Düsseldorf. Islamwissenschaftler Ghadban fordert im Interview mit unserer Redaktion eine konsequentere Vermögensabschöpfung bei kriminellen Großfamilien.

Der Islamwissenschaftler und Clan-Experte Ralph Ghadban hat die konsequente Linie von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) gegen arabische Clans im Ruhrgebiet gelobt. „Das ist für das Sicherheitsgefühl der Bürger wichtig und zeigt, dass die Polizei keine No-Go-Areas mehr akzeptiert“, sagte Ghadban im Interview mit unserer Redaktion.

Der Berliner Wissenschaftler nahm Reul gegen Vorwürfe der Landtagsopposition in Schutz, bei den regelmäßigen Großrazzien in einschlägigen Shisha-Bars und Diskotheken würden am Ende nur einige Gramm unversteuerter Tabak sichergestellt. „Wenn jede Kleinigkeit verfolgt wird, geht das den Clan-Mitgliedern schon auf den Wecker“, sagte Ghadban.

Aber diese Maßnahmen kosteten den Staat viel Kraft. Entscheidend sei deshalb das Austrocknen der Geldquellen der Clans. Die Behörden sollten stärker eine neue EU-Richtlinie zur Vermögensabschöpfung nutzen. „Es muss doch möglich sein, einen Sozialhilfeempfänger zu fragen, woher die eine Million Euro in seinem Socken stammt. Hier brauchen wir eine Beweislastumkehr“, so der Experte. Es gebe Clan-Chefs, die jedem Kind ein eigenes Haus kauften, ohne jemals einer legalen Beschäftigung nachgegangen zu sein.

Todesdrohungen nach Buchveröffentlichung

Der 70-jährige Ghadban, der selbst aus dem Libanon stammt, hat sich mit zahlreichen Publikationen zur Migrationsforschung einen Namen gemacht. Seit er im Frühjahr im libanesischen Fernsehen über sein Buch „Arabische Clans – die unterschätzte Gefahr“ gesprochen hat, erhält er Todesdrohungen und steht immer wieder unter Polizeischutz. Ghadbans Analysen zu kriminellen Großfamilien wurden lange als Stigmatisierung bestimmter ethnischer Gruppen und Familiennamen abgetan.

Innenminister Reul hatte das bundesweit erste Lagebild zur Clan-Kriminalität in Auftrag gegeben. Im Mai wurde es vom Landeskriminalamt veröffentlicht. Demnach ist das Ruhrgebiet Hauptaktionsraum krimineller Großfamilien. In den vergangenen drei Jahren wurden landesweit 104 Clans zumeist türkisch-arabischer Abstammung identifiziert, denen 6449 Tatverdächtige und insgesamt 14.225 Straftaten zugeordnet werden konnten. Die mit Abstand meisten Straftaten (2439) wurden in Essen begangen, es folgten Gelsenkirchen (1096), Recklinghausen (1091), Duisburg (790), Bochum (782) und Dortmund (703). Bei den Wohnorten der Tatverdächtigen zeigte sich ein ähnliches Bild. Über ein Drittel aller Clan-Straftaten sind sogenannte Rohheitsdelikte, also Nötigung, Raub oder gefährliche Körperverletzung.

Ralph Ghadban spricht im Interview über den Kampf gegen die Clans

Ein Treffen mit Ralph Ghadban ist gar nicht so leicht zu arrangieren. Der Berliner Islamwissenschaftler und Publizist ist als Experte für arabische Clans gerade bundesweit gefragt. Weil er seit Monaten Todesdrohungen erhält, muss er in der Öffentlichkeit vorsichtig sein. WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock und Landeskorrespondent Tobias Blasius hatten in Düsseldorf Gelegenheit, den 70-Jährigen zu treffen.

Herr Dr. Ghadban, Sie sind d e r deutsche Experte für Clan-Kriminalität. Seit Sie im Frühjahr im libanesischen Fernsehen über ihr Buch „Arabische Clans – die unterschätzte Gefahr“ gesprochen haben, müssen Sie um ihr Leben fürchten. Warum sind Sie nicht dem Rat der Polizei gefolgt und einfach untergetaucht?

Ghadban: Ich bin nicht so leicht einzuschüchtern und kann ziemlich stur sein, wenn ich von einer Sache überzeugt bin. Ich beschäftige mich schon seit vielen Jahren mit Clans und habe mir lange anhören müssen, dass ich mit meinen Analysen ethnische Gruppen diskriminieren würde. Welch ein Quatsch! Jetzt gibt es endlich eine Bereitschaft der Politik und der Medien, sich ohne falsch verstandene Toleranz mit dem Problem der kriminellen arabischen Großfamilien in unseren Großstädten zu beschäftigen. Da wäre es ziemlich unsinnig unterzutauchen.

Im Gespräch (v. li.): Dr. Ralph Ghadban Islamwissenschaftler und Publizist, WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock, Tobias Korenke FUNKE-Unternehmenssprecher und Tobias Blasius, WAZ - Landeskorrespondent. Foto:
Im Gespräch (v. li.): Dr. Ralph Ghadban Islamwissenschaftler und Publizist, WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock, Tobias Korenke FUNKE-Unternehmenssprecher und Tobias Blasius, WAZ - Landeskorrespondent. Foto: © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Warum hat man die Clans so lange gewähren lassen?

