Berlin. Die Pflegeheime in Deutschland bekommen bisher fast nur Traumnoten. Dank neuer Bewertungskriterien soll damit aber bald Schluss sein.
Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, hat die neuen Vorschläge für eine Bewertung von Pflegeheimen grundsätzlich begrüßt: „Die Systematik, nach der künftig geprüft werden soll, geht in die richtige Richtung“, sagte er unserer Redaktion.
Gleichzeitig mahnte er Nachbesserungen an: „Die Daten müssen vollständig sein. Sie müssen so aufbereitet sein, dass sie verständlich sind. Werden Informationen zurückgehalten, kann kein Vertrauen in das Bewertungssystem entstehen.“
Bisheriges Bewertungssystem untauglich
Westerfellhaus, der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium ist, bezieht sich auf einen Bericht von Wissenschaftlern, die ein neues Konzept für die Bewertung erarbeitet haben. Es soll ab dem nächsten Jahr schon das seit fast zehn Jahren als „Pflege-Tüv“ bekannte System der Pflegenoten ablösen.
Dieses Prüf- und Bewertungsverfahren hat sich schon vor Jahren in der Praxis als untauglich erwiesen. Fast alle Pflegeheime in Deutschland bekommen damit die Note „sehr gut“. Die Aussagekraft der Bewertung ist dadurch nach Meinung aller Experten kaum mehr vorhanden.
Bewohner-Bedürfnisse rücken in Vordergrund
Künftig soll die tatsächliche Situation in den Einrichtungen realistischer erfasst und für alle Interessierten verständlich dargestellt werden. Konkret bedeutet das, dass die Frage, wie die Bewohner tatsächlich leben und versorgt werden, wichtiger sein soll als die Beurteilung, wie gut Formulare abgeheftet werden oder die Arbeit in den Heimen dokumentiert wird.
Experten des Medizinischen Dienstes der Kassen sollen sich durch Prüfungen in den Heimen ein Bild von jeweils bis zu neun Bewohnern machen. An erster Stelle soll laut dem Gutachten stehen, ob Bewohner den „Bedürfnissen entsprechend Unterstützung“ erhalten.
Neues System soll im Herbst 2019 starten
Anstelle der Pflegenoten schlagen die Wissenschaftler ein völlig neues Bewertungssystem für die externe Prüfung vor. Ergebnisse der Heimprüfungen sollen für 18 verschiedene Themen dargestellt werden. Eine Gesamtnote ist mangels Aussagekraft nicht geplant.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat kürzlich angekündigt,
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„Entscheidend ist, dass es den Pflegebedürftigen gut geht“, sagte er unserer Redaktion. Ein Tüv, bei dem heute fast jedes Heim die Note „sehr gut“ bekomme, „verdient seinen Namen nicht“.
Kritik: Bestimmte Angaben nicht öffentlich
Spahns Pflegebeauftragter Westerfellhaus sagte, es müsse ein „echtes Navigationssystem geben, das klar und deutlich zeigt: Wo sind gute Pflegeeinrichtungen und wo sind schlechte?“ Auch die Betreiber der Einrichtungen müssten Signale bekommen, an welchen Stellen sie besser werden müssen. „Es darf nicht noch einmal passieren, dass alle Einrichtungen auf dem Papier gleich gut sind.“
Westerfellhaus kritisierte, dass offenbar geplant sei, bestimmte Angaben der Heime von der Veröffentlichung auszuschließen, weil sie angeblich schwer verständlich oder der Öffentlichkeit schwer vermittelbar seien. Das gelte zum Beispiel für freiheitsentziehende Maßnahmen. Das lehne er entschieden ab: „Man muss den Menschen ehrliche und komplexe Prüfergebnisse zutrauen.“
Vier Bewertungskategorien für Pflegeheime geplant
Der Pflegeexperte forderte auch, die Bewertungen allen Interessierten online zugänglich zu machen: „Wenn wir wirklichen Fortschritt wollen, brauchen wir eine komplette Darstellung der Ergebnisse im Internet.“
Was die Darstellung der Ergebnisse angeht, forderte er: „Wir brauchen eine Abbildung der Bewertung, die für den Nutzer verständlich und nachvollziehbar ist.“ Bisher sind vier Kategorien geplant, die von der Bestnote „keine oder geringe Qualitätsdefizite“ bis hin zu „schwerwiegende Qualitätsdefizite“ reichen.
Westerfellhaus forderte, als Konsequenz aus schlechten Bewertungen notfalls auch Heime stillzulegen: „Betreiber, die Hinweise aus den Kontrollen nicht ernst nehmen, dürfen nicht mehr in die Versorgung eingebunden sein. Wenn nichts anderes mehr hilft, müssen Pflegeeinrichtungen geschlossen werden.“
So reagieren die Pflegeexperten der Parteien:
• Aus der Politik kamen zurückhaltende Reaktionen. FDP-Pflegeexpertin Nicole Westig nannte die Vorschläge der Wissenschaftler „überfällig“. Es sei „zweifelhaft“, ob mit dem neuen System echte Transparenz hergestellt werden könne.
• Ihre Kollegin Kordula Schulz-Asche von den Grünen forderte, die bisherigen Pflegenoten sofort auszusetzen. Sie seien keine Hilfe gewesen, um die Versorgungsqualität in Pflegeeinrichtungen zu vergleichen.
• Heike Baehrens, Pflegebeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, stellte zusätzliche Forderungen an die Bewertungen der Heime auf: „Es muss auch sichtbar werden, welche Heime und Pflegedienste sich durch gute Arbeitsbedingungen und ordentliche Bezahlung ihrer Pflegekräfte auszeichnen. Denn auch das ist wichtig für eine würdevolle Pflege“, sagte sie.
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Das sagen die Krankenkassen:
Die gesetzlichen Krankenkassen, die die Reform in den nächsten Monaten zusammen mit ihrem Medizinischen Dienst umsetzen müssen, versicherten, „mit Hochdruck“ an dem neuen Pflege-Tüv zu arbeiten. „Unser Ziel ist und bleibt es, gute und schlechte Qualität in Pflegeeinrichtungen für jeden einfach erkennbar zu machen“, sagte Gernot Kiefer, Vorstandsmitglied des Spitzenverbands der Krankenkassen.
Die Bertelsmann Stiftung und ihr Portal Weisse Liste, das bei der Online-Suche in Gesundheitsfragen helfen will, sehen immerhin einen „deutlichen Fortschritt“. Johannes Strotbek, Projektmanager der Weissen Liste, kritisierte aber, die Vorgaben zur Qualitätsdarstellung seien „weder zeitgemäß noch verbrauchergerecht“.