Essen. Sie darf nicht mal den Müll herausbringen und erlebt überforderte Ämter: Eine infizierte Essenerin berichtet über ihren Alltag mit Corona.
Unter 590.000 Essenern gibt es sechs bestätige Corona-Fälle – darunter ist Svea S. (Name geändert). Die Pflegedienstmitarbeiterin (26) lebt seit einer Woche unter Quarantäne. Dass ihr echter Name und ihr Gesicht mit dem Virus in Verbindung gebracht wird, möchte sie nicht – mit unserer Redaktion hat sie dennoch über das triste Leben ohne Kontakte und die Probleme mit den Ämtern gesprochen.
Auch interessant
Wie ist die Quarantäne für Sie?
Schlimm. Jeder Tag ist ein Kampf. Ich mach den halben Tag dort sauber, wo es längst sauber ist, schaue TV-Serien, versuche mich irgendwie abzulenken. Normalerweise bin ich alles andere als eine Stubenhockerin. Jetzt bekomme ich den Tag ganz schwer um. Ich habe nicht mal jemanden, mit dem ich mich richtig unterhalten kann.
Nicht mal mit dem Paketboten...
Richtig, ich darf nichts annehmen. Nicht mal den Müll darf ich herausbringen. Das Gesundheitsamt sagte mir, man werde meinen Müll abholen – bislang ist aber niemand gekommen. So langsam ist es unangenehm mit dem Müll in der Wohnung.
Bereuen Sie es, keine Hamsterkäufe gemacht zu haben?
Nein, meine Schwester geht für mich einkaufen und stellt die Tüten vor die Tür. Etwa einmal am Tag kommt sie vorbei. Das ist echt eine Erleichterung.
Wie hat Ihr Bekanntenkreis reagiert?
Alle waren total hysterisch – und haben vor allem an sich selbst gedacht. „Oh Gott! Nicht, dass du uns angesteckt hast“ war so eine typische Nachricht. Ich sehe das nicht so eng, aber irgendwann habe ich mich gefragt, ob auch jemand an mich denkt. Erst als die Tests der anderen negativ waren, wurden alle entspannter.
Leiden Sie unter dem Virus?
Um ehrlich zu sein, merke ich überhaupt nichts. Anfangs hatte ich ein leichtes Kratzen im Hals, aber das ist inzwischen verschwunden. Ich habe weder Husten noch Kopfschmerzen oder Fieber. Bei einem Kollegen ist es ganz anders, dem geht es richtig schlecht.
Wann und wie ist das Virus bei Ihnen erkannt worden?
Nach meinem Spätdienst vergangenen Dienstag war ich auf dem Weg ins Büro – und da standen plötzlich maskierte Leute mit Schutzanzügen im Zimmer meiner Chefin. Erst durfte ich nicht hineinkommen, dann wurde ich auch ausgefragt. Da ich sowohl mit meiner infizierten Chefin in Kontakt war als auch eine Infizierte gepflegt hatte, sollte ich auch getestet werden. Aber erst am nächsten Morgen.
Sie sollten also erst einmal nach Hause. Was ging Ihnen auf dem Heimweg durch den Kopf?
Ich war aufgeregt, nervös – und habe über meinen Vater nachgedacht. Er hat Probleme am Herzen. Ich dachte mir: Hoffentlich bin ich nicht krank und habe ihn angesteckt. Ich habe dann aber erst alles für mich behalten, weil ich keine Panik verbreiten wollte. Beim Test am nächsten Tag, der von der Feuerwehr durchgeführt wurde, war ich ganz entspannt. Das Einsatzteam konnte mir jegliche Angst nehmen. Um 16 Uhr kam dann das Ergebnis.
Und es war positiv. Können Sie sich überhaupt erklären, wie Sie sich angesteckt haben?
Man geht davon aus, dass ich mich bei meiner Chefin angesteckt habe. Mit ihr habe ich lediglich die Pause verbracht, wir haben uns etwa zehn Minuten unterhalten. Das hat offenbar ausgereicht – wobei sich andere Mitarbeiter, mit denen sie mehrere Stunden verbracht hat, nicht angesteckt haben. Ich hatte Pech.
Auch interessant
Wie intensiv stehen Sie mit dem Gesundheitsamt in Kontakt?
Eigentlich soll sich täglich zweimal jemand bei mir melden, um sich über meine aktuelle Lage zu erkundigen. Aber ich bekomme viel seltener einen Anruf.
Sie fühlen sich vom Gesundheitsamt schlecht informiert?
Alle Mitarbeiter, mit denen ich gesprochen habe, waren nett und zeigten viel Geduld. Aber es scheint dort offenbar ziemlich große Kommunikationsprobleme zu geben. Der eine Mitarbeiter weiß nicht, was der andere gesagt hat. Mir scheint es, als sei man dort sehr überfordert. Ich frage mich, wie es wäre, wenn in Essen eine drei- oder vierstellige Zahl von Corona-Fällen auftreten würde. Ich befürchte, das System würde explodieren.
Auch interessant
Konnten Sie alle Entscheidungen der Behörde nachvollziehen?
Nein. Mein Fall wurde jetzt neu bewertet. Da mein Halskratzen erst am Montag, den 2. März aufgetreten ist, geht man nun davon aus, dass ich am Wochenende davor nicht ansteckend gewesen bin. Dabei heißt es doch, auch ohne Symptomatik könne man ansteckend sein. Trotzdem sind alle Menschen, mit denen ich am Wochenende in Kontakt stand, nicht länger unter Quarantäne. Meine Eltern dürfen jetzt in den Urlaub fliegen, obwohl sie nicht mal getestet worden sind. Auch meine Schwester wird nicht getestet – obwohl sie Fieber hat. Man geht davon aus, dass sie sich bei ihren Kindern angesteckt hat, die einen normalen Infekt haben. All das verstehe ich nicht, es ist fast schon ein bisschen fahrlässig.