Düsseldorf. Nathanael Liminski ist Deutschlands jüngster Staatskanzlei-Chef - und hat geschafft, dass sein Ministerpräsident plötzlich kanzlertauglich wirkt.
Das soll ein Schattenmann sein? Als die Sonne Ende Juni besonders erbarmungslos den Vorplatz des Düsseldorfer Landtags aufheizt, scheint das Nathanael Liminski nichts auszumachen. Der nordrhein-westfälische Staatskanzlei-Chef trägt im gleißenden Licht eine akkurat geknotete Krawatte zum knitterfreien dunklen Anzug. Mit der rechten Hand zieht er einen schwarzen Akten-Rollkoffer hinter sich her, mit der linken hält er das Smartphone ans Ohr. Nickend grüßt er die vor ihren Minister-Limousinen wartenden Chauffeure. Liminski läuft die paar Meter rasch hinüber ins „Landeshaus“. Neben seinem Schreibtisch im Büro mit Rheinblick stapeln sich bestimmt schon wieder neue Mappen auf dem dunklen Parkettboden.
Seit ziemlich genau zwei Jahren leitet Staatssekretär Nathanael Liminski die Regierungszentrale von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Er ist Deutschlands jüngster Staatskanzlei-Chef. Im September wird der Mann, der die Geschicke Nordrhein-Westfalens maßgeblich mitbestimmt, erst 34 Jahre alt. Liminski wurde nach seiner Ernennung als Laschets „Schattenmann“ oder als dessen „rechte Hand“ beschrieben. Inzwischen fragt sich mancher, ob er nicht viel mehr ist. In einem freundlichen Laschet-Porträt druckte neulich der „Spiegel“ ein bemerkenswertes Zitat von Jens Spahn. „Wenn er wirklich Ministerpräsident wird, dann hat Nathanael ganze Arbeit geleistet“, soll der Bundesgesundheitsminister vor der Landtagswahl über den damaligen Spitzenkandidaten Laschet gesagt haben.
Liminski dürfte so etwas gar nicht recht sein. Bloß keine Überhöhung. Immer schön die Kleiderordnung einhalten. Die Arbeitsteilung mit Laschet sieht vor, dass er verschwiegen und effizient in Düsseldorf das Regierungsgeschäft erledigt, die Fäden zusammenhält, die Ressorts koordiniert, Wichtiges von Unwichtigem trennt, während „der Chef“ Tag für Tag sein landesväterliches Terminpensum zwischen Herford und Heinsberg abspult. Dennoch: Es dürfte viel mit Liminski zu tun haben, dass der lange eher belächelte Laschet plötzlich in Berlin als heißer Anwärter auf die Kanzlerkandidatur der Union gehandelt wird.
Laschet und Liminski - von zwei entfernten Planeten im CDU-Sonnensystem
SPD-Altkanzler Gerhard Schröder war der Erste, der im vergangenen Sommer Laschet öffentlich die Kanzlertauglichkeit bescheinigt hatte. Schröders Kanzleramtschef hieß einst Frank-Walter Steinmeier, den der Basta-Kanzler „mein Mach-mal“ nannte. So würde Laschet nie über Liminski sprechen, mit dem er sich duzt. „Wie, das hast sogar Du nicht verstanden?“, frotzelt der Ministerpräsident höchstens mal intern, wenn Liminiski juristische Finessen zum Kohle-Ausstieg als „extrem kompliziert“ einstuft. Im Staatskanzlei-Alltag kann auch der joviale Herr Laschet ausflippen, doch der Groll des harmoniebedürftigen Rheinländers hält nie lange. Laschet und Liminiski – sie kommen als ziemlich harmonisches Duo daher.
Trotzdem gibt es Parallelen zum ungleichen Gespann Schröder/Steinmeier, das sich durch große Unterschiedlichkeit in Persönlichkeit, Temperament und Arbeitsstil auszeichnete. Auch Laschet und Liminski entstammen biografisch wie politisch von zwei weit entfernten Planeten innerhalb des Sonnensystems der CDU. War der Alte lange ein Underdog der Union, so gehört der Junge zu der seltenen Spezies der Überflieger.
Laschet ist mit drei Brüdern als Sohn eines Bergmanns, der sich später zum Grundschullehrer fortbildete, in Aachen-Burtscheid aufgewachsen. Dort, im Drei-Länder-Eck, lebt er noch heute. Der erste große Bildungsraum war für ihn die ehrenamtliche „Bücher-Insel“ in der örtlichen Pfarrei. Katholische Jugend, Junge Union, Stadtrat – die Politisierung Laschets erfolgte schleichend. Ein Staatsanwalt begeisterte den Schüler Armin im Rechtskurs für ein Jura-Studium in München. Als Radio-Korrespondent des bayerischen Privatsenders „Radio Charivari“ und Chefredakteur der Kirchenzeitung im Bistum Aachen lernte er das Spiel mit den Medien. Es sind viele Zufälle, die den heute 58-jährigen Laschet zu einem rheinisch-liberalen Berufspolitiker gemacht haben.
