Krefeld/Münster. Ein Großteil der Versuche an Primaten wird in Münster durchgeführt. 2020 will die Firma Covance dort ausbauen. Tierschützer laufen Sturm.

Auch für die Tierrechtler vom Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ ist es „ein entsetzlicher Vorfall“, der sich in der Silvesternacht im Krefelder Zoo ereignet hat. „Dass bei einem Brand mehr als 30 Tiere starben, hat viele Menschen betroffen gemacht“, sagt die Biologin und Tieraktivistin Julia Radzwill. Ähnlich entsetzlich sei es, dass die gleiche Anzahl an Affen wöchentlich bei Tierversuchen in NRW eingesetzt werden – die nach Erkenntnissen der Tierschützer meist tödlich enden. „Jedes Jahr werden tausende Affen zu wissenschaftlichen Zwecken getötet, davon zwei Drittel in NRW“, so Radzwill.

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Im Fokus der Kritik steht das Münsteraner Tierversuchslabor der US-amerikanischen Firma Covance, das für Ende 2020 die Fertigstellung eines Erweiterungsbaus plant. „Ärzte gegen Tierversuche“ bezeichnet die Firma als „den größten Affenverbraucher Deutschlands“. Covance hat sich auf sogenannte Giftigkeitsprüfungen spezialisiert. „An 91 Prozent der in Deutschland verwendeten Affen werden diese qualvollen Prüfungen durchgeführt“, sagt Julia Radzwill.

Tests an 1800 Affen im Jahr

Derartige Tests sind gesetzlich vorgeschrieben. Die toxische Wirkung von Arzneien muss zunächst an Nagern und an zweiter Stelle auch an Primaten oder Hunden getestet werden. Es sind keine Menschenaffen, sondern vor allem für die Forschung gezüchtete Javaneraffen, die dabei zum Einsatz kommen. Manche Tiere werden mehrfach verwendet, manche sterben beim ersten Test.

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Im Münsteraner Tierversuchslabor von Covance, einem der größten Europas, ist die Zahl der insgesamt eingesetzten Affen deshalb geringer als die Zahl der Giftigkeitsprüfungen. Wie aus einer Beantwortungen einer kleinen Anfrage dreier fraktionsloser Abgeordneten im NRW-Landtag hervorgeht, gingen beide Zahlen 2016 zurück. 2017 stiegen sie aber mit rund 2100 Verfahren und 1800 Affen auf den seit Jahren höchsten Wert. Angesichts der Ausbaupläne in Münster ist in kommenden Jahr ein weiterer Anstieg zu erwarten.

Grüne wollen weniger Tierleid

Die Grünen bezeichnen bereits die aktuellen Zahlen als zu hoch und wollen NRW zum „Tierschutzland Nummer eins“ machen. „Wo es anerkannte Alternativen ohne Tierleid gibt, sollten Tierversuche verboten werden“, sagt NRW-Chefin Mona Neubaur auf Anfrage. Es gebe inzwischen viele anerkannte und zuverlässige Alternativen.

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Die Landesregierung betont, der Ausbau des Labors in Münster erfolge nicht auf Initiative des Landes. Möglichkeiten, steuernd einzugreifen, gebe es nicht.

Covance hat bislang eine Anfrage unserer Redaktion zu den Erweiterungsplänen nicht beantwortet. „Ärzte gegen Tierversuche“ rechnet mit zusätzlich 300 bis 400 Tieren, an denen pro Jahr Tests durchgeführt werden könnten. Der Verein läuft per Petition Sturm gegen die Pläne – knapp 82.000 Menschen unterstützen die Unterschriftenaktion bislang.

Skandal um Labor in Hamburg hat Protest aufgeheizt

Zugenommen hat die Wut der Tierschützer gegen die Pläne in Münster mit dem Skandal um das umstrittene LPT-Labor in Neu Wulmstorf bei Hamburg. Das LPT ist ebenfalls von Pharma- und Chemiefirmen für Giftigkeitsprüfungen beauftragt worden. Ein Aktivist der Organisation „Soko Tierschutz“ hatte dort versteckt gearbeitet und gefilmt, wie Tiere misshandelt wurden. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen ein Verfahren wegen Tierquälerei eingeleitet, das Labor kündigte an, bis 2020 schließen zu wollen.

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2003 wurden auch bei Covance in Münster versteckte Aufnahmen gemacht, die einen ähnlich unwürdigen Umgang mit Affen zeigten. Covance ging damals ohne Erfolg gerichtlich gegen die Aufnahmen vor. Eine Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz gegen den US-Auftragsforscher wurde 2004 allerdings eingestellt.

„Ärzte gegen Tierversuche“ hält die von Covance durchgeführten Giftigkeitsprüfungen für „wissenschaftlich unsinnig“ und fordert, dass komplett auf tierversuchsfreien Verfahren mit 3D-Mini-Organen oder Multi-Organ-Chips umgestellt wird. Nur ist das realistisch?

Zu wenig Alternativen für Affenversuche

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Laut der Informationsinitiative „Tierversuche verstehen“ lassen sich Affentests für wissenschaftlichen Fortschritt noch nicht gänzlich umgehen. „Wir können einen komplizierten Organismus noch nicht komplett künstlich nachbilden“, sagt Roman Stilling, wissenschaftlicher Referent bei der Initiative. In der Neurowissenschaft, aber auch bei der Entwicklung von biologischen Medikamenten, die etwa für jüngste Fortschritte in der Krebs-Immuntherapie verantwortlich sind, sei es deshalb schwierig, auf Tests mit Primaten zu verzichten.

Keine Menschenaffen

In Deutschland wurden 2018 an rund 3300 Affen Versuche durchgeführt – vor allem an Javaneraffen (Langschwanzmakaken). Das sind weniger als im Vorjahr (rund 3500 Tiere). Ebenfalls verwendet werden Rhesusaffen, Meerkatzen oder Paviane. Tests mit Menschenaffen wie Schimpansen und Bonobos sind seit 1992 verboten.

Insgesamt wurden hierzulande 2018 knapp 2,8 Millionen Tiere zu wissenschaftlichen Zwecken getötet - 17.768 Tiere mehr als im Vorjahr.

Damit derartige Medikamente überhaupt erst an Menschen getestet werden dürfen, müssen auch hier zunächst die entsprechenden Giftigkeitsprüfungen durchgeführt werden. Der Gesetzgeber schreibt aber vor, dass stets Alternativen zu Tierversuchen geprüft werden sollten. „Der gesetzliche Rahmen für einen umfassenden Tierschutz ist vorhanden“, sagt Stilling. Ein Problem sei eher, dass es oft lange dauere, bis tierversuchsfreie Forschungsalternativen von den Zulassungsbehörden anerkannt werden – oder bis überhaupt welche gefunden werden.