulen ab Mittwoch zu schließen. „Dortmund hat eine Wocheninzidenz von 72. Wenn der Stadt nichts anderes einfällt als Schulen zu schließen, werde ich das ablehnen“, sagte er.
Staatskanzlei betont, Schulschließungen seien letztes Mittel
Am Mittwochabend schmetterte die Staatskanzlei die Forderungen nach Schul- und Kita-Schließungen in einer Mitteilung erneut ab und wies nachdrücklich auf die einzuhaltenden Modalitäten hin. „Schulschließungen können eingebettet in ein Gesamtkonzept einen Beitrag zum Infektionsschutz vor Ort darstellen, dürfen aber nur das letzte und nicht das erste und alleinige Mittel der Wahl sein“, hieß es. Zuvor müssten alle sonstigen Maßnahmen auch in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens geprüft worden sein.
In ihrer Mitteilung stellte die Landesregierung nun „nochmals“ die „in den Coronaverordnungen festgelegten Verfahren zu zusätzlichen kommunalen Schutzmaßnamen“ klar. Demnach könnten von kommunalen Behörden zusätzliche Maßnahmen zum Infektionsschutz auch an Schulen ergriffen werden, wenn der Wert von 100 Corona-Neuinfektionen je 100.000 Einwohner pro Woche nachhaltig und signifikant überschritten werde. Entscheidend sei dabei aber, die „landesweite bildungspolitische Grundsatzentscheidung im Sinne der Bildungsgerechtigkeit“ zu berücksichtigen.
Kommunen, die den Grenzwert von 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner pro Woche signifikant und nachhaltig überschritten, müssten sich mit dem NRW-Gesundheitsministerium abstimmen. Das Ministerium selbst komme auf die Kommunen zu, wenn sich diese am zweiten Tag nach dem Überschreiten des Wertes nicht meldeten.
Dürener Landrat lässt sich nicht einschüchtern
Kritik kommt nicht nur aus SPD-Kommunen. Der Landrat von Düren, Wolfgang Spelthahn (CDU), der sich für seine Pläne, die Schulen zu schließen, ebenfalls eine Abfuhr der Landesregierung eingefangen hatte, widersprach in der „Welt“: „Wir bleiben von der Richtigkeit unserer Position überzeugt.“ Offene Schulen führten zu tausenden zusätzlichen Kontakten auf dem Weg zur und von der Schule, und gerade Jüngere seien derzeit von Infektionen betroffen.
Frank Dudda (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Herne, die die aktuell höchste Inzidenz von knapp 160 in NRW aufweist, versteht die Kritik seiner Amtskollegen, akzeptiert dennoch die Zuständigkeit des Landes für Schulschließungen. Dudda verlangte einen „kompletten Neustart“ des Test- und Impfprogramms in Deutschland.
Gymnasialeltern: "Wir haben Angst um unsere Kinder"
Nicht nur die Kommunen sind in Aufruhr. „Wir haben Angst um unsere Kinder“, sagte Dieter Cohnen von der Landeselternschaft der Gymnasien im „ARD-Morgenmagazin“. Die Schulöffnungen seien ein „Ritt auf der Rasierklinge“. Die Landeselternkonferenz (LEK) kritisierte die spärlichen Selbsttests in Schulen und warnte: Viele Fragen rund um die Hygiene beim Testen seien offen.
Harald Willert, Chef der Schulleitungsvereinigung (SLV) NRW, ist verärgert, weil das Land die Verantwortung fürs Testen den Lehrern aufbürde. „Unruhe und Unsicherheiten verschärfen sich zunehmend in den Schulen, so der SLV-Vorsitzende. Die Landesschülervertretung forderte die Regierung auf, Schulöffnungen nicht zu erzwingen.
Die NRW-Chefin der Lehrergewerkschaft GEW, Maike Finnern, machte ihrem Ärger in einem Brief an Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) Luft. Sie schrieb: "Mich stimmt es zunehmend fassungslos, dass ein Jahr nach den ersten Schulschließungen die Voraussetzungen immer noch nicht geschaffen sind, unter denen Schulbetrieb gelingen kann. So wie jetzt, geht es jedenfalls nicht!"
Schulministerium: Fast alle Schüler können am Unterricht teilnehmen
Das NRW-Schulministerium verwies darauf, dass es derzeit nur vereinzelt Coronafälle in Schulen gebe. 99,2 Prozent der Schüler hätten zum Stichtag 10. März am Präsenzunterricht teilgenommen. Nur eine Schule sei zu diesem Zeitpunkt wegen Corona komplett geschlossen gewesen.