Bei Nathanael Liminski wirkt nichts zufällig. Der Politologe und Historiker ist als achtes von zehn Kindern einer erzkatholischen Vorzeigefamilie in Sankt Augustin aufgewachsen. Sein Vater war meinungsstarker Moderator beim Deutschlandfunk und steht der konservativen Laienorganisation Opus Dei nahe. Die Eltern haben vor mehr als 15 Jahren das viel beachtete Buch „Abenteuer Familie“ geschrieben, das Einblicke in ihren ungewöhnlich, aber offenbar perfekt organisierten Großhaushalt gab. Liminski hat sein Abitur mit einem Notendurchschnitt von 1,1 abgelegt und danach in Bonn und an der berühmten „Sorbonne“ in Paris studiert.
Mitbegründer der papsttreuen „Generation Benedikt“
Als Mitbegründer der papsttreuen „Generation Benedikt“ stritt Liminski schon als 22-jähriger wortflink in Talkshows für wenig massentaugliche Thesen wie „Kein Sex vor der Ehe“ - auch wenn später das erste seiner eigenen drei Kinder nach Recherchen der Rheinischen Post deutlich vor dem Hochzeitstermin zur Welt kam. Früh schrieb er in der hessischen Staatskanzlei Reden für den damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch und arbeitete später in Berlin für Verteidigungsminister Thomas de Maiziére. Liminski war nebenher sechs Jahre Chefredakteur der Junge Union-Mitgliederzeitung „Entscheidung“. In der jungen CDU-Garde gilt er als bestens vernetzt. Generalsekretär Paul Zimiak ist Patenonkel seines jüngsten Kindes.
Als Laschet in einigermaßen aussichtsloser Oppositionslage 2014 auf Empfehlung von de Maiziére ausgerechnet den jungen Liminski zum neuen Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion machte, fragten sich viele: Wie soll das funktionieren? Hier der rheinisch-liberale Bauchmensch Laschet, der schwarz-grün tickt und als Lehrbeauftragter der RWTH Aachen schon mal einen Stoß Klausuren verbummelte. Dort die früh vollendete politische Präzisionsmaschine Liminski mit konservativer Grundierung, immer auf Fokussierung geschaltet. Hier der begeisterungsfähige Laschet, der sich in faszinierenden Begegnungen verlieren kann und gerne mal zu spät kommt. Dort der allzeit strukturierte Liminski, der den Dingen auf den Grund geht.
Fünf Jahre später steht fest: Es funktioniert. Mit seinem Bienenfleiß und der zurückhaltend souveränen, zugleich selbstironischen Art habe er sogar viele der in der Politik übermäßig vertretenen Neidhammel für sich eingenommen, heißt es in Koalitionskreisen. Heute dirigiert und organisiert Liminski das Regierungsgeschäft im Interessengeflecht von Fraktionen, Ressorts und Lobbyverbänden, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Selbst ein Kabinettsroutinier, der Laschet zunächst davon abriet, einem 31-Jährigen die Staatskanzlei anzuvertrauen, schwärmt inzwischen: „Ich muss zugeben: Ich habe mich geirrt, der macht das klasse.“
Voller Schreibtisch, permanente Verzettelungsgefahr
Natürlich unterliegt einer wie Liminski permanenter Verzettelungsgefahr. Über seinen Tisch wandern nicht nur sämtliche Vorgänge der Landesregierung, er führt für NRW auch so komplizierte Bund-Länder-Verhandlungen wie jene über den Kohle-Ausstieg oder den Glücksspielstaatsvertrag. Faktisch ist er obendrein noch Medienminister. „Es ist erstaunlich, wie tief Liminski im Stoff ist“, lobt ein langjähriges Mitglied des WDR-Rundfunkrats, in dem man das Hantieren mit jährlich 1,4 Milliarden Euro Gebührengeldern gern zur Geheimwissenschaft verklärt.
Aber selbst Liminski unterlaufen Fehler. Wie er damit umgeht, lässt sich an einem Freitagnachmittag im März beobachten. Liminski muss als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Landtags zur „Hacker-Affäre“ aussagen. Er hatte ein Jahr zuvor eine fatale Erklärung von Regierungssprecher Christian Wiermer abgesegnet. In der Mitteilung wurden angeblich „offenkundig kriminelle Eingriffe in die Privatsphäre“ der damaligen Umweltministerin Christina Schulze Föcking (CDU) „aufs Schärfste“ verurteilt. Dabei hatte es nie einen Hacker-Angriff gegeben. Die Opposition vermutet, dass Liminskis Staatskanzlei eine trudelnde Ministerin öffentlich als Opfer darstellen wollte.
An jenem Freitag im März muss erst Regierungssprecher Wiermer in den Zeugenstand, der mit selbstbewussten Belehrungen die Abgeordneten reizt. Es kommt über Stunden zu giftigen Wortgefechten, wie man sie im Landtag selten erlebt. Der Ausschussvorsitzende Hans-Willi Körfges (SPD) muss Wiermer ermahnen, „nicht als Sachverständiger“ aufzutreten. Die Regierungsfraktionen stimmen zwischenzeitlich das Fragerecht der Opposition nieder – ein einmaliger Vorgang. Alle sind ziemlich mit den Nerven runter, als abschließend Liminski vernommen wird. Der Staatskanzlei-Chef spricht ruhig und knapp, antwortet höflich auf die „natürlich berechtigten Fragen“ der Parlamentarier. Nach einer Stunde sind alle zufrieden. „Von der Sorte Liminski“, raunt am Ende eine erschöpfte Oppositionsabgeordnete, „bräuchte Laschet ein paar mehr.“
Es war als Kompliment gemeint.
(Dieser Text ist ein Beitrag aus der digitalen Sonntagszeitung der Funke Mediengruppe)