Essen/Düsseldorf. Den Arztbericht aufs Handy? Per App nachweisen, dass man geimpft ist? Schön wär’s: Deutsche Kliniken sind digital abgehängt, belegt eine Studie.

Zum ersten Mal hat eine Studie den Digitalisierungsgrad deutscher Krankenhäuser im internationalen Vergleich gemessen. Aus Patientensicht ist das Ergebnis ernüchternd: So nutzen die meisten der für die Studie untersuchten 52 deutschen Krankenhäuser kaum digitale Möglichkeiten, um die Kommunikation mit den Patienten und – wichtiger noch – deren Versorgung zu verbessern.

Arztbriefe werden vielfach noch immer mit der Post versandt oder gefaxt, die Anamnese vor dem Aufenthalt wird meist auf Papier ausgefüllt und auch die Feedback-Fragebögen nach dem Krankenhausbesuch münden eher in Zettelwirtschaft als in elektronischen Datensätzen.

Corona-Pandemie hat gezeigt, wie groß der Nachholbedarf ist

„Deutschland legt einen hohen Wert auf Datenschutz und Datensicherheit. Die Kommunikation mit den Patienten muss aber einfacher, transparenter und effizienter werden“, sagt Dr. Pierre-Michael Meier, Geschäftsführer der „Entscheiderfabrik“. Das Konsortium aus 36 Verbänden, 150 Industrieunternehmen und Kliniken mit mehr als 800 Standorten hat die Studie in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse seien für Akteure des Gesundheitswesens keine Überraschung, sagt Meier: „Aber nun können wir die Missstände endlich belegen.“ Mit der sogenannten „Düsseldorfer Erklärung“ wolle man aufrütteln, sagt Meier. Denn vor allem die Corona-Pandemie habe gezeigt, wie groß der Nachholbedarf in der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens ist.

Während in den USA 87 Prozent der Krankenhäuser ein elektronisches Krankheitsregister führen, sind es in Deutschland gerade einmal neun Prozent. „Dabei ließen sich über ein solches Register Versorgungslücken ablesen und Rückschlüsse auf die Häufigkeit von Krankheiten in bestimmten Regionen ziehen“, erklärt Meier.

Dr. Pierre-Michael Meier, Geschäftsführer der „Entscheiderfabrik“.
Dr. Pierre-Michael Meier, Geschäftsführer der „Entscheiderfabrik“.

Nur vier Prozent der untersuchten Krankenhäuser pflegen eigene elektronische Patientenakte

Die Studie legt zahlreiche Probleme offen: So sind etwa die Informationssysteme von niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern vielfach nicht kompatibel. Sensible Daten muss der Patient so an jeder Schnittstelle im Gesundheitssystem erneut selbst vortragen: etwa Auskunft über Allergien, Vorerkrankungen, Alter und Gewicht geben. Selbst in den Krankenhäusern ist eine elektronische Patientenakte eher eine Seltenheit: Gerade einmal vier Prozent der untersuchten Krankenhäuser pflegen die Informationen über ihre behandelten Patienten elektronisch.

Immerhin aber ist die elektronische Patientenakte der gesetzlichen Krankenkassen auf den Weg gebracht: Seit dem 1. Januar 2021 können alle gesetzlich Versicherten eine elektronische Patientenakte erhalten, in der medizinische Befunde und Informationen aus vorhergehenden Untersuchungen und Behandlungen über Praxis- und Krankenhausgrenzen hinweg umfassend gespeichert werden können.

Vor allem kleine Krankenhäuser profitieren kaum vom Zukunftsgesetz

Eine weitere wichtige Stellschraube für eine Beschleunigung der Digitalisierung sollte das Krankenhauszukunftsgesetz sein. Der Bund fördert damit digitale Investitionen an den Kliniken mit drei Milliarden Euro, die Länder stellen 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Nötig wären mindestens zehn Milliarden Euro, schätzt Meier: „Das Problem ist, dass die Förderung gerade bei den kleineren Krankenhäusern mit weniger als 500 Betten im Schnitt gerade einmal 50 Prozent des tatsächlichen Bedarfs deckt.“ Dabei seien sie das Rückgrat der Coronaversorgung gewesen, während die deutlich größeren Kliniken mit höherer Förderung in der Pandemie vielfach nicht ausgelastet gewesen seien.