Ghadban: Im Namen eines angeblich weltoffenen Multikulturalismus haben die westlichen Gesellschaften zugelassen, dass die Werte der Demokratie relativiert wurden. Multikulti klang links und liberal, hat aber in Wahrheit zu Blindheit gegenüber Menschenrechtsverletzungen geführt. Humanität hat sich oft in Gutmenschentum verwandelt. Probleme wurden tabuisiert. In einem solchen Klima konnten arabische Clans ihre Geschäfte aufziehen.

Aus der Schutz- wurde eine Beutegemeinschaft

Was macht einen Clan aus?

Ghadban: Ich selbst komme aus einem Dorf im Libanon. In dieser Gegend gibt es bis heute Stämme, die ihre innere Solidarität mit dem Prinzip der Blutrache zementieren. Wenn man sich mit einem von denen anlegt, hat man die ganze Sippe am Hals. Das diente ursprünglich im Nomadentum dem Schutz und dem Auskommen der Gruppe. Dieses Prinzip haben die arabischen Clans in die individualisierten westlichen Gesellschaften übertragen. Aus der Schutzgemeinschaft wurde dort eine Beutegemeinschaft in der organisierten Kriminalität.

Warum?

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Ghadban: Viele heutige Clan-Mitglieder sind als Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland gekommen und haben hier zunächst am Rande der Gesellschaft gelebt. Ohne Arbeit, ohne Geld, ohne Aufstiegsperspektive. Schnell haben sie gemerkt, welche Vorteile ihre Familienstruktur in einer offenen Gesellschaft bietet. Sie verleiht ihnen Stärke und verschafft ihnen die Möglichkeit, viel Geld zu verdienen mit Drogenhandeloder Schutzgelderpressung. Deshalb gibt es auch keine Bereitschaft zur Integration.

Das Landeskriminalamt hat in diesem Jahr erstmals ein Lagebild zu den Clans in NRW vorgelegt. Die dort aufgeführten arabischen Großfamilien im Ruhrgebiet zählen zum Teil mehrere hundert Mitglieder. Wie kann das sein?

Ghadban: Die Endogamie, also die Eheschließung innerhalb des Familienverbandes, lässt die Clans wachsen und stärkt die innere Bindung. Hinzu kommt die aus dem islamischen Glauben abgeleitete Dominanz des männlichen Familienoberhaupts und das horizontale Erbrecht, also das Vermögensvermächtnis unter Geschwistern. So entsteht eine finanzstarke geschlossene Struktur, die kaum zu durchdringen ist. Nicht alle sind kriminell, aber alle halten dicht.

Ziel: Austrocknen der Geldquellen

NRW-Innenminister Reul versucht, mit Großrazzien in Shisha-Bars und Diskotheken die Kreise der Clans zu stören. Bringt das etwas, auch wenn dabei nur ein paar Gramm unversteuerter Tabak sichergestellt werden?

Ghadban: Das ist für das Sicherheitsgefühl der Bürger wichtig und zeigt, dass die Polizei keine No-Go-Areas mehr akzeptiert. Wenn jede Kleinigkeit verfolgt wird, geht das den Clan-Mitgliedern schon auf den Wecker. Aber diese Maßnahmen kosten den Staat viel Kraft. Wirksamer wäre etwas anderes.

Was?

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Ghadban: Entscheidend ist das Austrocknen der Geldquellen. Die Behörden müssten stärker die neue EU-Richtlinie zur Vermögensabschöpfung nutzen. Es muss doch möglich sein, einen Sozialhilfeempfänger zu fragen, woher die eine Million Euro in seinem Socken stammt. Hier brauchen wir eine Beweislastumkehr. Oft lässt sich nicht beweisen, dass die erheblichen Mittel der Clans aus Diebesgut stammen. Sie können behaupten, das Geld kommt aus dem Libanon und haben nichts zu befürchten. Es gibt Clan-Chefs, die jedem Kind ein eigenes Haus kaufen, ohne jemals einer legalen Beschäftigung nachgegangen zu sein.

Innenminister Reul will Aussteigerprogramme für jüngere Clan-Mitglieder entwickeln lassen. Hat das überhaupt eine Chance?

Ghadban: Der Weg ist richtig, aber schwierig zu beschreiten. Wir brauchen insbesondere Hilfsangebote für die Mädchen aus diesen Familien, denen bei Ehrverletzung schlimme Konsequenzen drohen.

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Viele Menschen kennen das Innenleben eines Clans nur aus der Erfolgsserie „4 Blocks“ über den fiktiven Berliner Hamadi-Clans. Wie realitätsnah ist das eigentlich?

Ghadban: Ich gehörte zum Beraterkreis der Produktion und habe die Macher vergeblich vor unrealistischen Darstellungen gewarnt. Herausgekommen ist unterhaltsames Hollywood. Dass etwa der Clan-Chef Toni Hamadi sich rührend um seine Einzelkind-Tochter kümmert, hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Ein echter Clan-Chef kennt nur die Sprache der Gewalt und hat ein Dutzend Söhne.

Migrationsforscher und Clan-Experte

Dr. Ralph Ghadban (70) wurde im Libanon geboren und hat in Beirut und Berlin Philosophie, Islamwissenschaft und Politologie studiert. Als Publizist machte er sich mit zahlreichen Veröffentlichungen in der Migrationsforschung einen Namen und gehört zu den wichtigsten Experten zur arabischen Clan-Kriminalität in deutschen Großstädten.