Essen. In den Ferien sinkt die Selbstmordgefahr bei Schülern, zeigt eine Studie. Direkt nach den Ferien sollten Lehrer aber besonders wachsam sein.

Konkrete Suizide sind aufgrund der Nachahmungsgefahr in der Regel kein Bestandteil unserer Berichterstattung. Eine aktuelle Studie des Essener RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung betrachtet jedoch allein die Zahlen – und hält fest, dass Suizide in der Schulzeit häufiger auftreten. Welche möglichen Gründe, Hilfsangebote und Warnsignale gibt es? Ein Überblick.

Was sind die Kernergebnisse der Studie?

Die Zahl der Suizide in Deutschland ist über die vergangenen Jahrzehnte zwar stark zurückgegangen, aber weiterhin nehmen sich pro Jahr durchschnittlich 221 junge Menschen im Alter zwischen sechs und 19 Jahren das Leben. An Schultagen kommt es laut RWI häufiger zu einem Selbstmord als in den Ferien. Während der Ferien ist die Zahl der Suizide in der Altersgruppe um 19 Prozent verringert, in den ersten beiden Tagen nach den Ferien dagegen nimmt die Wahrscheinlichkeit um 30 Prozent zu. Das trifft besonders auf männliche Jugendliche zu, die ohnehin die größere Risikogruppe sind. Mehr als zwei von drei Suiziden gehen auf Jungen zurück. Bei den Auffälligkeiten nach den Ferien spielt es laut der Studie keine Rolle, wann und wie lange die Ferien sind. Die Daten für die Untersuchung stammen aus der deutschen Todesursachenstatistik der Jahre 2001 bis 2015.

Welche Erklärungen gibt es für die Ergebnisse?

Bislang ist unklar, ob sich die gesteigerte Selbstmordgefahr in der Schulzeit durch die Schule selbst, Problemen mit Mitschülern oder ganz anderen Gründe ergibt. Katja Hülser, Psychologin an der schulpsychologischen Beratungsstelle in Hagen, betont jedoch, dass eine Selbstmordgefährdung niemals nur aufgrund eines einzigen belastenden Lebensereignisses entsteht. „Man würde der Schule Unrecht tun, sie als Risikofaktor zu bezeichnen. Betroffene sind in der Regel in verschiedensten Lebensbereichen überfordert.“ Mobbing könne hier auch ein zentraler, aber ebenfalls nie der einzige Faktor sein. „Nicht alle, die suizidal sind, werden gemobbt“, so Hülser. Die RWI-Studienautoren vermute, dass besonders Jungen gefährdet sein könnten, weil Mädchen häufig größere Freundeskreise hätten und dadurch auffälliges Verhalten früher erkannt werde.

Welche Anzeichen gibt es für Suizidalität?

„Bei suizidgefährdeten Schülern kommt es in der Regel zu deutlichen Verhaltensveränderungen“, erklären Experten der Landesstelle Schulpsychologie. Auffällig sei, wenn ein ruhiges Kind plötzlich aggressiv wird oder sich ein extrovertiertes Kind plötzlich zurückzieht. „Allerdings gibt es auch Suizide ohne Warnsignale“, so die Schulpsychologen. Katja Hülser ergänzt, dass sich die Selbstmordgefährdung auch subtil äußern könne, etwa indem Schüler plötzlich anfangen, vermehrt Geschenke zu machen. Um derartiges mitzubekommen, seien jedoch enge Beziehungen besonders wichtig. „Deswegen sind Bezugspersonen essenziell.“

Was können Lehrer tun?

