Essen. Der Bochumer Politologe Jörg Bogumil warnt, die aktuellen Umfragen überzubewerten. Dennoch sei das Vertrauen der Bürger in die Politik groß.
Traumwerte für Regierende, breite Akzeptanz für staatliche Bevormundung nie gekannten Ausmaßes und eine kaum mehr wahrgenommene Opposition – die Coronakrise wirbelt das Verhältnis von Bürger, Staat und Politik durcheinander. Was das von zu halten ist, darüber sprach WAZ-Redakteur Michael Kohlstadt mit dem Bochumer Politikforscher Jörg Bogumil.
In der Corona-Krise schießen die Umfragewerte für Merkel, Söder und Co durch die Decke. Was ist vom derzeitigen politischen Stimmungsbild zu halten?
Jörg Bogumil: Ich warne davor, die aktuellen Umfragen überzubewerten. Das kann alles in drei Monaten wieder vorbei seien. Schon in anderen Situationen haben wir erlebt, wie schnell Umfragewerte hoch und auch wieder herunter gehen können, denken Sie an die Tschernobyl-Katastrophe, die den Grünen einen Schub gab, oder an den kurzzeitigen Höhenflug der SPD unter Vorsitz von Martin Schulz.
Dennoch: Die Werte vor allem für Unionspolitiker sind so gut wie lange nicht. Woran liegt das?
Derzeit zeigt sich, dass einige Politiker an Beliebtheit gewinnen, wenn sie Krisenfähigkeit unter Beweis stellen. Viele Bürger sind geradezu überrascht, wie gut es etwa CDU-Politiker machen nach all dem Hin und Her um den Parteivorsitz in den Monaten vor der Krise. Das wird dann in der Bevölkerung honoriert. Die Frage ist, wie lange solch ein Effekt tatsächlich anhält.
Beendet Corona den Höhenflug der Grünen?
Es ist jetzt nicht die Stunde der Opposition. Der sonst übliche Wettbewerb unter den Parteien ist in der Krise praktisch ausgesetzt. Die Grünen können sich derzeit fast gar nicht profilieren und verlieren Prozentpunkte an die Union. Aber sich im Moment auf dem politischen Parkett mit Kritik zurückzuhalten, ist auch nicht die schlechteste Entscheidung, denn es gibt im Großen und Ganzen nicht so viel zu meckern. Das kann sich aber alles schnell wieder ändern.
Die Politik verlangt den Bürgern einiges ab. Sind Sie überrascht, wie sehr die Alltagsbeschränkungen akzeptiert werden?
Die hohe Akzeptanz einer überwältigenden Mehrheit der Bürger für die teils ja durchaus drastischen Maßnahmen und Einschränkungen auch im persönlichen Leben zeigt, dass das Vertrauen in unser politisches System grundsätzlich groß ist. Anders ausgedrückt: Gäbe es nicht so ein hohes Grundvertrauen in den Staat, würden sich nicht derart viele Menschen an die weitreichenden Kontaktsperren halten. Ein Strafkatalog allein würde das nicht bewirken. Das alles ist ein gutes Zeichen für unsere Demokratie.
Ist das ein neuer Trend?
Eine ähnliche Entwicklung war schon während der Finanzkrise 2009 zu beobachten. Schon damals haben viele erkannt, wie wichtig der vormals oft als überflüssig oder einengend geschmähte Staat ist. Die Erkenntnis reifte: Man braucht staatliches Handeln und unterstützt es, wenn es gut vermittelt wird.
Und das wird akzeptiert – auf allen Ebenen?
Ja. Das gilt ausdrücklich nicht nur für die große Politik in Bund und Ländern. Die Bürger unterscheiden ohnehin kaum zwischen den unterschiedlichen staatlichen Ebenen. Gerade die Kommunen haben gezeigt, wie leistungsfähig sie angesichts der Krise sind. Und selbst die viel gescholtenen Bezirksregierungen in NRW haben gezeigt, dass sie in der Lage sind, an einem einzigen Wochenende 150.000 Anträge auf Soforthilfen abzuarbeiten. Und dass Betroffene nicht an ihr Geld kommen, liegt diesmal nicht an schwerfälligen Behörden. Als unflexibel erwiesen sich die Banken, nicht der Staat.
Wie bewerten Sie die Eingriffe in unsere Grundrechte?
Die Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte sind kein Problem für unsere Demokratie, so lange solche Maßnahmen sehr gut begründet und befristet sind. Und das sind sie ja. Vorübergehende Restriktionen müssen rückholbar sein durch die Parlamente. Die demokratischen Mechanismen funktioniert: Die von der NRW-Landesregierung zunächst geplanten Notstandsgesetze, die weiter gingen als in Bayern, waren überzogen und haben zu scharfen Protesten der Opposition und anderer gesellschaftlicher Gruppen geführt. Doch das hat gewirkt.
>>>>>>Info:
Jörg Bogumil ist Professor für öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik an der Ruhruniversität Bochum. Der 60-Jährige gehört zur Gründergeneration der Grünen in Bochum und wurde zeitweise als möglicher OB-Kandidat seiner Partei für die Kommunalwahl 2020 gehandelt. Bogumil sagte aber ab.
Das ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung – jetzt gratis und unverbindlich testlesen. Hier geht’s zum Angebot: GENAU MEIN SONNTAG