Essen/Düsseldorf. Volle Betreuungszeit trotz steigender Corona-Zahlen: NRW startet den Kita-Regelbetrieb. Nicht ohne Sorgen freilich.
Seit Montag können Familien in NRW wieder für ihre Kinder die volle Betreuungszeit in Kitas und in der Kindertagespflege nutzen. Mit der Wiedereröffnung der Kitas waren Anfang Juni zunächst die vertraglich vereinbarten Zeiten um zehn Wochenstunden reduziert worden. „Ich freue mich, dass wir gemeinsam mit Trägern und Kommunen vereinbart haben, heute wieder in den Regelbetrieb zu starten“, sagte NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) dieser Redaktion.
Situation bleibt schwierig
Es handele sich allerdings um einen Regelbetrieb in der Pandemie, die Situation bleibe schwierig. Es müsse damit gerechnet werden, „dass aufgrund einzelner Infektionsfälle Kita-Gruppen oder gegebenenfalls auch eine ganze Kita für eine gewisse Zeit schließen muss“, sagte Stamp. Jeder Schritt zur Öffnung sei eine Abwägung zwischen Sicherheit und frühkindlicher Bildung für die Jüngsten.
Strengsten Hygienemaßnahmen
Der Kita-Regelbetrieb soll „unter strengsten Hygienemaßnahmen“ aufgenommen werden. Dazu gehören Händehygiene, regelmäßiges Lüften und die Reinigung von Räumen. Kita-Beschäftigte bekommen bis zu den Herbstferien die Möglichkeit, sich regelmäßig auf das Virus testen zu lassen.
GEW für späteren Start
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Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sagte am Montag, sie hätte sich einen späteren Start in den Regelbetrieb gewünscht. „Ende August wäre ein besserer Termin gewesen. Die Infektionszahlen steigen wieder durch Reiserückkehrer. Die Zeit hätten wir in den Kitas gut brauchen können“, sagte GEW-Landesvorsitzende Maike Finnern. Laut der Gewerkschaft hätten viele Erzieherinnen und Erzieher Probleme gehabt, sich testen zu lassen. Das Angebot habe zumindest in der ersten Woche nicht gut genug funktioniert. Das Konzept sieht vor, dass Mindestabstände zwischen Erwachsenen eingehalten werden sollten. Wenn das nicht möglich ist, ist das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für Erwachsene, also Kita-Personal, Eltern und Besucher, Pflicht.
„Kranke Kinder gehören nicht in die Kita.“
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Laut einer Empfehlung der Landesregierung sollten Kinder mit Erkältungssymptomen, zum Beispiel Schnupfen, zunächst einen Tag lang nicht in die Kita geschickt werden. Dagegen protestieren zahlreiche Eltern, die diese Empfehlung für überzogen halten. GEW-Vorsitzende Finnern stellte aber klar: „Kranke Kinder gehören nicht in die Kita.“
Der familienpolitische Sprecher der SPD im Landtag, Dennis Maelzer, sprach anlässlich des Kita-Vollstarts von einen „coronapolitischen Blindflug“ der Landesregierung. Familienminister Stamp verteidigte seien Kurs. „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Kindertagesbetreuung wieder vollumfänglich anbieten müssen, um allen Kindern Bildungschancen zu ermöglichen.“
Individuelle Konzepte der Kitas vor Ort
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Viele Einrichtungen und Kitaträger sind angesichts wieder steigender Infektionszahlen jedoch behutsam bei den Lockerungen und zurückhaltend mit gruppenübergreifenden Angeboten. „Wir werden jetzt von Woche zu Woche denken und dann immer neu überlegen, was wir lockern und was wir beibehalten“, sagte eine Kitaleiterin in Wattenscheid. Die Stadt Dortmund setzt auf individuelle Konzepte der Kitas vor Ort, in denen etwa Abhol- und Bringsituationen sowie die Wegeführung in der Einrichtung festgelegt sind. Sollte es einen Corona-Verdachtsfall geben, werde sofort das Gesundheitsamt eingeschaltet, teilte die Stadt auf Anfrage mit. Bei einem akuten Verdacht könne es zudem nötig werden, Eltern umgehend zu informieren, weil die Kita sofort geschlossen werden müsse. Grundsätzlich entscheide das Gesundheitsamt für jeden Infektionsfall individuell über die notwendigen Maßnahmen.
„Irritierende“ Ratschläge vom Essener Gesundheitsamt
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Doch gerade in diesem Punkt herrscht unter Eltern weiter Verunsicherung. So berichtet ein Vater aus Essen, der namentlich nicht genannt werden will, angesichts einer Corona-Infektion einer Erzieherin in der Kita seines Sohnes von „irritierenden Ratschlägen“ des Essener Gesundheitsamtes. Das Amt habe Eltern „offensiv und aggressiv“ davon abgeraten, freiwillige Tests für die Kinder ohne Symptome durchzuführen und geraten, ältere Geschwisterkinder auch während der Quarantäne-Zeit der asymptomatischen und nicht getesteten Kitakinder weiterhin in die Schule oder den Kindergarten zu schicken. „Das Gesundheitsamt Essen hat mir sogar empfohlen, der Schule gar nichts von dem Quarantäne-Fall zu erzählen“, empört sch der Vater im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Stadt Mülheim hingegen verbiete Eltern mit einem Kind in Covid-19-Quarantäne ausdrücklich, Geschwisterkinder während der Quarantänezeit in Kitas oder Grundschulen zu schicken.
Mehr als die Hälfte der Kinder nutzte 2019 das volle Betreuungsangebot
Dass viele Kinder üblicherweise einen Großteil des Tages in der Kita sind, zeigt ein Blick in eine aktuelle Statistik des Landesamtes IT.NRW für 2019: Mehr als die Hälfte der Kinder gingen im vergangenen Jahr länger als 35 Stunden wöchentlich in eine Kita oder einen Kindergarten, teilte die Behörde am Montag mit. Bei Kindern im Alter von drei bis unter sechs Jahren waren es 51,3 Prozent, bei den jüngeren Kindern waren es 54,3 Prozent. Über 94 Prozent der insgesamt rund 450.000 Kinder im Kindergartenalter (drei bis unter sechs Jahren) besuchten 2019 eine Kindertageseinrichtungen mit einer vertraglich vereinbarten wöchentlich Betreuungszeit von mehr als 25 Stunden. Bei den rund 98.000 Kindern unter drei Jahren waren es knapp 91 Prozent.