Düsseldorf. Weiche Ziele, Turbo-Radikalisierung: Ein neues Lagebild zeigt, wie Salafisten in NRW heute weniger sichtbar, aber nicht weniger gefährlich sind.
Neue Köpfe, andere Anschlagsziele, schnellere Radikalisierung: Die islamistische Szene in Nordrhein-Westfalen hat sich stark gewandelt, ist aber nicht weniger gefährlich geworden. Das geht aus dem „2. Lagebild Salafismus“ hervor, das NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) jetzt dem Landtag übermittelt hat.
Demnach liegt die Anzahl der bekannten Salafisten in NRW aktuell bei etwa 3100 Personen. Bundesweit sind es rund 12.000. „Die extremistisch-salafistische Szene in Nordrhein-Westfalen befindet sich derzeit im Umbruch“, analysiert das Innenministerium. Durch Strafverfahren und Vereinsverbote seien zahlreiche Hauptakteure in Haft oder öffentlich kaum mehr wahrnehmbar. Die Phase einer massiven Expansion salafistischer Organisationen wie zwischen 2010 und 2016 sei vorbei.
Angebliche „Hilfsorganisationen“ binden Mitglieder und Millionen für die Szene
Wurde lange mit Straßenmissionierung oder Ausreisen in Kampfgebiete der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) mobil gemacht, spielen heute offenbar selbsternannte „Hilfsorganisationen“ und Netzwerke in der Gefangenenhilfe eine wichtige Rolle. Sie binden „ein großes Anhängerpotenzial ein und generieren in großem Umfang Gelder für die Szene“. Die Sicherheitsbehörden gehen mittlerweile von zweistelligen Millionenbeträgen aus.
Auch im vergangenen Jahr habe sich der Trend fortgesetzt, dass Minderjährige und Frauen verstärkt Teil der Szene sind. „Ferner hat die Geschwindigkeit der Radikalisierung zugenommen“, analysiert der Lagebericht. Vom ersten Kontakt mit dem Salafismus bis zum totalen Bruch mit der Gesellschaft seien in der Vergangenheit oft Jahre vergangen, heute nur noch Monate oder Wochen.
Einzeltäter und „weiche Ziele“: Der heilige Krieg hat sich verschoben
Was den Salafismus in NRW so unberechenbar macht: Seit der IS mit seinem „Staatsgründungs-Projekt“ in Syrien und dem Irak gescheitert sei, verstärke sich laut Innenministerium die „virtuelle Propaganda-Kampagne“ im Internet für den heiligen Krieg. Einzeltäter sollen damit für Anschläge gewonnen werden, die ohne große logistische Planung losschlagen können. „Als Anschlagsziele besonders im Fokus stehen dabei sogenannte ‚weiche‘, das heißt zivile Ziele, die mit Fahrzeugen oder Hand- und Schusswaffen bzw. Stichwaffen angegriffen werden sollen“, so der Bericht.
Wie Innenminister Reul und Verfassungsschutz-Chef Burkhard Freier bereits mehrfach im Landtag gewarnt hatten, bleiben zugleich deutsche Rückkehrer aus den IS-Kampfgebieten ein unkalkulierbares Risiko. Die oftmals radikalisierten und traumatisierten Jugendliche und Frauen seien als deutsche Staatsbürger nicht an der Einreise zu hindern und nur schwer lückenlos zu überwachen. Im Lagebild Salafismus wird zudem eingeräumt, dass auch „ein kleiner Teil der Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak ein weiteres Gefahrenpotenzial“ darstellten.