Düsseldorf. Erstmals legt NRW eine Studie zu Kriminalitätserfahrung und Sicherheitsempfinden vor. Fast 25.000 Bürger hatten sich beteiligt.

Schauen wir auf das „Hellfeld“ der Kriminalität – also auf Verbrechen, die bekannt werden – ist die Entwicklung in NRW bemerkenswert gut. Aber wie nahe sind diese Statistiken an der Wirklichkeit? Die Landesregierung hat am Montag die Ergebnisse der ersten, weitgehend repräsentativen „Dunkelfeldstudie“ präsentiert. Wenig überraschendes Ergebnis: Viele Taten werden von den Opfern nie angezeigt. Wie groß das „Dunkelfeld“ tatsächlich ist, lasst sich aber auch nach dieser Studie nur erahnen.

Was wurde untersucht?

60.000 zufällig ausgesuchte Bürger über 16 Jahren aus 81 Städten erhielten vor gut einem Jahr Fragebögen, in denen sie anonym nach ihren Erfahrungen mit Kriminalität befragt wurden. Rund 24.500 Menschen (41 Prozent) schickten die Unterlagen ausgefüllt an die Behörden zurück, und das Landeskriminalamt (LKA) wertete die Antworten aus. Es handelt sich um Rückmeldungen aus der Zeit vor der Coronakrise. Auswirkungen der Pandemie sind darin also nicht abzulesen. NRW-Heimat- und Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) verglich die Studie mit einem „Scheinwerfer“, der das Dunkelfeld bei der Gewalt gegen Mädchen, Frauen, Jungen und Männer ausleuchten sollte.

Ist das gelungen?

Mehr oder weniger. Das Dunkelfeld bleibt auch nach dieser Studie noch im Dunkeln. Wenn laut der Umfrage zum Beispiel nur jede vierte Körperverletzung zu Anzeige gebracht wird, bedeute dies nicht automatisch, dass das Dunkelfeld bei 75 Prozent liege, erklärte Maike Meyer vom LKA. Die Hell- und Dunkelfeldverteilung sei „nicht direkt vergleichbar“. Zudem würden zu wenige Taten angezeigt.

Wie ist das Sicherheitsempfinden?

In ihrer Nachbarschaft fühlen sich die Menschen in der Regel sicher. Je weiter sie sich von ihrer Wohnung entfernen, desto größer werden die Ängste. Vor allem dann, wenn sie dunkle und verwahrloste Gegenden betreten. Frauen haben laut der Studie tendenziell mehr Unsicherheitsgefühle als Männer. „Wir können die besten Zahlen zur Kriminalitätsentwicklung präsentieren. Aber was nützt das, wenn die Leute das Gefühl haben, sie lebten in einer Müllgegend“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU).

Kurios: Laut der Studie nimmt das Sicherheitsgefühl der Menschen insgesamt ab. Sie halten es dennoch für eher unwahrscheinlich, dass sie selbst Opfer von Gewalttaten oder Eigentumsdelikten werden. Das private Risiko wird meist als gering eingeschätzt.

Wie viele Menschen sind Opfer von Verbrechen?

Mehr als die Hälfte (57,9 Prozent) der Befragten gab an, in ihrem Leben mindestens einmal Opfer von körperlicher, sexueller oder psychischer Gewalt gewesen zu sein. Gut jeder Vierte gab dies sogar für den Zeitraum zwischen September 2018 und August 2019 an. Jeder Vierte hat demnach schon in seinem Leben unter Gewalt in der Partnerschaft gelitten, sechs Prozent sogar in den zwölf Monaten vor der Umfrage.

Welche Verbrechen werden oft angezeigt?

Am höchsten ist die Anzeigequote bei körperlicher Gewalt. Raub kommt auf eine Quote von 44 Prozent, Körperverletzung mit Waffe auf 39,3 Prozent, die einfache Körperverletzung auf 26,4 Prozent.

Welche Delikte werden selten bekannt?

Gewalt in Partnerschaften wird fast nie angezeigt: Körperverletzung erreicht hier nur eine Quote von 2,4 und Vergewaltigung 1,3 Prozent. Die Polizei erfährt auch sehr selten von psychischer Gewalt gegen Bürger. Die Quote liegt zwischen 0,2 (Ausgrenzung) und 17,2 Prozent (Erpressung).

Sexuelle Gewalt wird kaum in den Statistiken abgebildet. Die Anzeigequoten liegen bei 15 Prozent (Vergewaltigung), 7,4 Prozent (sexuelle Nötigung) und 0,6 Prozent (sexuelle Belästigung/Beleidigung).

Warum verzichten Opfer auf eine Anzeige?

Die meisten, die auf eine Anzeige verzichten, meinen, dass die Tat nicht schwerwiegend war (61,4 Prozent). Ungefähr jeder Vierte hält die Aufklärung für unwahrscheinlich, will einfach seine „Ruhe“ haben oder meint, die Beweise reichten nicht.

Was wünschen sich die Bürger?

Mehr Polizeipräsenz wird häufig erwähnt (71,5 Prozent), härtere Strafen (36,4 Prozent), einige fordern auch mehr Videoüberwachung (19,8 Prozent). Ein großes Problem: Viele Menschen wissen nicht, an wen sie sich in ihrer Not wenden können. Die Hilfsangebote für Opfer in NRW sind noch zu unbekannt.

Was will die Regierung unternehmen?

Heimatministerin Scharrenbach will die Hilfsangebote weiter ausbauen und die existierenden intensiv bewerben, zum Beispiel das neue Opferschutzportal und das Männerhilfetelefon. Innenminister Reul möchte die Nachbarschaften stärken, „Angsträume“ reduzieren und mehr Beamte auf die Straße bringen: „Die Bürger müssen sehen, dass es Polizisten gibt.“