Essen/Düsseldorf. Die Furcht vor der Corona.-Mutationen überschattet die Rückkehr in den Präsenzunterricht. Es ist ein zähes Ringen an den Schulen in NRW.

Trotz der Gefahren, die möglicherweise von Virusmutationen ausgehen, hält NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) die Rückkehr vieler Schüler in den Präsenzunterricht ab Montag für richtig. „Das ist verantwortungsvoll und der Situation angemessen“, sagte sie am Freitag. Nach sechs Wochen reinem Distanzunterricht habe sich die Lebensqualität vieler Kinder und Jugendlicher verschlechtert. Schulen müssten ein „Ort der Begegnung“ sein. NRW werde einen „guten Schulstart“ erleben.

Ab Montag werden rund 800.000 Schüler in NRW teilweise oder ganz in den Präsenzunterricht zurückkehren: Grundschüler und die Primarstufe der Förderschulen sowie Abschlussklassen in Mittel- und Oberstufe. Grundschüler werden zunächst im Wechselunterricht – je die Hälfte einer Klasse in der Schule und daheim – unterrichtet, Abschlussklassen und -kurse können, müssen aber nicht komplett in den Präsenzunterricht gehen.

Maskenpflicht im Schulgebäude

Für die Sicherheit von Schülern, Lehrern und Eltern sei gesorgt, so die Ministerin. Unter anderem durch die Pflicht, überall im Schulgebäude mindestens eine medizinische Maske zu tragen. In den Klassen 1 bis 8 darf es auch eine Alltagsmaske sein, wenn der medizinische Mund-Nasen-Schutz wegen der Größe nicht passen sollte.

Die Regeln für den Neustart der Schulen gelten zunächst bis zum 7. März. Ob danach weitere Jahrgänge in den Präsenzunterricht zurückkehren, ist bisher offen. „Wir müssten dafür beim Infektionsgeschehen landesweit stabil auf einen Inzidenzwert unter 50 kommen“, erklärte Gebauer.

Ein Überblick über die Meinungen und Forderungen zum Schulbeginn:

Seit sechs Wochen befinden sich Kinder und Jugendliche in NRW im Distanzunterricht. Das soll sich ab Montag für jeden dritten Schüler wieder ändern. Grundschüler und Jugendliche in Abschlussklassen kehren in die Schulen zurück. Vieles spricht dafür. Kritik üben Betroffene aber am Gesundheitsschutz und an den Klassengrößen. Ein Überblick.

Die Landesregierung:

„Wir kennen die Grenzen des Distanzunterrichts“, sagt NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Es seien zunehmend psychische Auffälligkeiten bei Schülern festzustellen, besonders bei Kindern aus sozial schwachen Familien. Echte Wertschätzung und „genaues Hinsehen“ seinen nur in Präsenz möglich.

Zum Schutz von Schülern, Lehrern und Eltern gilt eine Pflicht zum Tragen mindestens medizinischer Masken im Schulgebäude. Lehrer können sich auf das Coronavirus testen lassen.

Eltern- und Schulverbände:

In Abschlussklassen befinden sich bis zu 30 Schüler, warnen Elternverbände. „Es gibt keine vorgeschriebenen Abstandsregeln oder FFP2- Masken. Das ist gegenüber Schülern und Lehrkräften unverantwortlich“, mahnen die Landeselternschaft (Leis) sowie der Verband für integrierte Schulen (GGG) in NRW. Die Schulministerin missachte den Gesundheitsschutz und konzentriere sich allein auf die Abschlüsse.

Die Anforderungen durch Wechsel von Fern- und Präsenzunterricht überfordere die Schulen. „Bereits die Öffnung der Schulen für die Abschlussklassen hat fatale Auswirkungen“, sagt Leis-Vorsitzender Ralf Radke. Dadurch würden die Lehrkräfte so gebunden, dass der Distanzunterricht für die unteren Klassen nicht im gewohnten Umfang erteilt werden könne.

"Keine vollen Klassen!"

Lehrer und Schulleiter vermissten angesichts der Ausbreitung von Virus-Mutationen verbindliche Vorgaben für den Gesundheitsschutz, so GGG-Landesvorsitzender Behrend Heeren. Leis und GGG beklagen, dass Forderungen nach FFP2-Masken und Tests für Schüler sowie nach Luftfilteranlagen in den Klassenräumen abgelehnt worden seien.

„Keine vollen Klassen“ fordert auch die Landeselternkonferenz (LEK), der Dachverband der Stadt- und Kreisschulpflegschaften in NRW. „Präsenzunterricht in voller Klassenstärke, ohne Wahrung der Abstandsregeln lehnen wir in allen Jahrgangsstufen ab“, sagt LEK-Vorsitzende Anke Staar. Eine Bevorzugung der Abschlussjahrgänge beim Präsenzunterricht könne keine Chancengleichheit herstellen, sei aber eine erhebliche Benachteiligung der Schüler in der Sekundarstufe 1.

Die Landeselternschaft der Gymnasien ermutigt die Schulministerin, im Bund darauf zu dringen, dass bald auch die Klassen 5 und 6 in den Präsenzunterricht zurückkehren können.

Die Gewerkschaften:

Maike Finnern, NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sorgt sich um die Infektionsrisiken: „Für die Abschlussklassen wird es riskant mit dem Präsenzunterricht, der in voller Stärke stattfinden kann“, sagte sie dieser Redaktion.

Wechselunterricht ermögliche zwar kleinere Lerngruppen, erfordere aber einen höheren Aufwand. Keine Schule habe genug Personal, um zugleich auch Fernunterricht in gewohntem Umfang anbieten zu können. Für die Grundschulen gelte ab Montag wieder: Präsenzunterricht, Distanzunterricht, Betreuung und Ganztagsangebote – und das alles gleichzeitig. Ohne Extra-Personal sei das nicht zu leisten. Finnern forderte eine Test- und Impfstrategie für Schüler, Erzieherinnen und Lehrkräfte.

„Es wird kein unbeschwerter Wiedereinstieg in den Präsenzunterricht sein“, befürchtet Stefan Behlau, NRW-Chef des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). Mit Blick auf die Mutationen des Virus seien viele Lehrer besorgt. Umso wichtiger sei es, Lerngruppen klein zu halten – auch in den Abschlussklassen.

Die Schüler:

Die Landesschülervertretung (LSV) sorgt sich um Schüler, die durch die Pandemie zusätzlich benachteiligt werden und den Anschluss zu verlieren drohen. „Obwohl alle unter der Pandemie leiden, gibt es leider Menschen, die stärker betroffen sind als andere.“ Während manche im Homeschooling Unterstützung durch ihr Umfeld erhielten, müssten andere den Unterricht allein stemmen. Die Maßnahmen der Regierung reichten nicht, um die soziale Ungleichheit zu beheben. Technische Geräte anzuschaffen sei zu wenig.

Die Städte:

Städtetag-NRW-Geschäftsführer Helmut Dedy unterstützt die Öffnung der Schulen, weil dadurch Bildungschancen und soziale Teilhabe ermöglicht würden. „Sorgen macht uns, dass wir noch immer zu wenig Erkenntnisse zu den mutierten Coronaviren und ihrer Gefährlichkeit haben. Deshalb ist ein schrittweises und bedachtes Vorgehen sehr wichtig.“