Düsseldorf. Rechte geben sich in Essen, Düsseldorf und Köln als „besorgte Bürger“ aus. Mit „Trauermärschen“ und Alltagshilfe wollen sie die Mitte erreichen.
Die vermehrten Aufmärsche selbst ernannter „Bürgerwehren“ in NRW rufen den Verfassungsschutz auf den Plan.
„Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz beobachtet aufmerksam, ob Rechtsextremisten versuchen, Bürgerwehr-ähnliche Gruppen zu gründen oder für sich zu instrumentalisieren“, so eine Sprecherin auf WAZ-Anfrage. Es werde geprüft, ob Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen gegeben seien. „Der Schutz der Bürger ist Aufgabe der Polizei und nicht von selbst ernannten Bürgerwehren.“
„Aufpasser“ in Düsseldorf, Mahnwachen in Mülheim
Zuletzt wollten mehrere Dutzend Erwachsene Einlass ins Düsseldorfer Rheinbaderhalten, um „Deutsche zu schützen“. Darunter befanden sich auch Personen, die von den Behörden der rechtsextremen „Bruderschaft Deutschland“ zugerechnet werden. Das Freibad war zuvor wegen Randale unter Beteiligung junger Migranten mehrfach geräumt worden. In Essen hatte ein „Trauermarsch“ mit der Gruppierung „Steeler Jungs“ für den in Frankfurt von einem Afrikaner vor einen Zug gestoßenen Jungen stattgefunden. Die Verfassungsschutz verortet zahlreiche Mitglieder im Hooligan- und Rockermilieu. In Mülheim war es nach der Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau zu Mahnwachen und Demonstrationen gekommen, die teils aus der rechten Szene mitorganisiert worden sein sollen.
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Für den Verfassungsschutz sind „Mischszenen“ noch ein recht neues Phänomen. Wutbürger, Hooligans, Rocker, Kampfsportler und Neonazis schließen sich dabei zusammen. Immer wieder versuchen rechtsextreme Gruppierungen auch, sich mit vorgeblich harmlosen „Spaziergängen“, „Trauermärschen“ oder sonstigen Demonstrationen zu aktuellen Ereignissen als Sprachrohr einer angeblich schweigenden oder resignierten Mehrheit zu inszenieren.
Im Gewand der „besorgten Bürger“
Bereits im aktuellen Verfassungsschutzbericht heißt es: „In Nordrhein-Westfalen fanden 2018 in mehreren Städten rechtsextremistisch beeinflusste Versammlungen statt, deren Anmelder bislang nicht bei einschlägigen Organisationen tätig waren.“ Die größte Veranstaltung sei im März 2018 mit 1000 Teilnehmern in Bottrop die Veranstaltung „Mütter gegen Gewalt“ gewesen. Unter dem Motto „Angst ist nicht rechts“ hätten sich Veranstalter bemüht, sich möglichst anschlussfähig für breite Bevölkerungskreise darzustellen“, so der Verfassungsschutz.
Auf dem Radar des Verfassungsschutzes ist als bürgerwehrähnliche Gruppierung neben den „Steeler Jungs“ in Essen und der Düsseldorfer „Bruderschaft Deutschland“ auch die in Köln aktive „Internationale Kölsche Mitte“ (heute „Schützt unsere Kinder Köln“), die im Gewand der „besorgten Bürger“ daherkomme.
Die „Steeler Jungs“
Sie „spazieren“ zumeist im Stillen in Einheitskleidung. Welche Gesinnung die zwischen 50 und 100 „Steeler Jungs“ vertreten, die seit April 2018 donnerstags ihre Patrouillengänge durch den Essener Stadtteil durchführen, zeigt sich aber schnell auf dem Social-Media-Profil einer ihrer führenden Köpfe. Geteilt werden Sprüche wie „CO2-Steuer? Wieso nennt ihr das Kind nicht beim Namen: Migrantendurchfütterungssteuer.“ Inszeniert wird sich als Bewohner des gallischen Dorfs (Steele), das dem Römischen Reich (Rest von Essen) standhält.