Schulen sollten insbesondere kurz nach den Ferien noch stärker auf die psychische Verfassung der Jugendlichen achten, raten die RWI-Studienautoren. Gerade an den ersten Schultagen nach den Ferien könnten gezielte Präventionsprogramme dabei helfen, Suizide zu verhindern. Ein vertrauensvolles Schulklima, in dem es für Schüler und Lehrkräfte keine allzu große Hürde darstellt, Gespräche zu suchen, wird von der Landesstelle Schulpsychologie als besonders wichtiger Faktor genannt. „Suizidgefährdung zu erkennen, setzt Kontakt und Beziehungen voraus“, heißt es von der Landestelle. „Es geht darum, ein Lernbegleiter zu sein, Interesse zu haben an der Entwicklung einer Person und die Themen, die sie begeistert“, ergänzt Psychologin Katja Hülser.

Was können Eltern tun?

Die Landesstelle Schulpsychologie rät Eltern, dass Stressfaktoren wie schlechte Schulleistungen zwar angesprochen werden sollten und auch nicht ohne Konsequenzen bleiben müssen, sich die innere Haltung der Eltern aber auch in angespannten Situationen so ausdrücken sollte, dass man das Kind unabhängig vom Urteil der Lehrkräfte unterstützt. Wichtig sei zudem, gerade in schwierigen Zeiten darauf zu achten, dass neben belastenden Themen wie dem Lernen für die nächste Klassenarbeit, immer auch ausreichend Raum und Zeit für positive Gespräche und entspannte gemeinsame Zeit zu Hause bleiben sollte.

Welche Unterstützung bietet das Land?

In NRW werden Schulpsychologen von der in Arnsberg ansässigen Landesstelle Schulpsychologie zu Themen wie Krisenmanagement qualifiziert. Die Krisenberatung und -begleitung dagegen wird in der Regel von den jeweils zuständigen regionalen Schulberatungsstellen geleistet. Schulen haben stets die Möglichkeit, sich telefonisch an die jeweiligen Stellen zu wenden. Jede Schule verfügt zudem über einen „Notfallordner“ mit dem Namen „Hinsehen und Handeln“. Der Ordner gibt Lehrkräften etwa konkrete Empfehlungen für gute Gesprächsführung bei Suizidgefahr. Außerdem begleitet die Schulpsychologie in NRW dabei, sogenannte „Schulteams für Beratung, Gewaltprävention und Krisenintervention“ einzurichten, die auch geschult werden, um Selbstmordgefahr früh zu erkennen.

Die schulpsychologische Versorgung in NRW bleibt trotz dieser Angebote weiterhin mangelhaft. Als minimaler Standard wird es laut Bundesverband Deutscher Psychologen betrachtet, wenn ein Psychologe auf 5000 Schüler kommt. Legt man diesen Versorgungsgrad als Maßstab für eine 100-prozentigen Versorgung an, kommt NRW auf eine Versorgungsquote etwa 70 Prozent.

Manche Betroffenen sehen sich in einem Tunnel

Selbstmordgefährdete Schüler geraten meist auf ganz unterschiedliche Weise an die lokalen Beratungsstellen, erklärt Schulpsychologin Katja Hülser. Manchmal würden Freunde auf ein verändertes Verhalten eines Schülers aufmerksam machen, manchmal Lehrer oder Schulsozialarbeiter. In den Beratungsterminen der Beratungsstellen gehe es dann meist darum, Belastungsfaktoren Schritt für Schritt abzubauen.

Besonders schwierig sei das bei seltenen Fällen akuter Selbstmordgefahr. Jene Schüler würden keinen anderen Ausweg mehr als den Suizid sehen und würden nichts Schönes mehr im Leben sehen. „Betroffene haben sich in einen Tunnel verirrt, aus dem sie einen Ausweg suchen, aber ihn nicht finden“, beschreibt es Katja Hülser. Aufmunterung sei dann nicht mehr möglich, viele Kleinigkeiten würden als große Belastung betrachtet. Hier müsse man in der Regel über einen Klinikaufenthalt nachdenken.

Wenn Sie unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie ist erreichbar unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei. Unterstützung für Schüler gibt es bei der Telefonseelsorge für Kinder und Jugendliche, der „Nummer gegen Kummer“: 116 111, www.nummergegenkummer.de