Die salafistische Szene versucht, junge Menschen im Internet zu rekrutieren. Der NRW-Verfassungsschutz hält mit Comedy und Fakten dagegen.
Ein bärtiger Mann in olivgrüner Kleidung sitzt mit Plastiksprengstoff in der Hand vor einem Tisch mit diversen Utensilien zum Bombenbau und erklärt: „Ihr Spektrum reicht je nach Detonationskörper und technischer Versiertheit von einem kleinen Plitsch bis hin zu einem großen Platsch.“ Er redet über eine Arschbombe. Klassische ironische Brechung.
Im Publikum lacht niemand, was wohl bestenfalls damit zusammenhängt, dass sich Journalisten dieses Video anschauen; und die sind nicht die Zielgruppe des Projektes, mit dem der NRW-Verfassungsschutz junge Menschen vor dem Abgleiten in den Salafismus schützen will. Als erste Sicherheitsbehörde in Deutschland sind die Nordrhein-Westfalen mit eigenen Kanälen zur Salafismus-Prävention auf der Videoplattform YouTube aktiv.
3100 Salafisten in Nordrhein-Westfalen
Etwa 3100 Menschen gelten in NRW als Salafisten, also als Anhänger jener islamistischen Strömung, aus der nahezu alle hervorgegangen sind, die sich dem sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) oder anderen terroristischen Gruppierungen angeschlossen haben. Um die Szene ist es seit dem Niedergang des IS-Terrorkalifats im Irak und in Syrien ruhig geworden.
Die aggressive Straßenmissionierung gibt es seit dem Verbot der „Lies!“-Kampagne nicht mehr, ehemals führende Köpfe haben sich von der Szene distanziert oder ins Ausland abgesetzt, sitzen im Gefängnis oder sind im Irak oder in Syrien gestorben. Der frühere enorme Zulauf stagniert.
Wegweiser hat Zulauf von besorgten Eltern
Entwarnung will NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) aber auf gar keinen Fall geben: „Die Gefährdung ist nach wie vor da. Die 3100 Leute sind ja nicht einfach verschwunden. Wir müssen die Szene ernst nehmen.“ Im Fokus der Extremisten sind nach Einschätzung des Verfassungsschutzes vor allem blutjunge Menschen zwischen 14 und 17 Jahren, die sie vor allem im Internet rekrutieren.
An den 19 Standorten des Präventionsprogramms „Wegweiser“ gäbe es Hunderte Anfragen von besorgten Eltern, berichtet der Uwe Reichel-Offermann, der stellvertretende Leiter des NRW-Verfassungsschutzes. Für diese Jugendlichen hat der Verfassungsschutz jetzt die YouTube-Kanäle „Jihadi Fool“ und „hinter.gründlich“ gestartet, der eine setzt auf Humor, der zweite auf Fakten. „Mit Flugblättern bekommen wir die jungen Leute nicht“, sagt Reul.
Reul: Dahin gehen, wo die Zielgruppe ist
Also versuchen es die Verfassungsschützer dort, wo auch der IS und andere Terror-Banden ihre professionell gemachten Propaganda-Videos platzieren. „Wir müssen dahin gehen, wo unsere Zielgruppe ist“, betont Reul. Insgesamt 48 kurze Videos sollen zunächst publiziert werden, Kostenpunkt: 500.000 Euro, produziert werden sie von den Berliner „BlueLaserBoys“.
Ob die Videos wirklich ihre Zielgruppe erreichen, ist offen. Den anarchischen und oft höchst provokanten Witz von erfolgreichen YouTube-Videos versprühen die Comedy-Filmchen nicht, und es ist Reul auch klar, dass man sich auf eine Gratwanderung begeben hat. Sie sollen lustig und ironisch sein, aber keine religiösen Gefühle verletzen.
Möglicherweise auch YouTube-Kanäle gegen Rechtsextremisten
„Wir sind da immer an der Abbruchkante“, räumt der Innenminister ein. Einige der Videos hat er einkassiert. An das Projekt glaubt er aber: Man entlarve die Propaganda der Salafisten mit den „stärksten Waffen unserer freiheitlichen Demokratie: Witz, Humor und Fakten“.
Wird es im Netz gut angenommen, können sich die Verfassungsschützer auch vorstellen, das Projekt auf eine andere Extremisten-Gruppierung auszuweiten, die ebenfalls im Internet nach jungen Leuten fischt, und die gerade Zuwachs hat: die Rechtsextremisten.