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Der Kern der „Jungs“ wird dem Hooligan- und Rockermilieu zugeordnet. Für Steele ist das kein neues Phänomen, schon in den 90ern zogen Hooligans mit Springerstiefeln durch den Stadtteil. Wenn sie heute „spazieren gehen“ oder „Trauermärsche“ veranstalten, dann seit neuestem im Schulterschluss mit Neonazi-Größen von der Partei „Die Rechte“ oder der NPD. Die „sorgenbereitenden“ Kontakte zur rechten Szene, „die ein bundesweites Netzwerk vermuten lassen“, hat auch der Essener Stadtrat Ende Mai in einer Resolution betont, die sich deutlich gegen die Märsche der selbsternannten Bürgerwehr positioniert hat.
Gegenbündnisse wie „Essen stellt sich quer“ oder „Steele bleibt bunt“ – die von den „Jungs“ als „Hetzerbündnisse“ bezeichnet werden – hatten zuvor häufiger beklagt, dass man die rechte Gruppe zu sehr mit Samthandschuhen anfasse. Warum zeigen zwei Beispiele: In der vergangenen Weihnachtszeit machte ein Bild von einem inzwischen versetzten Steeler Polizisten die Runde, der uniformiert mit „Steeler Jungs“ samt Nikolausmützen posierte. Beim letzten Karnevalszug im Stadtteil Freisenbruch konnte sich die auch als „First Class Crew“ bekannte Gruppe ungestört beteiligen – samt politischem Banner.
Die „Düsseldorfer Bruderschaft“
Was Steele in Essen ist, ist Garath in Düsseldorf. Klagen der Anwohner über Übergriffe und Drohungen rechtsaffiner Cliquen dringen bereits seit Jahren aus dem Stadtteil. 2016 hat sich dort die „Brüderschaft“ formiert, unter Anführung der dort immer noch aktiven Splitterpartei „Die Republikaner“. Laut Verfassungsschutz ist die Brüderschaft erstmals 2017 mit T-Shirts mit dem SS-Motto „Treue, Blut, Ehre“ aufgetreten, was strafrechtliche Ermittlungen nach sich zog. Auch hier stammen die Mitglieder vornehmlich aus der Hooligan-Szene.
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Nach den Tumulten im Düsseldorfer Rheinbad in den vergangenen Wochen, wollten Mitglieder der rechtsextremen Gruppe im Freibad die Rolle von „Aufpassern“ einnehmen, den Eintritt gewährte man ihnen allerdings nicht. Am Wochenende wurden im Umfeld des Bades von Unbekannten Flugblätter verteilt, die mit Verhaltenstipps im Umgang mit Migranten bedruckt waren.
Eine Woche zuvor hatte auch die Brüderschaft am Hauptbahnhof eine Mahnwache für den achtjährigen Jungen abgehalten, der in Frankfurt von einem gebürtigen Eritreer vor einem Zug gestoßen wurde. Neben derartigen „Trauerveranstaltungen“ haben die selbsternannten „Patrioten“ Demos in Garath veranstaltet und sich an Kundgebungen in und außerhalb Düsseldorf beteiligt.
Die „Internationale Kölsche Mitte“
Ein freundlicher Mann hilft einer Dame, sich auf dem Stadtplan zu orientieren, darunter das Versprechen: „ob Heimweg, Weg zur Bahn, wir bringen Euch sicher zu Eurem Ziel!“ Der Kölner Verein „Begleitschutz“, der entgeltlich Tagesbegleitung anbietet, gibt sich auf seiner Website sanft. Aber viele Mitglieder kommen aus der Rocker-, Türsteher- und Hooliganszene.
Aus dem nach der Kölner Silvesternacht 2015/2016 gegründeten Verein hat sich die „Internationale Kölsche Mitte“ gebildet, die sich laut Verfassungsschutz auf Kundgebungen „zwischen Kritik an der Flüchtlingspolitik und rechtsextremistischer Agitation“ bewegt hat. Im November 2018 wurden bei einem Aufmarsch der Hitlergruß gezeigt und Dunkelhäutige verfolgt. Im Dezember wurde Dennis M., Sprecher der „Mitte“, ein Platzverbot erteilt, als er nach einer Demo austickte und Polizisten beleidigte. Die Gruppe zog sich dann erst einmal zurück.
Seit kurzer Zeit ist sie wieder da. Mit dem neuen Namen „Schützt unsere Kinder Köln“ gaben die Rechten ebenfalls vor, Anfang August um die Ermordung des Jungen am Frankfurter Bahnhof zu trauern. Laut Beobachtern wüteten 110 „Wutbürger“ aber vor allem über den „linksfaschistischen Staat“.