Essen. Abitur – was dann? Viele Schulabsolventen wissen noch nicht, was sie machen wollen. Studienberater Jörn Sickelmann rät, sich früh zu informieren.

Nach den Abiturprüfungen beginnt für Jörn Sickelmann und sein Team vom Akademischen Beratungs-Zentrum Studium und Beruf der Uni Duisburg-Essen die arbeitsintensivste Zeit des Jahres. Viele Schulabgänger waren bis jetzt vollauf mit dem Abi beschäftigt und wissen noch nicht, was sie machen wollen. Mit Mails und in persönlichen Gesprächen versuchen die Berater, den richtigen Weg für die jungen Menschen zu finden. Pro Jahr hat das Team Kontakt mit über 15.000 Studieninteressierten. Vor dem Hintergrund der bundesweit hohen Abbrecherquoten von rund 30 Prozent ist es besonders wichtig, Wünsche, Eignung und Fähigkeiten herauszuarbeiten. Christopher Onkelbach sprach mit Jörn Sickelmann darüber, mit welchen Sorgen und Fragen die jungen Leute zu ihm kommen.

Jörn Sickelmann, Leiter der Studienberatung an der Universität Duisburg-Essen.
Jörn Sickelmann, Leiter der Studienberatung an der Universität Duisburg-Essen. © FFS | Foto: Kai Kitschenberg

Herr Sickelmann, die Klage der Hochschulen, dass viele Abiturienten die Voraussetzungen für ein Studium nicht mitbringen, wird immer lauter – zu Recht?

Jörn Sickelmann: Eine Diskrepanz zwischen den Schulanforderungen und den Fähigkeiten, die Hochschulen von Studienanfängern erwarten, wird mitunter beklagt, das ist richtig. Ziel unserer Bemühungen als Studienberater ist es, mit dem Studieninteressierten herauszuarbeiten ob er für ein bestimmtes Studienfach geeignet ist.

Rund die Hälfte eines Abi-Jahrgangs strebt an eine Hochschule. Studieren mittlerweile zu viele?

Das ist eine alte Debatte, die nicht weiterführt. Hochschulabsolventen sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Meine Aufgabe ist es, junge Menschen so zu beraten, dass sie den für sich passenden Studiengang finden. Angesichts der rasanten technischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist die Anpassungsleistung der jungen Leute enorm. Zu sagen, die junge Generation sei anders oder weniger geeignet als früher, bringt uns nicht weiter. Heute sind auch andere Fähigkeiten gefragt.

Die Vielfalt der heutigen Studierenden und die unterschiedlichen Bildungshintergründe stellen die Hochschulen vor Herausforderungen. Wie gehen Sie damit um?

Die Universität stellt sich dieser Aufgabe ganz bewusst. Zu unserem Anspruch gehört es, dass wir unsere besondere Situation im Ruhrgebiet berücksichtigen und Brücken schlagen. Viele Menschen dürfen heute Abitur machen, das ist auch eine Frage der Bildungsgerechtigkeit. Wir haben wir viele Angebote für unsere diverse Studentenschaft entwickelt, etwa Vorkurse, Studienberatungen, Mentoring-Systeme und psychologische Beratung.

Mit welchen Fragen kommen die Abiturienten?

Manche haben gar keine Ahnung, wohin es gehen soll. Andere haben bereits sehr konkrete Vorstellungen. Leider informieren sich viele zu spät. Manche Fristen haben sie dann womöglich schon verpasst und dann ist mindestens ein Semester verloren.

Wie gehen Sie vor?

Man muss herausfinden, was die jungen Leute interessiert und wozu sie geeignet sind. Sie sind von den zahllosen Möglichkeiten oft völlig überfordert. Bundesweit gibt es über 18.000 Studiengänge, in NRW etwa 3700, davon etwa 1900 Bachelor-Studiengänge. Auch der Arbeitsmarkt ist unübersichtlich geworden.

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Studenten sitzen am Dienstag (19.10.10) in einem Hoersaal der Friedrich-Schiller-Universitaet in Jena in einer Vorlesung im Fach Politikwissenschaften. Zum beginnenden Wintersemester 2010/2011 studieren nach Universitaetsangaben rund 21.400 junge Menschen an der groessten Bildungseinrichtung Thueringens, darunter sind rund 5300 Erstsemester. Das entspricht einer Steigerung von 100 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Jeder vierte Student kommt aus den alten Bundeslaendern, zwoelf Prozent sind Auslaender. Foto: Jens-Ulrich Koch/dapd
Von Christopher Onkelbach

Wie kann ein junger Mensch da herausfinden, was er studieren will?

Sickelmann: Vor allem sollte er sich rechtzeitig informieren und früh in eine Studienberatung kommen. Er sollte sich fragen: was kann ich gut, was macht mir Spaß, womit beschäftige ich mich gerne? Er sollte auch Lehrer, Eltern und Freunde nach ihrer Meinung fragen. Er kann zudem in Vorlesungen reinschnuppern und mit Studenten reden. Es gibt auch Online-Tests zur Studienorientierung. Zudem bieten die Hochschulen zahlreiche Info-Veranstaltungen an. Der ganze Prozess dient vor allem dazu, sich über die eigenen Interessen klar zu werden.

Bereitet der Numerus clausus den Interessierten Sorgen?

Sickelmann: Das ist ein großes Thema. In NRW sind mehr als 33 Prozent der Studiengänge zulassungsbeschränkt. An der Uni Duisburg-Essen sind es etwa ein Viertel. Es ist für Abiturienten eine bittere Erfahrung, wenn sie trotz ihres bestandenen Abis nicht ihr Wunschfach studieren können. Doch die Mehrzahl der Studiengänge ist ja zulassungsfrei.

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Sollte man sich mit einem Schnitt von 2,5 oder 3,0 erst gar nicht bewerben?

Sickelmann: Der NC-Wert hängt von der Nachfrage ab. Grundsätzlich sollten sich Studieninteressierte nicht vorschnell abschrecken lassen. Denn der NC besagt ja nicht, dass man mit einer schlechteren Note als in den Vorjahren absolut keinen Studienplatz bekommt. Der NC ist keine strikte Notengrenze, sondern nur eine Methode, um eine begrenzte Anzahl von Plätzen zu vergeben. Das wird oft missverstanden.

Sollten die Karrierechancen oder das persönliche Interesse im Vordergrund stehen?

Sickelmann: Beides sind berechtigte Aspekte. Doch ein Fach, dass ich nur aus Karrieremotiven wähle, für das ich aber wenig Interesse aufbringe, ist keine gute Wahl. Umgekehrt wird jener sicher seinen Platz auf dem Arbeitsmarkt finden, der für sein Fach brennt. Die Motivation ist für ein Studium wichtig.

>>>> Tests, Termine, Fristen

Die Einschreibefristen für zulassungsfreie Studiengänge zum Wintersemester 2019/20 sind unterschiedlich. An manchen Hochschulen kann man sich bereits jetzt einschreiben. Die Fristen enden Anfang Oktober. Jede Hochschule bietet Studieninteressierten Beratungen an. Auch die Arbeitsagenturen und das Wissenschaftsministerium informiere über Studien- und Berufswege.

Eine Übersicht über Studienberatungen, Studiengänge, Online-Tests, Termine und Fristen finden sich im Internet zum Beispiel unter https://www.welcome.ruhr/zielgruppen/studierende/ oder https://www.hochschulkompass.de/studium/hilfe-bei-der-studienwahl/studienberatung.html unter https://www.mkw.nrw/hochschule-und-forschung/studium-und-lehre oder https://www.arbeitsagentur.de/bildung/studium.