Oberhausen. Die Corona-Krise hinterlässt deutliche Spuren: Immer mehr werdende Eltern bezweifeln, ob sie sich ein Kind überhaupt noch leisten können.
Immer mehr schwangere Frauen denken über eine Abtreibung nach. Dabei spielt auch die Corona-Krise eine Rolle. Nach Auskunft des Vereins Donum vitae Mülheim/
Oberhausen ist die Zahl der Schwangerschaftskonfliktberatungen in den ersten Monaten dieses Jahres noch einmal sprunghaft angestiegen. Und das, nachdem zuletzt 2019 die meisten Konfliktberatungen seit Eröffnung der Beratungsstelle im Jahr 2001 verzeichnet wurden.
182 der zu einem Schwangerschaftsabbruch berechtigenden Beratungen führte Donum vitae im Jahr 2018 durch. 2019 waren es bereits 209 – ein Plus von 15 Prozent. „Der Anteil lag damit 2019 erstmals bei 60 Prozent aller Beratungen“, sagt Christina Radmer, Sozialpsychologin bei Donum vitae. Im Jahr 2020 dürfte sich diese Entwicklung noch einmal steigern. Allein von Januar bis Mitte Juni 2020 verzeichneten die Beraterinnen 112 Konfliktberatungen.
Die Folgen der Corona-Krise gingen für viele Familien ans Eingemachte. „Am Anfang hatten viele Frauen nur Angst, alleine zur Entbindung ins Krankenhaus zu müssen, denn die Väter durften zunächst ja nicht mehr mit“, erläutert Radmer. Doch dann wuchsen die finanziellen Sorgen. „Viele Eltern befinden sich in Kurzarbeit, das Geld reicht schon jetzt kaum noch zum Leben und da machen sie sich Gedanken, wie sie die zusätzlichen Kosten für ein Kind stemmen sollen.“
Das Betreuungsgerüst aus Kita und Ganztag gerät ins Wanken
Eine große Belastung sei aber auch das durch die Corona-Krise ins Wanken geratene Betreuungsgerüst. „Die Kindergärten waren lange dicht und arbeiten bis heute nicht voll, die Grundschulen blieben bis vor wenigen Tagen ebenfalls geschlossen und zu den Großeltern sollte man die Kinder auch nicht bringen.“
Die meisten Gespräche führten die Donum vitae-Mitarbeiterinnen persönlich. Wie dies für werdende Eltern ist, weiß auch Andreas Müller, Leiter von Pro Familia Oberhausen. „Gerade den Frauen fällt es so schon schwer genug, mit uns über das Thema Abtreibung zu sprechen.“ Also wurden Plexiglasscheiben aufgestellt und Masken aufgesetzt. Auch bei Pro Familia stieg die Zahl der Konfliktberatungen um zwölf Prozent – von 182 (Januar bis Mai 2019) auf 203 im gleichen Zeitraum dieses Jahres.
Caritasverband stellt keine Scheine aus
Donum vitae und Pro Familia sind in Oberhausen die einzigen Beratungsstellen, die die für einen Schwangerschaftsabbruch benötigten Scheine ausstellen. Der Caritasverband Oberhausen bietet dies als katholische Einrichtung im Rahmen seiner Beratungen rund ums Thema Schwangerschaft nicht an. Dennoch verzeichnete Caritas-Abteilungsleiterin Irmgard Handt ebenfalls einen enormen Anstieg: 420 Beratungen waren es im Zeitraum Januar bis April 2018, 485 im Jahr 2019 und 503 im Jahr 2020 (jeweils Januar bis April).
Zur Caritas kommen Eltern, die ihr Kind trotz aller Schwierigkeiten behalten wollen. „Darunter sind auch einige Mütter, die ein behindertes Kind erwarten und sich von ihrem Umfeld unter Druck gesetzt fühlen, das Kind abzutreiben“, erzählt Handt. Besonders beeindruckt habe sie aber der Fall eines 16-Jährigen: „Er ließ sich bei uns beraten, weil er Vater wird und er diese Rolle wirklich ernsthaft annehmen wollte.“ An der Tagesordnung sei ein solches Engagement eher nicht. „Es passiert leider viel häufiger, dass Frauen von ihren Partnern sitzengelassen werden, sobald die erfahren, dass ein Kind unterwegs ist.“
Bei der Caritas werden die meisten Beratungen aufgrund der Corona-Krise noch online und per Telefon (0208-940440) durchgeführt. „Nur in Ausnahmefällen bieten wir persönliche Gespräche an.“