Düsseldorf. Juristisch ist die Forderung, Wahllisten gleichermaßen mit Frauen und Männern zu besetzen, umstritten. Aber der Ruf danach wird lauter.
SPD und Grüne im Landtag haben am Mittwoch bekräftigt, trotz juristischer Bedenken weiterhin ein Paritätsgesetz für NRW anzustreben. Das Gesetz soll regeln, dass die Landeswahllisten der Parteien künftig abwechselnd mit Frauen und Männern besetzt werden. In Thüringen und Brandenburg waren solche Vorstöße an den Verfassungsgerichten dieser Länder gescheitert.
„Es ist Zeit, Stopp zu sagen und gegen die ungerechte Verteilung von politischen Mandaten vorzugehen! Die Zeit der Appelle muss vorbei sein“, sagten Josefine Paul (Grüne) und Regina Kopp-Herr (SPD). Sie erinnerten daran, dass im NRW-Landtag Frauen mit nur 27 Prozent stark unterrepräsentiert seien.
Gleichberechtigung genießt einen hohen Stellenwert im Grundgesetz
Die Urteile in Thüringen und Brandenburg „schrecken uns nicht“, so die beiden Politikerinnen. Das Grundgesetz stehe einem Paritätsgesetz überhaupt nicht im Wege. Im Gegenteil: Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern sei dort klar geregelt. Gleichberechtigung stehe juristisch auf gleicher Höhe wie die Wahl- und Parteienfreiheit.
Im Landtag werden am Donnerstag Experten zum Thema Paritätsgesetz gehört. Eine parlamentarische Mehrheit für diese Initiative scheint derzeit nicht in Sicht. NRW-Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) hatte sich am Internationalen Frauentag bei der Vorstellung des ersten Gleichstellungsatlas für NRW gegen Paritätsgesetze ausgesprochen. In der Praxis brächten diese keinen Nutzen.
Politiker in mehreren Ländern treiben Initiativen für ein Paritätsgesetz voran
102 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechtes gibt es noch große Widerstände gegen Paritätsgesetze. Allerdings werde auch die Zahl der Unterstützer immer größer, wie ein „Paritätsgipfel“ von SPD und Grünen vor zwei Wochen mit 140 Teilnehmern gezeigt habe. Paritätsgesetze sind nicht nur in Brandenburg und Thüringen ein Thema, sondern auch in Rheinland-Pfalz, Berlin, Hamburg und Berlin. „Gut, dass sich auch NRW nicht einschüchtern lässt“, sagte Helga Lukoschat, Vorstandsvorsitzende des Institutes „Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin“.
Das Brandenburger Verfassungsgericht hatte das Paritätsgesetz zu den Kandidatenlisten der Parteien für Landtagswahlen gekippt: Die Quoten-Regelungen seien verfassungswidrig und verstießen unter anderem gegen die Organisationsfreiheit, Wahlvorschlagsfreiheit und Chancengleichheit der Parteien.
Widerspruch kommt von einer erfahrenen Juristin. Die frühere Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt nannte die Unterrepräsentanz von Frauen in Parlamenten am Mittwoch bei einer Pressekonferenz von SPD und Grünen ein „Defizit von Demokratie“. Frauen stellten die Hälfte der Bevölkerung und repräsentierten gleichzeitig sämtliche Gruppen in Deutschland, zum Beispiel Arme und Reiche, Kluge und Ungebildete, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.
Union kritisiert die Initiative von SPD und Grünen
Die rechtspolitische Sprecherin der CDU im Landtag, Angela Erwin kritisierte das Projekt von SPD und Grünen: „Ein Paritätsgesetz halte ich nicht für vereinbar mit dem Grundgesetz und unserer Landesverfassung, da es in die Wahlrechtsgrundsätze und die Parteienfreiheit eingreift, sowie das Diskriminierungsverbot und das Demokratieprinzip verletzt", schrieb sie in einer Pressemitteilung.
Der Gesetzentwurf von Grün-Rot greife in vielerlei Hinsicht zu kurz: "Erstens bezieht er sich allein auf die Wahllisten – bei unserem Parlament, das zu 70 Prozent über Direktmandate bestückt ist, würde dies nicht ansatzweise zu einer paritätischen Besetzung führen. Zweitens ist es mir viel zu eindimensional, Parität nur auf das Geschlecht zu beziehen. Wir brauchen nicht nur Männer wie Frauen im Parlament, sondern auch Jung und Alt, Menschen verschiedener Herkunft und aus vielen Berufsgruppen. Der Landtag sollte ein Spiegelbild der Gesellschaft in NRW sein – nicht nur in Bezug auf das Geschlecht."
Frauenanteil in Parlamenten steigt seit 2004 nicht mehr stark
Unterrepräsentiert sind Frauen nicht nur im Landtag, sondern auch in vielen Kommunalparlamenten. Von den späten 1980er-Jahren bis heute ist der Anteil der Frauen in der Kommunalpolitik zwar deutlich gestiegen, von etwas mehr als zehn auf knapp 35 Prozent, doch der stärkste Anstieg fand nur bis 2004 statt.
Die Zusammensetzung der Räte der kreisfreien Städte und der Kreistage nach den Kommunalwahlen 2020 in NRW zeige, dass die Entwicklung zur Parität bei Parteien ohne Quoten stagniert. Zu diesem Ergebnis kommen die Historikerin Dr. Beate von Miquel vom Marie Jahoda Center for International Gender Studies der RUB und der Bochumer Politologe Dr. David H. Gehne vom Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung in einer Erhebung.
Die Grünen erreichen den angestrebten Frauenanteil von 50 Prozent
Einen Vorteil haben mit Blick auf de Parität Parteien mit Quotierungsregeln, so die Studie. Spitzenreiter sind demnach die Grünen, die seit 2004 kontinuierlich einen Frauenanteil von circa 50 Prozent in den Räten und Kreistagen aufweisen. Die SPD stelle inzwischen einen Frauenanteil von 39,6 Prozent und liege sehr knapp unter ihrer innerparteilichen Quote von 40 Prozent, deren Erreichung sie sich 1998 zum Ziel gesetzt hatte.
Die beiden Parteien, die derzeit die Landesregierung stellen, bewegen sich mit deutlichem Abstand dahinter. In CDU und FDP werden etwa ein Viertel aller Mandate von Frauen bekleidet. Abgeschlagen ist die AfD, die in den Räten und Kreistagen lediglich einen Frauenanteil von 9,7 Prozent stellt und sich strikt gegen eine innerparteiliche Frauenquote ausspricht.