Düsseldorf. Die Zahl der politisch motivierten Straftaten in NRW ist rückläufig. Dennoch sieht Innenminister Reul neue verfassungsfeindliche Gefahren.
Der Landestrend bei den politisch motivierten Straftaten wirke „auf den ersten Blick vielleicht erfreulich“, bremste NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Dienstag bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts. Mit 6032 Delikten registrierte NRW 2019 den niedrigsten Stand seit fünf Jahren und hob sich positiv von der bundesweiten Entwicklung ab.
Doch die zunehmende Vernetzung von Staatsfeinden in Internet-Foren und das Ausfransen des rechtsextremistischen Milieus in die Mitte der Gesellschaft machten den Behörden zu schaffen, gab Reul zu verstehen.
Die Gefahren für die Demokratie in NRW im Einzelnen:
1. Verschwörungstheoretiker: Dahinter verbergen sich Wutbürger, die dem Staat grundsätzlich misstrauen, sowie harte Rechtsextremisten. „Wir sehen die Gefahr, dass sich das sehr stark vermischt“, sagte Verfassungsschutz-Chef Burkhard Freier. Das Gewaltpotenzial kruder Einzelgänger lässt sich dabei schwer abschätzen. Der Attentäter von Halle behauptete auch, ihm sei das Recht auf Fortpflanzung durch den Feminismus genommen worden. Der Mörder von Hanau glaubt, als Kind einen Chip eingepflanzt bekommen zu haben. In NRW gibt es 4075 registrierte Rechtsextremisten und 3200 „Reichsbürger“, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen. Große Krisen wie die Flüchtlingsbewegung 2015 oder die Corona-Pandemie in diesem Jahr sind ein Kristallisationspunkt für Verschwörungstheoretiker.
2. Antisemitismus: Die Zahl der antisemitischen Straftaten ist 2019 in NRW von 350 im Jahr zuvor auf 315 zurückgegangen, während sie bundesweit von 1799 auf 2032 gestiegen ist. Verfassungsschutz-Chef Freier warnt vor Fehlschlüssen: „Wir haben weiterhin ein Problem mit Antisemitismus.“ Die Entwicklung der registrierten Straftaten sei schwankend, auch bei den Corona-Demonstrationen seien antisemitische Stereotype wie das Gerede von der jüdischen Weltverschwörung zu beobachten. „Wir können keine Entwarnung geben“, so Freier.
3. Spionage: Nordrhein-Westfalen ist laut Verfassungsschutz weiter Aktionsraum ausländischer Nachrichtendienste, die Unternehmen ausspionieren und sabotieren wollen oder Einfluss auf das Meinungsklima nehmen. Vor allem Russland und China werden von den Behörden verdächtigt, über Dritte und verschiedene Medienkanäle Desinformation zu betreiben. Dabei gehe es darum, auf die Stimmung in der deutschen Gesellschaft von außen einzuwirken. „Es lässt sich kaum der Nachweis erbringen, dass ein Staat Auftraggeber ist“, sagt Freier.
4. „Der Flügel“: Die AfD selbst, die auch im NRW-Landtag sitzt, wird nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. „Der Flügel“ als langjährige völkisch-nationalistische Sammlungsbewegung innerhalb der Partei, wird dagegen von den Behörden beobachtet. Inzwischen soll sich „Der Flügel“ aufgelöst haben. „Die Menschen gibt es ja weiter und die beobachten wir auch weiter“, stellte Innenminister Reul klar. Der Verfassungsschutz geht von rund 1000 Anhängern dieser als rechtsextremistisch eingestuften Bewegung aus. „Maßgebliche Leit- und Identifikationsfigur“ sei der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, heißt es im Verfassungsschutzbericht 2019.
5. Autonome: Die autonome Szene ist für den Linksextremismus in NRW weiter prägend. Die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten ist zwar 2019 im Vergleich zum Vorjahr stark eingebrochen, was sich allerdings mit der Räumung der Hambacher Forst 2018 erklären dürfte. Das Waldstück im rheinischen Braunkohle-Revier galt als Anziehungspunkt für die Szene. „Die Qualität der Gewaltbereitschaft hat trotz des Rückgangs der Anzahl von Gewaltdelikten nicht abgenommen“, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Oft werden legale Demonstrationen für Umweltthemen oder Aktionen gegen Rechts für Aktivitäten genutzt. Straftaten würden überdies häufig als „ziviler Ungehorsam“ verbrämt, sagte Freier.
6. Islamismus: Auch wenn Rechtsextremismus und Corona-Krise den Islamismus völlig aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt haben, geht der Verfassungsschutz von einer weiterhin hohen terroristischen Anschlagsgefahr durch Organisationen wie den „Islamischen Staat“ aus. Verurteilte Dschihadisten, die ihre Haftstrafen verbüßt haben, stellten ein Risiko dar, erklärte Reul. Polizei und Verfassungsschutz beobachten weiterhin diese „Gefährder“ - können sie aber nicht rund um die Uhr im Auge behalten. Die große Missionierungswelle scheint gleichwohl vorbei zu sein. Die Zahl extremistischer Salafisten in NRW liegt bei etwa 3200, was nur ein leichter Anstieg um 100 im Vergleich zu 2018 ist.