Um die Digitalisierung zügig voranzutreiben, fehle außerdem IT-Fachpersonal: Mehr als ein Viertel der für die Studie befragten Kliniken hat gar keinen IT-Sicherheitsbeauftragten – damit bildet Deutschland auch im internationalen Vergleich das Schlusslicht. Vorfälle wie der Hackerangriff auf die Uniklinik Düsseldorf belegten, wie anfällig das System für Angriffe sei, sagt Meier: „Hinsichtlich der Informationssicherheit muss nicht nur mehr investiert werden. Es benötigt hoch qualifiziertes Personal, einen so genannten Chief Information Officer, der sämtliche Aspekte der Digitalisierung im Blick hat.“

Ausbau der Essener Uniklinik zum „Smart Hospital“ wird mit 14,2 Millionen Euro gefördert

Eine dieser bislang seltenen Fachkräfte ist Dr. Anke Diehl. Seit knapp zwei Jahren arbeitet sie als "Chief Transformation Officer" (CTO) an der Uni-Klinik Essen. Sie begleitet das Haus auf dem Weg zum „Smart Hospital“. Das umfasst sämtliche Bereiche – von einer automatisierten Materialbeschaffung über ein Online-Patientenportal und eine voll digitalisierte Radiologie und Pathologie bis hin zu einem eigenen Institut für Künstliche Intelligenz (KI), an dem unter anderem anonymisierte Patientenakten ausgewertet werden.

Dr. Anke Diehl treibt die Digitalisierung als „Change Managerin“ an der Uniklinik Essen voran.
Dr. Anke Diehl treibt die Digitalisierung als „Change Managerin“ an der Uniklinik Essen voran. © Oliver Hartmann | Oliver Hartmann

„Davon versprechen wir uns eine Verbesserung der Früherkennung und von Therapien. Ein Beispiel dafür ist der genetisch bedingte Brustkrebs: Schon jetzt können wir Genome untersuchen und schon vor Ausbruch einer Erkrankung reagieren“, sagt Anke Diehl. Von der KI-Anwendung erhoffe man sich die Entwicklung neuer Biomarker.

Erst Ende Februar überreichte NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart einen Förderbescheid über insgesamt 14,2 Millionen Euro, zum Ausbau der KI in NRW, 5,8 Millionen Euro davon fließen an die Essener Uniklinik. Damit soll auch ein Leitbild entwickelt werden, wie KI an Kliniken in ganz NRW eingesetzt werden kann. Das Forschungspotenzial sei riesig, weiß Diehl: „Dafür müssen die deutschen Kliniken untereinander aber noch viel besser vernetzt werden.“

Am wichtigsten sei es auch an der Uniklinik, Patienten und Mitarbeiter auf dem Weg mitzunehmen: „Aktuell arbeiten wir an einer App, mit der wir die Patientenaufnahme ein Stück weit nach Hause verlagern: Schon lange vor dem geplanten Eingriff können sich die Menschen so Informationen einholen und selbst notwendige Daten übermitteln“, gibt Diehl einen Ausblick.

Die Pandemie habe auf die Digitalisierung an den Krankenhäusern wie ein „Brandbeschleuniger“ gewirkt, weiß Diehl. Vor allem digitale Sprechstunden per Video seien ausgebaut worden und könnten nun auch abgerechnet werden. Mutterpass, Impfausweis und Zahnbonusheft soll es bald auch in digitaler Form geben. Zudem können Ärzte seit dem Herbst auch zertifizierte Apps verschreiben, die als Therapieform zugelassen sind – etwa bei Tinnitus-Patienten oder zur Unterstützung einer Psychotherapie. Wie weit der Weg ist, den Deutschland noch zurücklegen muss, zeigt diese Randnotiz: Da es noch kein elektronisches Rezept gibt, werden die Apps von Hand verschrieben – auf Papier.