Düsseldorf. Nach den Bund-Länder-Beratungen zu den rasant steigenden Infektionszahlen muss NRW nun sehen, welche Regeln man wie umsetzen kann.
Am Morgen danach hielt sich Armin Laschet im Gerangel um die Deutungshoheit auffällig zurück. Der NRW-Ministerpräsident setzte zur vorangegangenen achtstündigen Corona-Krisensitzung der Länderchefs mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gerade mal zwei kurze Einschätzungen bei Twitter ab. Ansonsten ließ er bloß auf eine Video-Schalte seines Kabinetts und eine sich daran anschließende Beratung mit Kommunalvertretern an diesem Freitag verweisen.
Laschet hat aus einem für ihn kommunikativ katastrophal verlaufenen Sommer augenscheinlich seine Lehren gezogen. Als die erste Infektionswelle durchs Land schwappte, wurde er immerzu als „Lockerer“ und Gegenspieler des strengen Eindämmungs-Duo aus Merkel und dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) wahrgenommen. Laschets Kurs der differenzierten Virus-Bekämpfung je nach Infektionslage und seine generelle Skepsis gegenüber präventiven Grundrechtseingriffen vermittelte sich öffentlich nicht. Seine Persönlichkeitswerte fielen ins Bodenlose. In der Krise wollen die Leute Klarheit. Und als Merkel und Söder am Mittwochabend nach stundenlangem Gerangel im Kanzleramt vor laufenden Fernsehkameras mit Grabesstimme ein aufziehendes „Unheil“ beschrieben, war der Ton schon wieder gesetzt.
In der Sache kann NRW mit den Berliner Beschlüssen leben
In der Sache sind die neuesten Bund-Länder-Beschlüsse nicht so weit weg von dem, was in NRW ohnehin seit Wochen praktiziert oder geplant ist. Laschet hatte Ende August als Erster eine „lokale Corona-Bremse“ entwickeln lassen, die greifen sollte, wenn in einer Stadt binnen sieben Tagen bereits mehr als 35 Infizierte auf 100.000 Einwohner kommen. Da inzwischen die großen NRW-Städte fast flächendeckend den bundesweiten Alarmwert von 50 Infizierten überschreiten, hatte das Landeskabinett in einer Sondersitzung am vergangenen Sonntag die Zügel von selbst angezogen.
Die von Laschet favorisierte „Hotspot-Strategie“ dürfte nun noch einmal verschärft werden, weil Bund und Länder gemeinsam Ansammlungen in der Öffentlichkeit und Feiern weiter reglementieren wollen. Die erweiterte Maskenpflicht oder eine Sperrstunde für die Gastronomie um 23 Uhr werden auch in NRW von vielen als probates Mittel gesehen, um Sorglosigkeit insbesondere bei jungen Leuten zu bekämpfen.
Beim Beherbergungsverbot blieb Laschet skeptisch
Von Anfang an „quer im Stall“ stand Laschet lediglich beim umstrittenen Beherbergungsverbot. „Das Beherbergungsverbot setzt falsche Anreize: Es zwingt Menschen, sich vor einer Hotelübernachtung frei testen zu lassen. Wichtige Testreagenzien, die jetzt dringend gebraucht werden, werden verschwendet. Unsinnige Vorschriften gefährden die wichtige Akzeptanz der Corona-Regeln“, findet er. Obwohl Fachleute und andere Regierungschefs es ähnlich sahen, konnte sich Merkel nicht dazu durchringen, diese Regelung zu kippen. Nach ersten Gerichtsentscheidungen vom Donnerstag dürfte sie aber nicht mehr lange Bestand haben.
NRW muss derweil eine Strategie entwickeln, eine Verbreitung des Virus in sensiblen Einrichtungen wie Alten- und Pflegeheimen schnell einzudämmen. Genau dort sollen die Testkapazitäten vorrangig zum Einsatz kommen – und eben nicht bei jungen, kerngesunden Urlaubern.
Kann der Staat Treffen in der Privatwohnung überhaupt kontrollieren?
Auch bei allzu übergriffigen Vorgaben zu Treffen in Privatwohnungen ist die Landesregierung eher skeptisch. Maximal zehn Personen bei Privattreffen daheim in Hotspot-Städten? Zum einen findet Laschet, dass die allermeisten Bürger in der Pandemie bei herausragenden Ereignissen wie Taufe, Hochzeit oder Geburtstag verantwortungsvoll gefeiert hatten. Außerdem weiß niemand so recht, wie Begegnungen in den geschützten eigenen vier Wänden vom Staat wirksam unterbunden werden sollten. Einen weiteren Papiertiger braucht niemand.
„Die Regierung Laschet darf jetzt die Verantwortung für den Schutz der Gesundheit unserer Bevölkerung nicht wieder an die Kommunen abdrücken“, warnte bereits SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass angesichts der immer weiter steigenden Infektionszahlen auch der Schulstart nach den Ferien von großen Unsicherheiten begleitet sein dürfte. Laschets frühes Credo, dass es nie mehr zu flächendeckenden Schul- und Kita-Schließungen kommen dürfe, ist inzwischen zwar Allgemeingut. Doch der Druck, gemeinsam mit den kommunalen Schulträgern den Schulalltag Corona-tauglich zu gestalten, wächst noch einmal gewaltig. Kleinere Lerngruppen, mehr Digital-Unterricht, wirksamere Hygienemaßnahmen, besserer Schutz für vorerkrankte Lehrer – die Wunschliste der Verbände ist lang. „Die Empfehlungen zum Lüften zeigen, dass das Mantra vom Regelbetrieb eine Wunschvorstellung bleibt“, sagte Grünen-Bildungsexpertin Sigrid Beer.