Essen. Angehörige pochen auf mehr Hilfen: Entlastungsangebote sind weggebrochen, Unterstützungen wie für Eltern gibt es nicht. “Wir werden vergessen.“
Pflegende Angehörige fühlen sich mit den Folgen der Corona-Pandemie zunehmend allein gelassen und pochen auf mehr Unterstützung. Weil Entlastungsangebote und Helfernetzwerke vielfach weggebrochen sind, sind viele Familien in NRW seit über zwei Monaten rund um die Uhr auf sich gestellt.
Die Lage der über fünf Millionen pflegenden Angehörigen habe sich dramatisch zugespitzt, sagte Susanne Hallermann von der Interessenvertretung Wir pflegen NRW. „Diese Familien werden allein gelassen und ihre Leistungen total vergessen, obwohl über 75 Prozent aller Menschen mit Pflegebedarf in häuslicher Pflege versorgt und gepflegt werden.“
Angehörige haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren, und stehen vor der Pleite
Bisherige Unterstützungen wie Tagespflege sind derzeit aus Infektionsgründen geschlossen, Notgruppen laut „Wir pflegen NRW“ nicht flächendeckend verteilt. Aus Sorge vor einer Ansteckung mit dem für Pflegebedürftige besonders gefährlichen Coronavirus können Familien auch nicht mehr auf private Helfer oder Haushaltshilfen setzen. Denn an Schutzkleidung und Corona-Tests in der häuslichen Pflege mangle es, so Hallermann.
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Beruf und Pflege seien kaum mehr zu vereinen: „Selbstständige stehen vor der Pleite. Angestellte haben Urlaube und Überstunden aufgebraucht und Angst, ihre Arbeit zu verlieren.“
Anträge auf Pflegegeld sind mit dem Lockdown deutlich gestiegen
Bund und Land haben zuletzt einige Entlastungen für Pflegende auf den Weg gebracht. Familien können 20 statt bisher 10 Tage lang Pflegeunterstützungsgeld als Lohnersatzleistung beantragen, eine Pauschale für Hilfsmittel ist von 40 auf 60 Euro erhöht worden. Das NRW-Gesundheitsministerium kündigt zudem an, dass Tagespflege-Plätze zeitnah wieder bereitstünden. Was Angehörige aber ärgert: Eltern von Kita- und Schulkinder indes haben bei Corona-bedingtem Betreuungsausfall bis zu 20 Wochen Anspruch auf Lohnfortzahlung und sollen anders als Pflegende nach dem Willen von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) eine Einmalprämien in Höhe von 600 Euro erhalten. Hallermann. „Wir fordern eine Gleichbehandlung von Familien, denn Familie zu leben bedeutet auch in Familie zu pflegen." Pflegende Familien würden diskriminiert.
Zahlen der Pflegekassen bestätigen, dass Pflege in Corona-Zeiten noch stärker Sache der Familie geworden ist. Anträge auf Pflegegeld für die häusliche Betreuung sind gestiegen. Die AOK Rheinland/Hamburg verzeichnete Mitte März einen Anstieg um 30 Prozent. Pflegebedürftige seien auch von ambulanten Pflegediensten aufs Pflegegeld umgestiegen, so eine Sprecherin. Die KKH Kaufmännische Krankenkasse hat in den vergangenen sechs Monaten zwölf Prozent mehr Anträge erhalten, besonders viele seit Anfang März. Andrea Schneider, Leiterin der Pflegekasse bei der KKH, sagte: „Viele Menschen stehen vor großen Herausforderungen, die pflegerische Tätigkeit mit Berufs- und Privatleben zu vereinbaren.“
>>> WIR PFLEGEN NRW
Die Interessenvertretung Wir pflegen NRW vertritt nach eigenen Angaben ein Netzwerk von bis zu 50.000 pflegenden Angehörigen. Zu erreichen ist die Gruppe unter 0251/4844 6324 (Mo 10-12 Uhr und Mi 16-18 Uhr) sowie kontakt@wir-pflegen.nrw.