Düsseldorf. Auf den ersten Blick ist der geplante Haushalt für 2021 ausgeglichen. Aber das ist nur durch einen Schulden-Trick möglich.
Mitten in der Coronakrise hat NRW-Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU) einen Gesetzentwurf für einen schuldenfreien Haushalt vorgelegt. Selbst in unruhigen Zeiten blieben die Finanzen des Landes „stabil“, behauptete er am Mittwoch beim Einbringen des Haushaltsentwurfs 2021 ins Landesparlament. Tatsächlich aber kommt NRW nicht ohne neue Milliarden-Schulden aus. Sie tauchen nur nicht im offiziellen Haushalt auf, sondern werden in einen Rettungsschirm ausgegliedert.
SPD und Grüne warfen der Landesregierung deshalb Tricksereien und sogar „Veruntreuung“ vor, weil sie meinen, das Land behalte eigennützig Geld, das eigentlich den krisengeplagten Städten und Kreisen zustehe. Streit löst auch die Frage aus, wofür im kommenden Jahr Geld ausgegeben wird. Die Landesregierung investiert unter anderem in mehr Polizisten, in die Bekämpfung von Kindesmissbrauch und zusätzliche Kita-Plätze. Die Opposition kritisiert, Familien und Not leidende Bürger gingen leer aus.
Die Coronakrise setzt in NRW Millionen Beschäftigte und Tausende Firmen unter Druck. Stress, Sorge um den Job und in vielen Branchen sinkende Nachfrage trüben die Stimmung. Aber wie schlägt die Krise auf die Finanzen des Landes durch? Wird da jetzt auch, wie in vielen Privathaushalten, jeder Cent umgedreht? Das Gegenteil ist der Fall, die Ausgaben sollen auch 2021 wieder deutlich steigen.
Wie beeinflusst die Krise die Landesfinanzen?
„Ein Ansparen gegen die Krise wäre ökonomischer Unfug und gefährlich“, behauptete NRW-Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU) bei der Einbringung des Haushaltsentwurfes für das Jahr 2021 in den Landtag. Er erinnerte an die Finanzpolitik zur Zeit des Reichskanzlers Heinrich Brüning, mit der sich die Weimarer Republik in härtester Krisenzeit praktisch zu Tode gespart hatte.
Geknausert wird in NRW also nicht. Der nächste Haushalt soll rund 82 Milliarden Euro umfassen – etwa 2,5 Milliarden Euro mehr als der davor. Weitere Steigerungen sind bis 2023 schon eingeplant. Das Kuriose an diesem Haushaltsentwurf: In ihm tauchen, trotz Krise, keine neuen Schulden auf.
Wie ist das möglich?
Die Landesregierung bedient sich eines Tricks. NRW verschuldet sich zwar mit 5,1 Milliarden Euro, diese Schulden werden aber in den Corona-Rettungsschirm ausgegliedert, damit der reguläre Haushalt weiter stabil und solide aussieht. Bei diesem Rettungsschirm handelt es sich um ein Sondervermögen von insgesamt 25 Milliarden Euro, das die Folgen der Coronakrise abmildern soll. Jeder Schulden-Euro aus dem Rettungsschirm werde schnellstmöglich wieder zurückgezahlt, beteuert die Regierung. Beginnen will sie damit im Jahr 2024.
Welche Investitionen sind der Regierung wichtig?
Sie will 2021 in Sicherheit investieren und mehr Polizisten und Polizei-Verwaltungsmitarbeiter einstellen. Der Verkehr spielt eine große Rolle: Viel Geld fließt in die Sanierung maroder Landesstraßen und in den Bau von Radwegen. Die Kitas werden besser ausgestattet, der Offene Ganztag für Grundschüler ausgeweitet, die Schulen werden digitalisiert. Im Kampf gegen Kindesmissbrauch sollen mehr Spezialisten nach Tätern fahnden.
Was sagt die Opposition zum Haushaltsentwurf?
Sie lässt kein gutes Haar daran. Weder die geplanten Investitionen noch das „Verstecken“ von Schulden im Rettungsschirm finden Gefallen. „Das ist ein Rettungsschirm für die Landesregierung“, kritisierte SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty. NRW lasse die in der Coronakrise leidenden Kommunen mit diesem Haushalt „total im Regen stehen“, biete ihnen bloß neue Kredite und keinen Cent echte Hilfe an. Städte und Gemeinden müssten nun neue Schulden machen, obwohl insgesamt elf Milliarden Euro aus dem Rettungsschirm noch nicht verplant seien und die Regierung selbst unter diesen Schirm schlüpfe. Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) sprach gar von einer „Veruntreuung“ von Geld durch die Landesregierung.
Wie viel Haushaltsdisziplin zeigt die Landesregierung selbst?
Wenig, jedenfalls wenn es ums Personal für die Ministerien geht. Vor der Landtagswahl hatten CDU und FDP heftig das Aufblähen der Ministerialbürokratie unter Rot-Grün kritisiert. In drei Jahren Schwarz-Gelb wurden aber so viele zusätzliche Stellen dort geschaffen, dass man damit drei neue Ministerien bestücken könnte: 772. Allein die Ausgaben der Staatskanzlei hätten sich seit 2016 verdreifacht, bemängelt die SPD.
Der Landesrechnungshof hat kürzlich die Ausgabenfreude der Landesregierung gerügt. Er reibt sich vor allem am geplanten Tilgungszeitraum der Neuverschuldung von 50 Jahren. Alle anderen Bundesländer wollen ihre Schulden schneller tilgen, Baden-Württemberg in zehn, Sachsen-Anhalt sogar in sechs Jahren. Dem Rechnungshof gefällt es auch nicht, dass das Parlament keine Kontrolle über den Corona-Rettungsschirm hat. So sei es schwer zu überprüfen, ob diese Ausgaben tatsächlich der Bekämpfung der Pandemiefolgen dienen.
Welche Investitionen vermisst die Opposition?
„Bei denen, die es brauchen, kommt kein Cent an“, behauptete SPD-Fraktionschef Kutschaty. Vor allem Frauen seien die Haupt-Verlierer in der Krise. Erzieherinnen, Pflegerinnen, Kassiererinnen, die für ihren Corona-Einsatz gelobt worden seien, würden zu Bittstellern. Bezahlbare Wohnungen seien vielerorts rar, neue Stellen für Lehrer und Polizisten könnten mangels Personal oft nicht besetzt werden. „Sie wissen nicht mehr, wie es auf dem Wohnungsmarkt aussieht. Sie haben keine Ahnung vom Leben im Niedriglohnsektor“, rief Kutschaty Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zu.