Essen. Parkhäuser statt Professoren: Hochschulen in NRW sparen Milliarden Fördergelder an, statt in mehr Personal zu investieren. Rüge vom Rechnungshof.

Anstatt Milliarden Fördermittel wie vorgesehen für zusätzliche Studienplätze und Personal auszugeben, parken Hochschulen Gelder von Bund und Ländern seit Jahren auf ihren Konten. Nach einem noch nicht veröffentlichten Bericht des Bundesrechnungshofes für den Haushaltsausschuss des Bundestages summierten sich die „Ausgabenreste“ Ende 2018 auf 3,7 Milliarden Euro.

Der mit Abstand größte Anteil dieser angesparten Mittel entfällt mit 1,9 Milliarden Euro auf Nordrhein-Westfalen. „Dies entsprach den Pauschalen für 80.681 zusätzliche Studienanfängerinnen und Studienanfänger“, so die Rechnungsprüfer. Hessen liegt nach dem Bericht, der dieser Redaktion vorliegt, mit 447,5 Millionen Euro nicht ausgegebener Gelder auf Platz zwei der Länderliste.

Prüfer: Verstoß gegen die Ziele des Programms

„Der Bundesrechnungshof sieht die über Jahre gebildeten Ausgabenreste als einen nicht hinnehmbaren Verstoß gegen die Ziele des Programms“, heißt es in dem Bericht. „Ganze Jahrgänge von Studierenden konnten von den zusätzlichen Mitteln nicht profitieren“, so die Prüfer. Der Rechnungshof fordert die Bundesregierung auf, das Geld von den Hochschulen zurückzufordern.

Mit dem Programm ist der „Hochschulpakt“ (HSP) gemeint. In diesen Pakt zahlen Bund und Länder seit 13 Jahren Mittel für den Aufbau zusätzlicher Studienplätze und entsprechendes Personal ein. Von 2007 bis 2023 werden über 20 Milliarden Euro vom Bund und gut 18 Milliarden von den Ländern zusammengekommen sein.

Wohin die Gelder fließen, sei kaum noch zu überblicken

Eine Universität im Ruhrgebiet – der Name wird nicht genannt – habe 161 Millionen Euro allein aus HSP-Mitteln angehäuft. „Die Bilanzen einiger Hochschulen zeigten einen nie dagewesenen Bestand an liquiden Mitteln, der aus dem HSP entstand“, heißt es in dem Bericht.

Die Prüfer kritisieren zudem fehlende Transparenz bei der Verwendung der Gelder. „Die Mittelströme im HSP haben eine Intransparenz erreicht, die auch die Länder kaum noch überblicken“, so die Prüfer. Sie halten es für unwahrscheinlich, dass die Hochschulen die Gelder bis zum Ende des Paktes 2023 vollständig und sinngemäß ausgeben können und befürchten, dass die Mittel zweckentfremdet verwendet werden.

Bericht nennt Beispiele für Zweckentfremdung der Mittel

Für die Zweckentfremdung listet der Bericht auch Beispiele aus NRW auf. Demnach wurden Gelder für die Geschäftsführung eines „Collegium Musicum“ ausgegeben, für die Restaurierung eines Konzertflügels und Musikergagen, für die Finanzierung einer Tribüne im Studierendentheater sowie für Neubaumaßnahmen wie Büro- und Seminargebäude und ein Parkhaus.

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Das NRW-Wissenschaftsministerium hatte die Hochschulen um eine tabellarische Übersicht ihrer Ausgabenplanung im Rahmen des HSP gebeten. Die Angaben beschränkten sich laut Bundesrechnungshof auf stichwortartige Ausführungen wie „Neubaumaßnahmen von 25 Mio Euro“; „Bau eines Universitätssportzentrums“, „Ladestationen für E-Fahrzeuge“ oder „Einrichtung von Räumen der Stille“. Eine NRW-Hochschule bot dem Ministerium demnach sogar an, 11 Millionen Euro zurückzuzahlen.

Schlechteste Betreuungsrelation in NRW

Die Hochschullehrer sind auf dem Baum. „Der Bedarf an mehr Dozentinnen und Dozenten ist vorhanden, wird aber nicht gedeckt. Dass die Länder und Hochschulen dringend benötigte Mittel zur Verbesserung der Studienbedingungen bunkern, ist daher schlichtweg inakzeptabel“, sagt Prof. Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbands in Bonn.

