Düsseldorf . Die Grünen sind von Köln bis Dortmund stärkste politische Kraft und lösen die SPD als landesweite Nummer zwei ab. Jetzt wartet die Kommunalwahl.
Mona Neubaur und Felix Banaszak stehen am Montagmorgen vor dem Rheinufer-Café „KIT“ in Sichtweite der Düsseldorfer Staatskanzlei und begrüßen jeden Journalisten einzeln per Handschlag. Von Triumphgeheul ist nichts zu vernehmen. Die beiden Landesvorsitzenden der NRW-Grünen freuen sich vielmehr höflich und bescheiden über das neue Interesse an ihrer Partei. Sie haben hier eben auch schon andere Zeiten erlebt.
Vor ziemlich genau zwei Jahren flossen im „KIT“ noch Tränen. Die Grünen waren damals mit Pauken und Trompeten als Teil der Landesregierung abgewählt worden. Mit 6,4 Prozent waren sie am Ende froh, überhaupt noch gerupft in den Landtag einziehen zu können. Die grüne Schulpolitik und die landesweiten Initiativen für mehr Klima- und Umweltschutz galten bei den Wahlanalysen als Hauptursache, dass die Ökopartei in NRW als blockierend und ideologisch verbohrt wahrgenommen wurde.
Bei der Landtagswahl 2017 flossen noch Tränen
Und nun? Bei der Europawahl 2019 sind die Grünen mit 23,2 Prozent erstmals die Nummer zwei hinter der CDU (27,9) in NRW, deutlich vor der SPD. Sie haben im Vergleich zur Landtagswahl 1,3 Millionen Stimmen hinzugewonnen. In neun Großstädten sind die NRW-Grünen stärkste politische Kraft geworden. Nicht nur in ihren traditionellen Hochburgen Köln, Bonn, Münster und Aachen, sondern auch in Düsseldorf, Bochum und sogar der ehemaligen „SPD-Herzkammer“ Dortmund. In Essen, der jahrzehntelangen roten Bastion, schoben die Grünen die SPD auf Platz drei.
Man müsse erst einmal „in aller Demut analysieren“, was da am Sonntag passiert sei, sagte Banaszak. Es sei gelungen, „die Europawahl zur Klimawahl zu machen“, freute sich Neubaur. Offensichtlich habe die Landesregierung in Energie- und Klimafragen „mit ihrem ‚Wir prüfen, wir überlegen, wir zögern‘“ nicht die Stimmung der Menschen aufgenommen. „Das ist die Abstimmung einer jungen Generation, die sagt: Das, was ihr bislang verwaltet an euren Verhandlungstischen muss jetzt umgesetzt werden und muss jetzt schneller gehen“, interpretierte Neubaur die Botschaft von Sonntag.
Tatsächlich kam den Grünen zugute, dass das weltweite Klima-Thema mit den großen Schüler-Demonstrationen oder dem Streit um den Hambacher Forst wichtige lokale Ankerpunkte hatte und die schwarz-gelbe Landesregierung überhaupt keinen Umgang damit fand. Die NRW-Grünen profitieren überdies vom positiven Bundestrend und der Beliebtheit ihrer frischen Bundesvorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock.
In urbanen Vierteln gehören die Grünen dazu
In urbanen Vierteln der NRW-Großstädte haben die Grünen offenbar das erobert, was früher einmal SPD-Domäne war: kulturelle Hegemonie. Es gehört irgendwie zum Lebensstil, ökologisch verantwortungsbewusst zu leben und grün zu wählen.
Die Spitze der NRW-Grünen scheint dem neuen Trend noch nicht recht zu trauen. Man liegt erstmals über dem Bundesschnitt der Partei, auf einem Level mit grünen Vorzeige-Ländern wie Hessen und Baden-Württemberg. „Wir haben in den vergangenen Jahren so viel Veränderung in den Wahlen und Umfragen erlebt“, bremst Banaszak. Gleichwohl stellen sich nun strategische Fragen.
Im September 2020 sind Kommunalwahlen in NRW. Den Grünen ist zuzutrauen, in wichtigen Großstädten erstmals den Oberbürgermeister zu stellen. Der Landesverband gehe davon aus, „dass sich an der einen oder anderen Stelle auch grüne Kandidaten bewerben werden“, so Banaszak. Dies müsse jedoch mit Blick auf die lokalen Besonderheiten vor Ort entschieden werden.
Für den umstrittenen Versuch von CDU und FDP, sich mit der Abschaffung der Bürgermeister-Stichwahl einen taktischen Vorteil zu verschaffen, haben die Grünen am Tag nach der Europawahl nur milden Spott übrig. „Wir haben mit den Ergebnissen in den Großstädten erlebt“, so Banaszak, „dass der Automatismus, dass die Oberbürgermeister-Wahl zwischen SPD und CDU ausgetragen wird, offensichtlich ein Ende gefunden hat.“