Düsseldorf. Kontrollbesuche in Firmen wurden seit dem Jahr 2002 praktisch halbiert. Im Schnitt liegen mehr als 25 Jahre zwischen zwei Kontrollen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnt vor einem dramatischen Rückgang der Arbeitsschutz-Kontrollen in NRW: Zwischen 2002 und 2018 habe sich die Zahl der jährlichen Betriebsbesichtigungen durch den Arbeitsschutz von rund 63.000 auf etwa 31.700 praktisch halbiert. Die Zahlen stammen von Bundesarbeitsministerium. Aktuellere Daten liegen nicht vor.
„Nordrhein-Westfalen hat keine wirksame Gewerbeaufsicht. Die Coronakrise legt diesen Missstand, der lange bekannt ist, nun in aller Heftigkeit offen“, sagte die DGB-Landesvorsitzende Anja Weber dieser Redaktion.
2007 kam der Knick
Der Arbeitsschutz habe sich bis heute nicht von der Auflösung des Landesamtes für Arbeitsschutz erholt. Die frühere Landesregierung unter Jürgen Rüttgers (CDU) hatte 2007 die damalige Arbeitsschutzverwaltung aufgelöst und in die Bezirksregierungen integriert.
Das Risiko für Unternehmen, von Arbeitsschützern überprüft zu werden, ist offenbar gering. Laut DGB vergehen zwischen zwei Kontrollen im Durchschnitt 25,5 Jahre.
Mahnendes Beispiel Tönnies
Gerade jetzt in der Pandemiezeit wären intensive Kontrollen wichtig, so die Gewerkschafter. Um Mitarbeiter vor einer Corona-Infektion zu schützen, müssten Mindestabstände eingehalten werden, Waschgelegenheiten und gegebenenfalls auch Schutzkleidung vorhanden sein. Leider würden die Bestimmungen nicht immer eingehalten, wie die jüngsten Ereignisse im Fleischunternehmen von Clemens Tönnies zeigten.
NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) spricht von einem „bundesweiten Problem“, für dessen Lösung er sich seit Amtsantritt stark mache.
„Der Arbeitsschutz ist heute anders zu bewerten als noch vor zehn Jahren. Er hat auch neue Aufgaben bekommen, wenn ich zum Beispiel an den Strahlenschutz denke. Wir brauchen einen starken Arbeitsschutz. Das zeigen auch die aktuellen Ereignisse rund um die Schlachtindustrie noch einmal deutlich", sagte Laumann dieser Redaktion.
Das bedeute, dass der Arbeitsschutz auch personell besser aufgestellt werden müsse. "Darum hat mein Ministerium bereits 2018 veranlasst, dass 50 zusätzliche Nachwuchskräfte eingestellt wurden. Für dieses Jahr sind noch einmal 50 zusätzliche Einstellungen eingeplant", so Laumann Darüber hinaus hätten sich Bund und Länder im Grundsatz bereits über einen Ausbau des Arbeitsschutzes verständigt. Damit werde der Bund auch höhere Anforderungen an Bundesländer stellen, die NRW umsetzen werde.
Fleischindustrie ist jetzt unter Beobachtung
Im Herbst 2019 hatten Arbeitsschützer 30 große Fleischindustrie-Unternehmen in NRW überprüft und in 26 Schlachtbetrieben zum Teil dramatische Mängel festgestellt. Tausende Fälle von Arbeitszeitverstößen wurden erfasst, zum Teil mussten Werkvertragsarbeiter zwölf oder sogar 16 Stunden am Stück arbeiten. Trotz dieser erschreckenden Erkenntnisse kam es ein halbes Jahr später im Unternehmen Tönnies in Rheda-Wiedenbrück zu einem großen Coronaausbruch, der einen engen Bezug zu fehlendem Arbeitsschutz gehabt haben soll.
Eigentlich müssten große Schlachthöfe „ständig den Arbeitsschutz in der Bude haben“, sagte NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann vor wenigen Tagen. Denn bis ein Prüfer, der unangemeldet Einlass begehrt, in den Betriebsteilen ankommt, die er sehen möchte, vergehe wegen diverser Sicherheitsauflagen oft eine Stunde oder mehr. Viel Zeit, um mögliche Mängel zu kaschieren, so Laumann. Die Arbeits- und Landwirtschaftsminister aus NRW und Niedersachsen wollen die Branche gemeinsam zu einem „Systemwechsel“ zwingen.
"Modernisierung" bedeutete weniger Kontrollen
Der Arbeitsschutz ist also in dieser Krisenzeit in aller Munde, tatsächlich aber steht es denkbar schlecht um ihn, findet der DGB in NRW. Im Jahr 2007 wurden die staatlichen Ämter für Arbeitsschutz in die fünf Bezirksregierungen integriert. Deklariert wurde und wird dieser Schritt noch heute als „Verwaltungsmodernisierung“. Aber mit der Zahl der Kontrollen ging es seitdem bergab. Auf einen Arbeitsschützer kommen in NRW im Schnitt rund 27.000 Beschäftigte. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO empfiehlt ein Verhältnis von 1:10.000.
DGB-Landesvorsitzende Anja Weber bezeichnet die Eingliederung des Arbeitsschutzes in die Bezirksregierungen als „großen Fehler“. Diese Verwaltungen hätten immer auch die Unternehmen als Steuerzahler im Blick. Das Wohl der Beschäftigten dürfe aber nicht durch gute Verbindungen zu lokalen Behörden – Weber nennt hier die Firma Tönnies als Beispiel – hintenangestellt werden.
Mehr Aufgaben, schlechtere Ausstattung
„Die Aufgaben des Arbeitsschutzes sind komplexer geworden und haben sich ausgeweitet. Aber weder die technische noch die technische noch die personelle Ausstattung hat damit Schritt gehalten“, warnt die DGB-Landesvorsitzende.