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Vor allem mit Blick auf die Betreuungsrelation von Studierenden pro Professor sei diese Praxis empörend. Im Bundesdurchschnitt betrage die Quote 65 zu 1, in NRW muss ein Professor sogar im Schnitt 90 Studierende betreuen. Ohne mehr Personal könnten die Studienbedingungen nicht verbessert werden, so Kempen. Umso unverständlicher sei es, dass Hochschulpaktmittel für fragwürdige Projekte wie Parkhäuser oder E-Ladestationen eingeplant würden.

Rückendeckung vom NRW-Ministerium

Das NRW-Wissenschaftsministerium sieht hingegen offenbar keinen Anlass zur Beunruhigung. „Rücklagen können grundsätzlich ein sinnvolles Planungsinstrument selbstständig wirtschaftender Hochschulen darstellen“, teilt das Ministerium auf Nachfrage mit. Wie die Hochschulen die Hochschulpaktmittel einsetzen, könnten diese eigenständig entscheiden.

Dem Ministerium seien keine Fälle bekannt, in denen Mittel nicht zweckgemäß verausgabt wurden. Die „zweckentsprechende Verwendung der Ausgabenreste“ könne aufgrund der Planungen der Hochschulen bis 2023 sichergestellt werden.

Rektoren verteidigen die Rücklagen

Prof. Lambert Koch, Rektor der Uni Wuppertal und Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz.
Prof. Lambert Koch, Rektor der Uni Wuppertal und Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz. © Uni

Die Hochschul-Leitungen können sich bestätigt fühlen. Die Rektoren verstehen nicht, warum sie für ihre „vorausschauende Finanzplanung“ nun an den Pranger gestellt werden. „Dass uns der Rechnungshof nun unsere vorsichtige Wirtschaftsführung vorhält, ist schon interessant“, sagt Prof. Lambert Koch, Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz NRW, dieser Redaktion.

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Vielmehr habe fehlende Planungssicherheit zu dem monierten Aufbau von Restmitteln geführt, denn der Hochschulpakt war zeitlich befristet. Die Hochschulen benötigten zwar händeringend Personal für zusätzliche Studierende, „erhielten aber keine langfristige Mittelaufstockung, sondern immer nur Programm-Mittel mit kurzfristigem Ablaufdatum“, erklärt Koch. „Wie also sollte das übereingehen, dauerhafte Zahlungsverpflichtungen einzugehen und nicht zu wissen, ob man dafür künftig noch Geld bekommen würde?“

Sechs Milliarden wurden investiert

Während der vergangenen 13 Jahren sei die Zahl der Studierenden bundesweit um eine Million gewachsen, die Grundfinanzierung der Hochschulen sei in diesem Zeitraum jedoch nur minimal erhöht worden, rechnet Lambert Koch vor. „Insofern waren die sechs Milliarden Euro aus dem Hochschulpakt, die allein in Nordrhein-Westfalen bis heute für die zusätzlichen Studierenden investiert wurden, bitter nötig.“ Der größte Anteil der Mittel sei in den Aufbau von Personal geflossen.

Mit dem Nachfolgepakt des HSP, dem „Zukunftsvertrag Studium und Lehre“ (ZSL), sei nun eine langjährige Forderung der Rektoren erfüllt worden, die zusätzlichen Mittel unbefristet fließen zu lassen. „Entsprechend werden die Risikorücklagen nun schnell abschmelzen“, meint Koch.

Mit dem „Zukunftsvertrag“ wird NRW den Hochschulen ab 2021 zusätzlich 300 Millionen Euro pro Jahr für mehr Lehrpersonal und Mitarbeiter überweisen. Doch die Prüfer sind skeptisch: „Die Fortführung von alten Verteilmustern, die im HSP zu hohen Ausgaberesten führten, sieht der Bundesrechnungshof kritisch.“

>>>> Kritik: Es fehlt Kontrolle

Die Opposition im Bundestag kritisiert Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) für fehlende Kontrollen der Mittel. „Die Länder nutzen die Trägheit des Bundesbildungsministeriums ungeniert aus“, sagte Ekin Deligöz (Grüne), Mitglied des Haushaltsausschusses des Bundestags, wo der Bericht des Bundesrechnungshofes demnächst auf den Tisch kommt. „Der Bericht ist eine erneute Schlappe für Frau Karliczek“, sagte Deligöz dieser Redaktion.

Bettina Stark-Watzinger, Parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion: „Die Mittel aus dem Hochschulpakt sollen für Studium und Lehrer verausgabt werden und nicht auf dem Sparkonto der Hochschulen landen“, sagte sie dieser Redaktion. „Wenn jedoch Konzertflügel restauriert werden, sich gleichzeitig aber die Betreuungsschlüssel in der Lehre nicht wesentlich verbessern, dann läuft hier etwas falsch.“