Düsseldorf. Die Schulleitungsvereinigung hat einen Brandbrief an Ministerpräsident Laschet (CDU) geschickt. Sie macht der Schulministerin schwere Vorwürfe.

In einem wohl beispiellosen Brandbrief an Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) rechnet die Schulleitungsvereinigung NRW (SLV) mit dem Corona-Krisenmanagement der NRW-Schulministerin ab.

Der Verband, der nach eigener Darstellung Schulleiter aller Schulformen vertritt, erhebt im Kern zwei große Vorwürfe. Erstens: Die Schulen seien weder personell noch vom Zustand der Schulgebäude her in der Lage, die Vorgaben der Regierung zum Infektionsschutz zu erfüllen. Und zweitens: Die oberste Schulbehörde, also das Ministerium, entledige sich der eigenen Verantwortung und gebe die gesamte Verantwortung an Gesundheitsämter, Schulträger und Schulleiter weiter.

Andere Direktorenvereinigungen distanzieren sich von dem Brief

Drei andere Schulleiter-Verbände in NRW, darunter die Rheinische Direktorenvereinigung, haben offenbar ein Problem mit der Fundamentalkritik der SLV. In einer ersten Reaktion sagte Martin Sina von der Rheinischen Direktorenvereinigung, er teile die Kritik „weder in Sache noch Form“.

Die SLV schreibt, dass die Vorgaben der Landesregierung zur Bewältigung der Coronakrise an Schulen „aufgrund der örtlichen Gegebenheiten und der schulischen Rahmenbedingungen kaum erfüllbar“ seien. Hier geht es um regelmäßiges Lüften der Klassen und anderer Räume, um geforderte Abstände zwischen Menschen und die Vorgabe, möglichst in „festen Lerngruppen“ zu unterrichten. Dies alles funktioniere praktisch nicht, bemängelt SLV-Chef Harald Willert in dem Brief an Laschet.

Lange Mängelliste

Kein gutes Haar lässt Willert auch an der Vorgabe, dass die Schüler-Leistungen beim Lernen auf Distanz – also beim Unterricht mit elektronischen Medien im Fall eines Coronaausbruchs – künftig wie der Präsenzunterricht benotet werden soll. „Völlig unreflektiert“ sei dies. Von Schulen werde eine „Leistungsbeurteilung im luftleeren Raum ohne Vorgaben, ohne Standards gefordert“

In die lange Liste der Mängel schreibt die SLV auch diese Punkte: Viel zu spät habe das Land ein 75 Millionen Euro schweres Ferienprogramm aufgelegt. Es gebe zu wenig Personal in den Schulen, nicht nur Lehrpersonal, sondern auch Hausmeister und Reinigungskräfte.

Schulministerium wehrt sich gegen die Vorwürfe

Der Verband wertet das Vorgehen des Ministerium als „Feldversuch“ mit dem Ziel, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Das Ministerium von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) komme ihrer Verantwortung für Vorsorge und Gesundheitsschutz in den Schulen nicht nach.

Das NRW-Schulministerium wehrte sich gegen die Vorwürfe. Schul-Staatssekretär Mathias Richter sagte auf Nachfrage dieser Redaktion: „Die vorliegenden Zahlen zeigen, dass der Beginn des Schuljahres funktioniert hat. Wenn über 99 Prozent aller Schülerinnen und Schüler im Präsenzunterricht unterrichtet werden können, dann war die Entscheidung für einen angepassten Schulbetrieb in Corona Zeiten genau die Richtige.“

„Lehrer-, Schüler- und Elternverbände fortlaufend informiert“

Schulministerin Yvonne Gebauer habe Anfang 3. August das Gesamtkonzept für den Start in einen angepassten Schulbetrieb in Corona-Zeiten vorgestellt. Dieses Konzept sei im Austausch mit allen am Schulleben Beteiligten in den Sommerferien sorgfältig vorbereitet. „Die Lehrer-, Schüler- und Elternverbände wurden in mehreren Gesprächen – sowohl im Ministerium für Schule und Bildung als auch in Form von Videokonferenzen – fortlaufend in den letzten Monaten über das Vorgehen informiert und in Entscheidungen eingebunden“, so Richter.

Ziel sei in allen 16 Bundesländern, dass im Schuljahr 2020/2021 der Schul- und Unterrichtsbetrieb wieder möglichst vollständig im Präsenzunterricht stattfinde. Gleichzeitig seien umfangreiche Vorkehrungen getroffen worden für den Fall, dass im Umfeld von Schulen eine Corona-Infektion auftaucht. Neben einem genauen Ablaufplan seien auch umfassende Vorkehrungen für das Lernen auf Distanz getroffen worden, auch zum Thema Leistungsbewertung.

Außerdem, so Richter, habe die Landesregierung mit 350 Millionen Euro für das Lehren und Lernen mit digitalen Medien die „größte Ausstattungsoffensive für die Schulen, die es je in NRW gab, aufgelegt“. Als erstes Bundesland statte NRW alle Lehrer mit digitalen dienstlichen Endgeräten aus, ebenso wie bedürftige Schüler.

Gymnasial- und Gesamtschulrektoren gehen auf Distanz zu ihren Kollegen

Andere Direktorenverbände distanzierten sich ausdrücklich von dem SLV-Brandbrief. Mario Vallana (Schulleitungsvereinigung Gesamtschulen), Rüdiger Käuser (Westfälisch-Lippische Direktorenvereinigung der Gymnasien) und Martin Sina (Rheinische Direktorenvereinigung der Gymnasien) schickte am Dienstag ihrerseits einen „offenen Brief“ an Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Darin beschweren sie sich über die „Pauschalkritik“ der Schulleitungsvereinigung.

Zur Maskenpflicht im Unterricht habe es zum Beispiel „keine Alternative“ gegeben. Die zum Teil miserable digitale Ausstattung der Schulen könne man nicht dieser Regierung anlasten. NRW habe ein sogar „beispielloses“ Digitalisierungs-Paket für Lehrer und Schüler verabschiedet sowie ein landesweites digitales Schulportal und eine Lernmanagementplattform angeboten. Wiederholt habe das Ministerium das Gespräch mit allen relevanten Verbänden gesucht. Der Beginn des Schuljahres habe „erstaunlich gut“ funktioniert.

Gewerkschaften mahnen zur Zusammenarbeit

Und was sagen Lehrergewerkschaften? „Frust und Verzweiflung“ erkennt Maike Finnern, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in dem Brandbrief der SLV. Die Mängelliste sei in der Tat groß. Stefan Behlau, NRW-Chef des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), sagte: „Es ist wichtig, dass nun alle gemeinsam an einem Strang ziehen, um Schule und Bildung unter diesen außergewöhnlichen Bedingungen überhaupt zu ermöglichen.“