Düsseldorf. Ein Mann wird Pflegevater trotz Pädophilie-Hinweisen, Beweismittel verschwinden: Im Fall Lügde hat es viele Pannen gegeben – ein Überblick.

Der massenhafte Kindesmissbrauch über viele Jahre auf einem Campingplatz im ostwestfälischen Lügde ist auch eine Geschichte von Behördenversagen und Ermittlungspannen. Diese zehn Schlaglichter verdeutlichen das Ausmaß der Tölpeleien:

1. Hinweise an Polizei werden 2016 nicht weitergegeben

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Im August 2016 meldet sich ein Vater bei der Polizei, weil er Verdacht schöpft gegen den 56-jährigen Dauercamper Andreas V., der auf dem Campingplatz „Eichwald“ in Lügde mit einem Pflegekind lebt und immer viele Minderjährige um sich hat. Die Polizei nimmt die Meldung zu den Akten und informiert das Jugendamt, ermittelt aber nicht. Die Staatsanwaltschaft erfährt nie von diesem alarmierenden Hinweis.

2. Jobcenter hegt Missbrauchs-Verdacht – die Polizei ermittelt aber nicht

Mitarbeiter des Jobcenters Blomberg werden im November 2016 hellhörig, weil der arbeitslose Dauercamper Andreas V. bei einem Termin Äußerungen fallen lässt, die auf sexuellen Missbrauch seines Pflegekindes hindeuten könnten. Das Jobcenter informiert das Jugendamt, die Polizei ermittelt aber wieder nicht.

3. Jugendämter arbeiten aneinander vorbei

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Das Jugendamt aus dem niedersächsischen Landkreis Hameln-Pyrmont, in dem das Pflegekind des Hauptverdächtigen Andreas V. gemeldet ist, und die Jugendbehörden in Ostwestfalen, wo der Campingplatz „Eichwald“ als Wohnort des Kindes liegt, arbeiten konsequent aneinander vorbei. Angesichts der dreckigen Parzelle, die sich später als Tatort grausamer Missbrauchshandlungen erweist, entfährt es NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) im Landtag: „Meine Omma hätte gemerkt, dass da was nicht stimmt.“

4. Andreas V. wird festgenommen – zweieinhalb Jahre nach den ersten Hinweisen

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Erst als sich im Oktober 2018 ein Kind traut, mit seiner Mutter über den Missbrauch auf dem Campingplatz „Eichwald“ zu sprechen, wird die Polizei aktiv. Im Dezember 2018 wird Andreas V. festgenommen – fast zweieinhalb Jahre nach den ersten konkreten Hinweisen an die Behörden und mehr als 15 Jahre nach Beginn des Missbrauchs von insgesamt mindestens 40 Kindern in Lügde.

5. Kreispolizeibehörde ist überfordert

Bereits am 11. Januar 2019 sendet die Kreispolizeibehörde Lippe einen Bericht an das Landeskriminalamt und drei Tage später an das Innenministerium. Darin ist die Rede von „möglicherweise 30 und mehr Kindern und jugendlichen Opfern“, 12.500 kinderpornografischen Dateien und „Verdachtsmomenten“ auf Aktenmanipulation in einem Jugendamt. Trotz der sich abzeichnenden Dimension entzieht Innenminister Reul der überforderten Mini-Behörde erst am 31. Januar die Ermittlungen und übergibt sie Polizeipräsidium Bielefeld.

6. Jugendamtsmitarbeiter soll Akten manipuliert haben

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Der Landkreis Hameln-Pyrmont stellt im Februar 2019 einen Jugendamtsmitarbeiter frei, der Akten im Fall Lügde manipuliert haben soll. Die Behörde steht schwer unter Druck, weil sie den Hauptverdächtigen Andreas V. überhaupt erst als Pflegevater eingesetzt hatte.

7. 155 sichergestellte CDs und DVDs bei Polizei verschwunden

Innenminister Reul muss Ende Februar öffentlich machen, dass 155 der im Campingwagen des Hauptverdächtigen sichergestellten CDs und DVDs aus einem Auswerteraum der Kreispolizei Lippe verschwunden sind. Ein Polizeischüler war - gegen jede Vorschrift - mit der Sichtung beauftragt worden. Kopien der Asservate wurden nicht angefertigt. Der Ausbilder des Polizeischüler war schon einmal wegen verschwundener Asservate auffällig geworden. „Man muss hier von Polizeiversagen sprechen“, sagt Reul. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Diebstahls gegen unbekannt.

8. Beim Abriss des Campingwagens werden weitere Beweismittel gefunden

Obwohl im April der Campingwagen des Hauptverdächtigen als Tatort bereits freigegeben ist, werden bei Abrissarbeiten angeblich im doppelten, fest verbauten Holzboden fünf weitere Datenträger entdeckt. Die Polizei hatte die Abrissarbeiten nicht begleitet. Innenminister Reul macht sich für nochmalige Durchsuchungen auf dem Campingplatz stark.

9. Reul räumt ein: Ermittlungsakte war „unstrukturiert“

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Innenminister Reul bescheinigt der Kreispolizeibehörde Lippe, die zunächst ermittelte, öffentlich schlechte Arbeit: Die über 3000 Seiten starke Akte, die das Polizeipräsidium Bielefeld übernahm, sei „unstrukturiert“ gewesen. „Im Hinblick auf die Datenerfassung von Objekten, Asservaten etc. kann man sogar sagen: Sie ist mangelhaft“, kritisiert der oberste Dienstherr.

10. Geräteschuppen gefunden – erst nach Monaten und mehreren Durchsuchungen

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Die Staatsanwaltschaft Detmold und das Bielefelder Präsidium müssen einräumen, dass nahe der Campingparzelle des Hauptverdächtigen noch dessen Geräteschuppen gefunden worden sei. Bislang habe man keinerlei Kenntnis gehabt von diesem Verschlag – verwunderlich nach viermonatiger Ermittlungsarbeit und sechsmaliger Durchsuchung des mutmaßlichen Tatorts.