Düsseldorf. Wochenlang spielte der NRW-Oppositionsführer mit dem Gedanken an die Nahles-Folge. Jetzt winkt auch er ab. Warum es ihn nicht nach Berlin zieht.
Statt Sommerurlaub stand in diesem Jahr Parteiarbeit auf dem Ferienprogramm von SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty. Wochenlang hat der 51-Jährige mit dem Gedanken an eine Kandidatur für den SPD-Bundesvorsitz gespielt. Jetzt hat er sich dagegen entschieden. Warum, erklärt er im Interview.
Vor knapp zwei Monaten haben Sie zu einer möglichen Kandidatur um den SPD-Bundesvorsitz etwas nebulös gesagt: „Großen Herausforderungen darf man nicht hinterherlaufen, man darf aber auch nicht davor weglaufen.“ In welche Richtung laufen Sie denn nun?
Kutschaty: Ich habe in den vergangenen Wochen viele Gespräche nicht nur mit Parteifreunden geführt und freue mich, dass es großen Zuspruch gab und viele Ermunterungen zu einer Kandidatur. Von unseren Mitgliedern und der Landtagsfraktion wurde aber zugleich sehr deutlich der Wunsch formuliert: ‚Wir brauchen Dich voll und ganz, um hier in NRW anzugreifen‘.
Also bewerben Sie sich nicht um den SPD-Bundesvorsitz?
Kutschaty: Ich werde nicht für den Bundesvorsitz kandidieren. Ich werde aus Nordrhein-Westfalen heraus für den sozialen Fortschritt unserer Gesellschaft kämpfen. Und da ist verdammt viel zu tun.
Scheuen Sie das Risiko, nicht gewählt zu werden?
Kutschaty: Nein. Die Zuschriften und Gespräche der vergangenen Wochen haben mir gezeigt, dass meine von Beginn an kritische Haltung gegenüber der Neuauflage der Großen Koalition in Berlin auf große Zustimmung in der Mitgliedschaft trifft. Auch mit meiner frühen Forderung nach Korrekturen bei der Hartz IV-Gesetzgebung stehe ich nun wahrlich nicht allein.
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Es hieß doch, Sie hätten bereits eine Partnerin für eine Tandem-Kandidatur…
Kutschaty: In der Tat. Mehr kann ich an dieser Stelle nicht sagen. Das überlasse ich der Kollegin selbst. Ich würde mich sehr freuen, wenn sie kandidieren würde.
Bei Neuwahlen wären die Ämter in Düsseldorf und Berlin nicht zu vereinbaren
Hätten sich SPD-Bundesvorsitz und Oppositionsführerschaft in NRW wirklich ausgeschlossen?
Kutschaty: Zumindest dann, wenn es auf Bundesebene zu Neuwahlen kommen sollte. Dann muss ein Bundesvorsitzender auch bereit sein, nach Berlin zu wechseln.
Das hätte man auch vorher wissen können. Warum haben Sie überhaupt öffentlich mit dem Gedanken an eine Kandidatur gespielt?
Kutschaty: Wir sind in einer Situation, in der sich jeder fragen muss: Was kann ich für die SPD tun und nicht umgekehrt. Mich hat vor zwei Monaten einfach gestört, dass alle potenziellen Kandidaten für den SPD-Vorsitz sofort abgewunken haben. Diese „Ohne mich“-Haltung macht ein schlechtes Bild. In der Mitgliedschaft ist ja der Eindruck entstanden, dass gar keiner mehr SPD-Vorsitzender werden will. Ich empfand es als Fraktionsvorsitzender im größten Bundesland als meine Pflicht, zumindest ernsthaft abzuwägen. Es geht mir um Verantwortung.
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Wollen Sie bei der Landtagswahl 2022 Ministerpräsident Laschet herausfordern?
Kutschaty: Die Entscheidung über die Spitzenkandidatur treffen wir noch nicht heute. Aber ich habe immer gesagt: Wer Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion ist und selbst sieben Jahre regiert hat, muss sich auch das Amt des Ministerpräsidenten zutrauen. Das tue ich.
Was halten Sie vom bisherigen Bewerberfeld für den Parteivorsitz?
Kutschaty: Ich habe großen Respekt vor jedem, der bereit ist, sich dieser Aufgabe stellen. In den nächsten Wochen werden noch weitere Bewerbungen kommen. Unsere Mitglieder werden aus einem breiten Kandidatenfeld wählen können.
SPD pur? Wir brauchen keine ehemaligen Vorsitzenden an der Seitenlinie
Muss die neue Parteiführung die SPD aus der GroKo heraus führen?
Kutschaty: Die neue Parteiführung muss eine klare Vorstellung davon haben, wie Bilanz gezogen werden soll zur bisherigen Arbeit der Großen Koalition. Ich erwarte beim Bundesparteitag im Dezember einen Kriterienkatalog, nach dem die Delegierten entscheiden können: Lohnt sich die Fortsetzung dieser Bundesregierung mit der Union noch oder nicht? Und zwar entlang von inhaltlichen Anliegen, für die wir als Sozialdemokraten wieder kämpfen müssen.
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Bislang haben inhaltliche Links-Korrekturen wie bei Hartz IV der SPD überhaupt nichts gebracht.
Kutschaty: Die Frage der sozialen Gerechtigkeit bleibt unser Markenkern. Verloren gegangene Glaubwürdigkeit müssen wir zurückgewinnen. Nur wollen die Menschen von uns Taten sehen. Wenn der Parteivorstand ein Sozialstaatspapier verabschiedet, das jetzt in der Schublade liegt, bringt das allein noch kein Vertrauen zurück.
Etliche Genossen haben sich - mit Unterstützung des ehemaligen Vorsitzenden Sigmar Gabriel - in der Initiative „SPD pur“ versammelt, die einen Linksschwenk verhindern will. Was ist in der NRW-SPD los?
Kutschaty: Ich lehne jede Form der Grüppchenbildung ab. Wer der Partei Gutes tun will, bringt sich in der Partei ein. Wir brauchen in unserer aktuellen Lage keine ehemaligen Bundes- und Landesvorsitzenden, die jetzt vom Spielfeldrand aus reinrufen. Die SPD selbst ist „SPD pur“.
Thomas Kutschaty (51), Rechtsanwalt aus Essen, ist seit April 2018 Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion und damit Oppositionsführer in NRW. Zwischen 2010 und 2017 war der verheiratete Vater von drei Kindern Justizminister des Landes.