Essen/Berlin. Bochumer Kriminologe: Menschen mit dunkler Hautfarbe berichten häufiger über Rassismus - vor allemn wegen mutmaßlichem “Racial Profiling“.

Drohbriefe eines „NSU 2.0“. Rechtsextreme Botschaften in Chatgruppen. Immer wieder werden rassistische Vorfälle in der Polizei bekannt. Über die Frage, wie weit verbreitet Rassismus in der Polizei aber tatsächlich ist, wird heftig gestritten. Die Untersuchung des Bochumer Kriminologen Prof. Tobias Singelnstein und seinem Team, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, legt nun nahe, dass das Problem weiter verbreitet ist als gedacht. Singelnstein beleuchtete in der Auswertung der Daten vor allem die Diskriminierungserfahrungen von Menschen mit dunkler Hautfarbe (People of Color, PoC) sowie mit Migrationshintergrund. Zentrales Ergebnis: Sie berichten weitaus häufiger von Rassismus und Diskriminierungen als Personen, die als „deutsch“ wahrgenommen werden.

Mutmaßliche Opfer rechtswidriger Polizeigewalt wurden demnach eindeutig rassistisch, antisemitisch oder islamfeindlich behandelt. Manche Polizisten hätten dies in Interviews als Aussagen oder Verhalten von Kollegen bestätigt. Wie groß das Problem in der Polizei ist, könne anhand der Daten aber nicht beurteilt werden, so Singelnstein. Für die Studie „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte“ haben die Bochumer Kriminologen in den vergangenen drei Jahren 3370 Menschen befragt und 63 Experteninterviews geführt. Die Ergebnisse seien nicht repräsentativ, sondern eine Stichprobe unter Betroffenen.

Oft eskalieren anlasslose Personenkontrollen

Dennoch sei die Studie aussagekräftig, betonte Singelnstein: „Wir können jetzt etwas dazu sagen, wie sich die Erfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund oder dunkler Hautfarbe von denen weißer Menschen unterscheidet.“ 62 Prozent der Befragten „People of Color“ gaben an, sich in der erfahrenen Gewaltsituation diskriminiert gefühlt zu haben. Bei Menschen ohne Migrationshintergrund waren es nur 31 Prozent. Unter anderem die Häufigkeit der Diskriminierungserfahrungen führte bei den Betroffenen zu dem Eindruck, dies geschehe aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Aussehens.

Insbesondere sogenannte „anlasslose Kontrollen“ führten demnach zu polizeilicher Diskriminierung und in der Folge im Extremfall zu Gewalt. Wie das ablaufen kann, berichtete der Düsseldorfer Rechtsanwalt Blaise Francis El Mourabit, der zahlreiche Opfer polizeilicher Übergriffe berät, aus eigener Erfahrung. „Wenn ich nicht im Anzug, sondern in Jogginghosen durch den Hauptbahnhof laufe, werde ich viel häufiger kontrolliert, weil ich nicht typisch deutsch aussehe.“ Oft seien die Beamten barsch oder herablassend. „Mir wurde einmal gesagt: Rück‘ die Drogen lieber gleich heraus.“

"Polizei hat ein strukturelles Problem"

Den Grund dafür sieht Singelnstein in rassistischen Einstellungen der Beamten. Das bedeute nicht, dass alle Polizisten rassistisch seien, betont der Forscher. Die Studie liefere aber Hinweise auf ein „strukturelles Problem bei der Polizeiarbeit“. Zugleich sei vielen Beamten nicht bewusst, dass sie Vorurteile und Klischees über Migranten haben. Aus polizeilicher Sicht würden die Unterschiede etwa bei Personenkontrollen nicht als rassistisch oder diskriminierend wahrgenommen.

„Das hat etwas mit dem Erfahrungswissen der der Beamten zu tun“, erklärt Singelnstein. Erzählungen von Kollegen oder Erfahrungen aus dem Umfeld würden die eigenen Einstellungen beeinflussen. „Das ist dann problematisch, wenn so bestimmten Gruppen pauschal bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden. Etwa eine andere Kultur, andere Moralvorstellungen oder Kriminalitätsbelastungen. Diese Vorurteile können auch unbewusst wirken.“

Viele Betroffene verzichten auf eine Anzeige

Dabei haben die Beamten meist wenig zu befürchten. Nur neun Prozent der von illegaler Polizeigewalt betroffenen Personen erstatten eine Anzeige. Viele verzichten darauf, weil sie glauben, dass dies ohnehin zwecklos ist. In 64 Prozent der Fälle wurde dunkelhäutigen Personen von einer Anzeige abgeraten, 21 Prozent berichteten, dass die Aufnahme ihrer Anzeige verweigert wurde.

Rechtsanwalt El Mourabit hat für fremd aussehende Personen einen Tipp, wie sie sich bei Personenkontrollen verhalten sollten: „Fragen Sie nach der Identität des Beamten. Wenn er sich nicht ausweisen will: Rufen Sie die Polizei.“