Essen. In geringer Beteiligung bei den Kommunalwahlen zeigt sich auch Frust und Gleichgültigkeit. Die Coronapandemie überdeckte wichtige Politikthemen.
Obwohl die Bürger bei Kommunalwahlen so viel Einfluss auf die Politik vor Ort haben wie bei keinem anderen Urnengang, liegt die Wahlbeteiligung meist deutlich unter der von Landtags- oder Bundestagswahlen. In den letzten Jahren sank sie sogar noch: Lag die Beteiligung bei den Kommunalwahlen 2009 in NRW bei 52,4 Prozent, gaben 2014 nur glatt 50 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Über die Gründe für das schwindende Interesse sowie mögliche Auswirkungen des Wahlausgangs auf die Landespolitik sprach die Redaktion mit Martin Florack, Politikwissenschaftler und Wahlforscher an der Uni Duisburg-Essen.
Erwarten Sie, dass sich bei der kommenden Kommunalwahl der Trend bei der Wahlbeteiligung umkehrt?
Martin Florack: Das ist schwer zu sagen, zuletzt hat die politische Mobilisierung eher zugekommen. Ob das bei der Kommunalwahl durchschlägt, ist offen. Sicher spielt auch die Coronapandemie und die Angst vor Infektionen eine Rolle. Grundsätzlich spricht die Politikwissenschaft bei Kommunalwahlen von Nebenwahlen. Das gilt auch für die Europawahl. Beide streiten sich stets um den letzten Platz bei der Wahlbeteiligung.
Fehlt das Interesse für kommunale Themen und Politiker?
Die geringe Wahlbeteiligung verstellt den Blick dafür, dass es lokal extreme Streuungen gibt. So gehen in einigen Bezirken einer Stadt 80 Prozent zur Wahl, in anderen nur 20.
Woran liegt das?
Die Quote der Nichtwähler korrespondiert mit dem Bildungsniveau und dem Einkommen. Ich kann in etwa an der Wahlbeteiligung die sozio-ökonomische Zusammensetzung eines Viertels ablesen, etwa anhand der Zahl der Hartz-IV-Bezieher. Das lässt sich bis auf die Ebene einzelner Straßenzüge nachweisen.
Liegt das an Gleichgültigkeit oder Unkenntnis?
Das ist schwer zu sagen. Es gibt ja kein Naturgesetz, wonach niedrige Bildung oder geringes Einkommen zu Wahlenthaltung führt. Die Einstellung: „Um mich kümmert sich die Politik ohnehin nicht, also gehe ich auch nicht wählen“ kann eine Ursache sein. Aber ebenso, dass grundsätzlich das Interesse für Politik gering ist. Es gibt Jugendliche, die wachsen damit auf, dass Politik keine Rolle spielt in ihrem Leben. Und wer sich in jungen Jahren nicht interessiert, ist auch später schwer zu motivieren, wählen zu gehen. Manche Lokalpolitiker bemühen sich sicherlich auch eher um Bezirke, wo sie Stimmen holen können und engagieren sich in anderen Stadtvierteln weniger.
Ist das eine Gefahr für die kommunale Politik?
Absolut. Daran wird die Spaltung der Stadtgesellschaft deutlich. Zudem wird der Gleichheitsgrundsatz demokratischer Wahlen aufgeweicht. Das Prinzip, dass jede Stimme gleich viel Gewicht hat, gerät unter Druck.
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Aber bei keiner anderen Wahl haben die Bürger mehr Einfluss...
Klar, auf der einen Seite ist die Kommunalpolitik eine Art Basiscamp der Politik. Auf der anderen Seite kann die Kommunalpolitik aber wenig gestalten, da vielfach die Kassen leer sind. Zudem sind die Kommunen zum Teil riesig. Da wählen die Menschen wie bei der Landtagswahl eher Parteien und nicht Personen.
Hat die Coronapandemie einen Einfluss auf die Wahlen?
Das ist schwer zu kalkulieren. Unter normalen Umständen wären Themen wie Mobilität, Verkehr, Klima oder Wohnen sicher wichtig. Das ist aber unter die Räder gekommen. Einen Aufbruch in den klassischen Themengebieten zu formulieren steht derzeit immer unter dem Vorbehalt, was man in der Pandemie überhaupt realisieren kann. Da fällt es schwer, Wahlkampf zu machen.
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Wie groß ist das Interesse an der Wahl zum Ruhrparlament?
Gleich null. Viele Bürger wissen nicht, was das ist und was das soll. Das Ausmaß der Unwissenheit über diese neue Wahl ist aus meiner Sicht riesig. Solange niemand ernsthaft davon überzeugt ist, dass das Ruhrgebiet eine große Stadt ist, stellt sich die Frage, mit welcher Berechtigung ein Ruhrparlament die Region vertreten will.
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Wird das Wahlergebnis Einfluss haben auf die Ambitionen von Ministerpräsident Armin Laschet, CDU-Vorsitzender und Kanzlerkandidat zu werden?
Nein, das glaube ich nicht. Dafür taugt eine Kommunalwahl nicht. Sicherlich wird die CDU etwas finden, was sie als Erfolg verkaufen kann, aber unter dem Strich ist das für die Berliner Frage nicht entscheidend. Von dem Ergebnis der Kommunalwahlen in NRW wird keinerlei Signalwirkung für Land oder Bund ausgehen.
Wagen Sie eine Wahlprognose?
Das ist schwer. Aber ich denke, dass die Wiederwahlwahrscheinlichkeit der Oberbürgermeister bei 90 Prozent liegen wird. Wegen der Direktwahl haben viele Parteien einen OB-Kandidaten aufgestellt. Dadurch verteilen sich die Stimmen, was die Chancen der Amtsinhaber erhöht. Nur wo das Rennen offen ist wie etwa in Dortmund, könnte es vielleicht einen Wechsel geben. Die guten Zahlen der Grünen werden sich bei der Kommunalwahl sicher eintrüben. Sie werden vor allem in den Uni-Städten gut abschneiden. Aber landesweit gibt es riesige Unterschiede.
>>>> Zur Person:
Der gebürtige Aachener Martin Florack (43) studierte Politikwissenschaft und Neuere Geschichte in München. Seit 2003 lehrt und forscht er an der Uni Duisburg-Essen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten an der NRW School of Governance gehört Regierungsforschung, die NRW-Landespolitik, Koalitions-Management und Wahlforschung.
Florack verlässt in diesem Herbst die Uni Duisburg-Essen, um im Auftrag der Landesregierung von Rheinland-Pfalz in Mainz an Projekten der politischen Partizipation zu arbeiten. Seiner Wahlheimat Oberhausen will er aber treu bleiben.